Flüchtlingspolitik:Begegnung mit einer brutalen Realität

Flüchtlingspolitik: Beate Merk in einer Schule der Orienthilfe e.V. im Libanon. Der Verein wird vom Freistaat gefördert, 400 Kinder kommen somit in den Genuß von Bildung.

Beate Merk in einer Schule der Orienthilfe e.V. im Libanon. Der Verein wird vom Freistaat gefördert, 400 Kinder kommen somit in den Genuß von Bildung.

(Foto: Staatskanzlei)

Europaministerin Beate Merk besucht notdürftige Behausungen von Flüchtlingen im Libanon und wird dabei hautnah mit den Problemen dort lebender Frauen und Kinder konfrontiert. "Hier entsteht eine verlorene Generation", sagt die Politikerin, die nur bescheidene Hilfe anbieten kann

Von Andrea Bachstein, Beirut

Bayerns Kommunen ringen mit der Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerben, etwa 58 000 sind es derzeit im Freistaat. Der kleine Libanon mit seinen 4,3 Millionen Einwohnern beherbergt dagegen 1,2 Millionen Flüchtlinge aus Syrien, auf vier Libanesen kommt ein Flüchtling, einige dort sagen, in Wahrheit sei das Verhältnis eher 3:1, nicht alle Flüchtlinge sind registriert. Zahlen, die unvorstellbar wären in Bayern. Bayerns Europaministerin Beate Merk, zuständig für Flüchtlingsthemen, wollte sich nun ein Bild davon machen, wie die Lage im Libanon ist und wie der Freistaat hier helfen könnte. Zwei Tage ist sie deshalb in das Land gereist in Begleitung von Kennern der Situation von bayerischen in der Region engagierten Hilfswerken, dem Münchner Missio-Präsidenten Dompfarrer Wolfgang Huber und dem evangelischen Kirchenrat Thomas Prieto Peral.

Es ist ein dichtes Programm von Begegnungen mit Regierungsangehörigen, Religionsvertretern, dem UN-Flüchtlingswerk UNHCR in der Hauptstadt Beirut - und vor allem mit Flüchtlingen. Merk trifft sie in der Bekaa-Ebene, wo 440 000 von ihnen leben in verstreuten, inoffiziellen Ansiedlungen, weil der Libanon keine zentralen Camps für Flüchtlinge zulässt. Es ist die Begegnung mit einer brutalen Realität.

Aus Brettern und Plastikplanen haben sich 700 Menschen in Zahlé Maalaqa notdürftige Behausungen zusammengezimmert, das UN-Flüchtlingswerk betreut sie, Nummer 037 trägt das Camp in seinen Listen. Es ist kalt hier, auf den Bergen ringsum liegen noch Schneefelder, nur wenige Flüchtlinge sind auf den Pfaden auf nackter Scholle zwischen den Zelten unterwegs. Das Hauptinteresse der Ministerin gilt den Schwächsten, Frauen und Kindern. Von denen ist sie sofort umringt, und eines springt ihr sogar einfach in die Arme in einem Zelt, in dem das UNHCR an diesem Tag ein Unterhaltungsprogramm für die Kleinen veranstaltet. In einem anderen sind nur Frauen versammelt, die mit Betreuerinnen über ihr Probleme reden können, wie Gewalt in den Familien oder die oft erzwungene Verheiratung von sehr jungen Mädchen, selbst von zehnjährigen Kindern. Weniger als die Hälfte der Kinder des Lagers hier geht in die Schule, mehr Platz ist dort nicht für sie. Das ist, was Merk am meisten besorgt: "Hier entsteht eine verlorene Generation", sagt sie.

