Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik in Bayern:"Wir stoßen überall an unsere Grenzen"

Der grüne Landrat Wolfgang Rzehak ermahnt seine Parteifreunde, nicht immer nur eine herzlichere Willkommenskultur zu fordern - und findet auch manchen CSU-Vorschlag zur Lösung des Flüchtlingsproblems nicht verkehrt.

Interview von Daniela Kuhr

Wolfgang Rzehak, 47, ist einer von zwei grünen Landräten in Bayern - und ein ziemlich unabhängiger Geist. Derzeit leben in seinem Landkreis Miesbach 600 Asylbewerber, bis zum Jahresende dürften es 900 werden plus 94 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Wenn Rzehak hört, wie seine grünen Mitstreiter im Landtag alle Vorschläge der CSU zur Lösung des Flüchtlingsproblems verdammen und eine herzlichere Willkommenskultur fordern, muss er sich zusammenreißen. "Ich würde mir wünschen, mich hätte mal jemand angerufen und gefragt: Wie schaut es denn wirklich aus vor Ort?"

SZ: Herr Rzehak, Ministerpräsident Horst Seehofer beklagt "massenhaften Asylmissbrauch" und plant zwei Aufnahmezentren eigens für Balkanflüchtlinge. Würde das Ihre Probleme lösen?

Rzehak: Also, von "massenhaftem Asylmissbrauch" zu sprechen, löst natürlich überhaupt keine Probleme. Mich stört diese Rhetorik gewaltig. Ich halte sie für falsch und auch für gefährlich. Das heißt aber nicht, dass ich sämtliche Vorschläge der CSU ablehne, nur weil sie nicht von meiner Partei stammen.

Was finden Sie zum Beispiel richtig?

Natürlich muss man die Asylverfahren deutlich beschleunigen. Man darf auch keine falschen Anreize setzen und Menschen herlocken, die von vornherein keine Aussicht auf ein Bleiberecht haben, wie es bei vielen Balkanflüchtlingen der Fall ist. Ich fürchte auch, wir werden nicht drum herumkommen, die Standards zu senken, etwa für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - aus dem einfachen Grund, weil es gar nicht mehr anders geht.

Was meinen Sie damit?

Durch unseren Landkreis verläuft die Autobahn A8. Dort werden von Schleppern immer wieder unbegleitete minderjährige Jugendliche ausgesetzt, die dann von der Bundespolizei aufgegriffen werden. Wir haben deshalb mittlerweile 24 Stunden Rufbereitschaft. Samstag vor einer Woche rief morgens um halb acht die Bundespolizei beim Leiter unseres Jugendamts an, und teilte mit, sie hätten 14 Jugendliche aufgegriffen. Die seien jetzt am Irschenberg und müssten abgeholt werden.

Was geschah mit ihnen?

Für die meisten davon fand der Jugendamtsleiter auf die Schnelle eine Unterkunft in einem Heim, sie waren allesamt um die 15 Jahre alt. Zwei irakische Buben aber waren jünger, der eine zehn, der andere zwölf Jahre alt, die wollte er nicht zusammen mit den älteren unterbringen. Weil er aber in der Kürze der Zeit auch keine Bereitschafts-Pflegefamilie für sie fand, richtete er zu Hause das Kinderzimmer wieder her und nahm die Buben bei sich auf.

Das ist doch auf Dauer keine Lösung.

Natürlich nicht. Aber was soll er machen? Es gibt ja nirgendwo mehr Plätze. Und er kann die Buben auch nicht einfach sich selbst überlassen. Stellen Sie sich mal vor, so ein traumatisierter Junge versucht sich umzubringen. Da würde sicher sehr schnell die Frage auftauchen, ob den Amtsleiter nicht eine Mitschuld trifft. Zudem haben unbegleitete Jugendliche Anspruch auf sozialpädagogische Betreuung. Aber Sozialpädagogen finden wir auch keine mehr, da ist jede Bewerbung willkommen. Wir tun wirklich alles, aber eines ist klar: Die derzeit vorgeschriebenen Standards können wir nicht mehr einhalten.

Was denken Sie, wenn Ihre grünen Mitstreiter eine herzlichere Willkommenskultur fordern?

Wer in der Verantwortung steht, hat natürlich einen andere Sicht auf die Dinge als jemand, der Oppositionspolitik macht. Ich will auch jeden willkommen heißen. Aber das Asylrecht ist nicht dazu gedacht, Armut zu bekämpfen. Wir müssen denjenigen Schutz gewähren, die in ihrem Heimatland wirklich verfolgt werden. Sie brauchen ein faires Verfahren und eine schnelle Anerkennung. Das aber kann nur gelingen, wenn das System nicht kollabiert.

Haben Sie das Ihren Parteifreunden im Landtag schon einmal gesagt?

Ich würde mir wünschen, mich hätte mal jemand gefragt: Wie schaut es denn wirklich aus vor Ort? Doch außer der Landesvorsitzenden Sigi Hagl hat sich nie jemand intensiver bei mir über meine Sichtweise informiert. Einige reden lieber mit den Helferkreisen als mit dem Landrat oder dem Jugendamtsleiter. Dabei sind die es, die vor dem Problem stehen, all das umsetzen zu müssen, was irgendwo beschlossen wurde. Wir stoßen überall an unsere Grenzen.

Aber übernimmt denn nicht die Staatsregierung die Kosten?

Die Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Taschengeld ja. Aber erstens ändert das nichts daran, dass wir die Unterkünfte erst einmal besorgen müssen. Und wenn eine Einrichtung dann doch nicht zustande kommt, aus welchen Gründen auch immer, dann bleiben wir auf den Planungs- und Erschließungskosten dafür sitzen. Außerdem müssen wir auch die ganzen Personalkosten selbst tragen. In den Behörden sind mittlerweile unzählige Menschen nur noch damit beschäftigt, sich um die Flüchtlinge zu kümmern. Da lässt die Staatsregierung uns komplett im Stich. Das sind die Probleme, die die Grünen im Landtag anprangern sollten - statt über die unwürdigen Verhältnisse in Traglufthallen zu klagen. Man muss doch nur mal in die Turnhallen gehen, wo wir derzeit unsere Flüchtlinge unterbringen. Dann sieht man: Unwürdige Verhältnisse haben wir längst. Es hilft niemanden, wenn wir davor die Augen verschließen.

Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass die Grünen in Bayern nicht Fuß fassen?

Also so schlecht stehen wir nun auch wieder nicht da. Aber dass wir nicht besser sind, hat womöglich damit zu tun, dass wir zu sehr Schwarz-Weiß denken: Wir sind die guten Kleinen und müssen gegen die böse große CSU kämpfen. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht immer nur die hohe Fahne der Moralität vor uns hertragen. Denn nicht jeder Vorschlag der CSU ist gleich ein Angriff auf die Menschenwürde.

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SZ vom 03.08.2015/lime
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