Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik:Seehofer schwenkt die Friedensfahne

Die Verfassungsklage Wegen der Kosten der Flüchtlingspolitik müsse die Union über den geplanten schrittweisen Abbau des Solidaritätszuschlags bis 2029 nachdenken. Die Verfassungsklage legt er zu den Akten.

Die Flüchtlingskrise hat das Verhältnis zwischen der CSU und Kanzlerin Merkel schwer belastet. Nun sendet CSU-Chef Seehofer Friedensgrüße. Bayern will vorerst auf eine Verfassungsklage zur Begrenzung der Flüchtlingszahlen in Deutschland verzichten. Das kündigte Ministerpräsident Horst Seehofer im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur an. "Wir haben jetzt eine Verständigung mit der CDU. Deshalb steht für den Moment die Umsetzung im Vordergrund und nicht das gegenseitige Beklagen", sagte der CSU-Chef.

Bayern hatte auf dem Höhepunkt des Streits um die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gedroht, um den Zuzug zu begrenzen. Dabei erwog die Staatsregierung, geltend zu machen, dass die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung Bayerns Staatlichkeit gefährde. Seehofer will nun abwarten, ob im Laufe der nächsten Monate die erhoffte Reduzierung der Flüchtlingszahlen eintritt. "Wir werden jetzt sehen, was die Bemühungen der Kanzlerin auf internationaler und europäischer Ebene bringen. Da kann man jetzt nicht ein festes Datum setzen. Wenn der Prozess positiv verläuft, wird man bei der Zeitfrage flexibler sein können", sagte der CSU-Chef.

CSU will Begrenzung des Flüchtlingszuzugs Merkel lehnt das ab

Seehofer wertete es als großen Erfolg, dass CDU und CSU in der Flüchtlingspolitik "jetzt zum Ende dieses Jahres so eng zusammen gekommen" seien. Die CDU hatte sich auf ihrem Parteitag für eine deutliche Reduzierung der Flüchtlingszahlen ausgesprochen. Merkel lehnt die von der CSU geforderte Festlegung einer Obergrenze allerdings nach wie vor ab.

Seehofer erwägt wegen der rasant steigenden Flüchtlingskosten nun den Verzicht auf eine Abschaffung des Solidarzuschlags bis 2029 - auf die sich die Union auf sein Drängen hin verständigt hatte. "Wir haben seit der Grenzöffnung im September eine neue Situation", betonte er. Das sei keine Absage an die Forderung, den Solidarzuschlag abzuschaffen. "Aber wir müssen einfach einen Kassensturz machen mit dem Ziel, herauszufinden, was können wir uns noch leisten? Wenn wir die Zuwanderung nicht begrenzen, werden wir keinen Spielraum haben."

CDU und CSU hatten im Frühjahr beschlossen, den "Soli" von 2019 bis 2029 schrittweise abzuschaffen. Seehofer sprach damals von der "größten Steuersenkung aller Zeiten". "Wenn die Zuwanderung im bisherigen Ausmaß anhält, liegt es auf der Hand, dass eine Reduzierung der Einnahmen kaum möglich sein wird", sagte der bayerische Ministerpräsident nun. "Auch dieses Beispiel zeigt, wie dringend eine deutliche Begrenzung der Zuwanderung ist."

Der Soli bringt bundesweit derzeit 13 Milliarden Euro pro Jahr ein

Der finanzielle Hintergrund: Allein in Bayern werden sich die Ausgaben für Flüchtlinge und Integration 2015/16 im Vergleich zum ursprünglichen Haushaltsplan mutmaßlich mehr als vervierfachen - von knapp einer auf 4,5 Milliarden Euro. Der kurz nach der deutschen Einheit eingeführte "Soli" sollte den Aufbau Ost mitfinanzieren und bringt bundesweit zurzeit rund 13 Milliarden Euro im Jahr ein.

Scharfe Kritik übte der CSU-Chef an EU-Staaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen oder eine Quote ablehnen. Die Flüchtlingskrise könnte nach seiner Einschätzung sogar zu einem Scheitern der EU führen. "Wir haben in Europa ein Ausmaß an Egoismus erlebt, wie wir es bisher nicht kannten. Wenn es so bliebe - was ich mir wirklich nicht vorstellen mag - geht das an die Grundfesten Europas", sagte Seehofer. "Man kann die Gefahr nicht von der Hand weisen, dass die Europäische Union daran zerbrechen könnte."

Bis zu 300 000 Flüchtlinge pro Jahr sei eine Größe, die die Bevölkerung akzeptiere

Seehofer stellte klar, welche Größenordnungen er bei der Zuwanderung und der Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland für verkraftbar hält: "Wir hatten Zeiten mit 100 000, 200 000, 300 000 Asylsuchenden und Bürgerkriegsflüchtlingen pro Jahr. Das war immer eine Größenordnung, die von der Bevölkerung akzeptiert war", sagte der bayerische Ministerpräsident.

Daneben gebe es noch die Freizügigkeit in der EU und die Zuwanderung aus Drittstaaten über Blue Card und andere Instrumente. "Das waren netto auch noch einmal 500 000 Menschen, die zu uns kamen. Auch das ging völlig problemlos. Ich finde, an solchen Größenordnungen sollten wir uns orientieren."

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