Sie sieht an diesem Tag auch ein Projekt, das dem gegenzusteuern versucht, die Schule, die der von Bayern geförderten Orienthilfe e.V. in Bar Elias. 400 Kinder, die sonst ohne Bildung blieben, werden hier in zwei Schichten unterrichtet, der Abschluss ist im Libanon anerkannt, es ist eine Modellschule. Die Kinder erwarten die Ministerin aufgeregt im Schulhof, ordentlich nach Alter aufgereiht. Bälle, Stifte, Federmäppchen und guten Willen hat Merk ihnen aus München mitgebracht. Aber es ist hier wie an anderen Stationen klar, die Erwartungen an das reiche Bayern sind hoch. Doch viel Spielraum für finanzielle Hilfen gebe es nicht, hat Beate Merk zu Beginn der Reise klargemacht.

Aber einiges geht vielleicht doch. In einem Betreuungszentrum schildern Mitarbeiterinnen von Hilfsorganisation der Ministerin, in welch dramatischen Situationen sich aus Syrien geflüchtete Frauen teilweise befinden, die sie therapeutisch betreuen und auch in Schutzhäusern unterbringen müssen. Sie berichten von Gewalt in den durch die Flucht gezeichneten Familien, Vergewaltigungen auf der Flucht oder zuvor in syrischen Gefängnissen. Das geht hin bis zu Frauen von muslimischen Kämpfern, deren Männer sie gezwungen haben, anderen Dschihadisten sexuell zu Diensten zu sein, als Beitrag zum Kampf. Es sind erschütternde Geschichten, und Merk sagt: "Ich könnte mir vorstellen, dass wir traumatisierte Frauen christlichen Glaubens für eine Zeit bei uns im Land aufnehmen." Man müsse überlegen, ob es Therapiemöglichkeiten für traumatisierte Frauen in Bayern gibt.

Ein Hilfeangebot an den durch die Syrienkrise wirtschaftlich zusätzlich unter Druck geratenen Libanon hat Merk schon mitgebracht. Es stieß im Wirtschaftsministerium in Beirut auch auf großes Interesse: Unterstützung für den Aufbau beruflicher Ausbildung im Handwerk, besonders für syrische Flüchtlinge. Sie sollen so mehr Chancen auf Arbeit gewinnen und in der Lage sein, ihr Land wieder aufzubauen - wenn das eines Tages möglich wird. Bayern kooperiert in diesem Gebiet schon mit anderen Ländern, Tunesien etwa, und kann auf Erfahrungen aufbauen. In den nächsten Wochen will die Staatskanzlei da schon konkrete Vorschläge nach Beirut schicken, das sich allerdings wünscht, das auch Libanesen solche Möglichkeiten bekommen.

Fragt man die Ministerin, was sie mitnimmt, sagt sie zum Ende des Libanonaufenthalts, es sei sehr wichtig gewesen, sich selbst einen fundierten Eindruck zu verschaffen, zu sehen, wo sich konkret etwas tun ließe, "wenn man das vor Ort sieht, ist man ganz anders betroffen".

Merk ist viel unterwegs derzeit in Sachen Flüchtlinge, im Kosovo war sie in den vergangenen Wochen, in den nächsten Tagen geht es zur Flüchtlingsinsel Lampedusa. Und vom Libanon ist sie am Wochenende noch zu einem kurzfristig angesetzten Besuch nach Tunesien gereist, um dem Partnerland Bayerns nach dem verheerenden Terroranschlag vergangene Woche zu demonstrieren, dass man sich nicht abschrecken lässt von der Zusammenarbeit und um ein Zeichen zu setzen, das für den für die Wirtschaft des Landes so wichtigen Tourismus werben soll. Doch auch in Tunis ging es bei den Gesprächen wieder um Flüchtlinge. Sie sind Merk zum Anliegen geworden. Auch wenn sie es so nicht sagt, meint man ihr anzumerken, dass sich der Blick auf die Vorgaben der Politik im Spiegel der Realitäten etwas ändert. In Beirut sagt die Ministerin jedenfalls, was ihre Erfahrungen nun für die Arbeit zu Hause auch heißen: "Ich werde um mehr Verständnis werben für die Lage der Flüchtlinge. Nach innen, in der CSU, und nach außen bei den Menschen in Bayern."

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