Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingszustrom:Was die Grenzkontrollen am Brenner für bayerische Urlauber bedeuten

  • Österreich will schon bald Grenzkontrollen am Brenner einführen.
  • Für Urlauber aus Bayern könnte das lange Wartezeiten bedeuten.
  • Südtirol sieht ein "Riesenproblem" auf die Region zukommen.

Von Ruth Eisenreich

Ein spontaner Tagesausflug nach Südtirol? Ein Wochenende am Gardasee? Ein guter Espresso, ein bisschen Italien-Flair, und abends wieder zurück nach Hause? Für viele Bayern sind solche Kurztrips nach Südtirol seit Langem Alltag; dass man unterwegs zwei Staatsgrenzen überquerte, merkte man nur noch an der Roaming-SMS des Handybetreibers.

Das wird sich wohl bald ändern. Denn die österreichische Regierung will demnächst wieder Grenzkontrollen am Brenner einführen - 21 Jahre nach dem EU- und Schengen-Beitritt Österreichs und 18 Jahre nach der Grenzöffnung.

Von "strikten" und "massiven" Kontrollen sprach der österreichische Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) kürzlich in einem Interview. Einen konkreten Starttermin für die Grenzkontrollen gibt es laut den österreichischen Behörden noch nicht.

Fest steht hingegen schon: Österreich will Zäune aufstellen am Brenner - und es werden Soldaten patrouillieren. Einige Hundert stehen laut Doskozil für den Einsatz bereit. Südtiroler Wirtschaftstreibende befürchten durch die Grenzkontrollen heftige Einbußen. Etwa für den Tourismus: Urlauber aus Deutschland waren 2014 für die Hälfte aller Übernachtungen in Südtiroler Hotels und Pensionen verantwortlich.

Aber auch für das Transportwesen und alle darauf angewiesenen Branchen. Etwa zehn Millionen Autos passieren die Brennergrenze jedes Jahr, darunter rund zwei Millionen Lkws. Dem Unternehmerverband Südtirol zufolge geht ein Drittel der Südtiroler Exporte allein nach Deutschland, bei den Importen seien es gar 41 Prozent. Selbst der Einzelhandel in Südtirol wäre betroffen, sagt Walter Amort vom Handels- und Dienstleistungsverband Südtirol, denn auch er mache einen "beträchtlichen Teil" seines Umsatzes mit Kunden aus Deutschland.

Wie schlimm die Kontrollen am Brenner Südtirol tatsächlich treffen werden, wird von der Umsetzung abhängen. Manfred Pinzger etwa, der Präsident des Südtiroler Hoteliers- und Gastwirteverbandes, rechnet nur mit stichprobenartigen Kontrollen und leichten zeitlichen Verzögerungen im Verkehr. Deshalb macht er sich auch wenig Sorgen um seine Branche.

Anders Philipp Moser vom Südtiroler Wirtschaftsring, der Dachorganisation mehrerer Wirtschaftsverbände: Er sieht ein "Riesenproblem" auf den Tourismus zukommen. "80 Prozent unserer Gäste kommen aus einem Umkreis von 700 Kilometern und reisen mit dem Auto an", sagt er, "für die ist das eine weitere Hürde." Umso mehr, als gerade deutsche Gäste auf der Rückreise schon jetzt extra Zeit fürs Queren der österreichisch-deutschen Grenze einplanen müssten.

Moser befürchtet auch langfristige Konsequenzen für den Südtiroler Tourismus, wenn grundsätzlich zufriedene Kunden wegen der Grenzkontrollen auf andere Urlaubsziele ausweichen: "Einen neuen Kunden zu gewinnen, kostet zehn Mal so viel Energie, wie einen Kunden zu halten."

Aber nicht nur mögliche wirtschaftliche Probleme treiben die Südtiroler um. Da ist auch noch die Sorge, dass die Kontrollen genau ihren Zweck erfüllen: Flüchtlinge vom Grenzübertritt abzuhalten. Wenn wegen der Schließung der Westbalkanroute eine große Anzahl Flüchtlinge durch Italien Richtung Norden zu kommen versucht, könnte der Brenner ein "Flaschenhals" werden, befürchtet der Bürgermeister der Gemeinde Brenner, Franz Kompatscher. Er hofft, dass die italienische Polizei Flüchtlinge aufhält, noch bevor sie Südtirol erreichen können.

Und da ist der ideelle Faktor, die enge historische und kulturelle Bindung Südtirols an das österreichische Bundesland Tirol, die engen Beziehungen auch zu Bayern. Durch die Grenzkontrollen werde "die Idee von Europa zu Grabe getragen", sagt Stefan Pan, der Präsident des Unternehmerverbands Südtirol, ein Mann, der die bildliche Sprache liebt. "Wenn Europa ein Körper ist", sagt er, "dann ist die Route über den Brenner die Schlagader. Wenn man die kappt, führt das zum Infarkt."

Die Kritik der bayerischen Wirtschaft kommt sanfter daher als die aus Südtirol. Grenzkontrollen "sind in der derzeitigen Situation als zeitlich begrenzte Notmaßnahme gerechtfertigt, müssen aber eine Ausnahme bleiben", heißt es in einem Statement der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft an die SZ. Die "stark exportorientierte" bayerische Wirtschaft" sei "auf einen unbeeinträchtigten Warenverkehr über Ländergrenzen hinweg angewiesen", 14 Prozent aller bayerischen Exporte gingen nach Österreich und Italien, bei den Importen sei es ähnlich.

In Bayern kann man auch Urlaub machen

Aus der bayerischen Politik wiederum kommt Verständnis für die geplanten Grenzkontrollen - man kann ja kaum Österreich für eine Politik kritisieren, die man selbst schon seit Monaten durchzieht. "Der Sicherheitsaspekt muss Vorrang haben", sagt der Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Selbst die Wirtschaftsministerin sieht das nicht viel anders: "Uns wäre es natürlich lieber, wenn Schengen funktionieren würde und wir keine Grenzkontrollen bräuchten", sagt Ilse Aigner (CSU). "Aber es ist eine Frage der Prioritäten: Sicherheit ist ein hohes Gut und auch ein entscheidender Standortfaktor."

Und wer weiß, denkt sich wohl mancher in Bayern: Vielleicht profitiert ja der Tourismus davon, wenn Kurzurlauber im Land bleiben, statt nach Südtirol zu fahren.

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SZ vom 08.04.2016/imei
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