Flüchtlinge:"Wir sind bereit, bis zum Tod zu hungern"

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  • 145 Asylbewerber sind im Transitzentrum Deggendorf in den Hungerstreik getreten.
  • Sie protestieren gegen die Zustände in der Unterkunft und die schlechte Essensqualität.
  • "Es gärt dort seit einer Razzia, die die Polizei da kürzlich gemacht hat", sagt der örtliche evangelische Pfarrer, der einen guten Draht zu den Asylbewerbern hat.

Von Dietrich Mittler, Deggendorf

Im niederbayerischen Deggendorf haben am Montag etwa 145 Asylbewerber nach eigenen Angaben ihren am Wochenende begonnenen Hungerstreik fortgesetzt. Einem Sprecher zufolge verweigern die erwachsenen Flüchtlinge aus dem westafrikanischen Sierra Leone im Transitzentrum Deggendorf bereits seit Samstag die Nahrungsaufnahme. "Es gärt dort seit einer Razzia, die die Polizei da kürzlich gemacht hat", sagt der örtliche evangelische Pfarrer Gottfried Rösch, zu dem die Asylbewerber Vertrauen gefasst haben.

Als Motiv für den sich ausweitenden Protest vermutet Rösch: "Es ist dieser Druck, zu Wort kommen zu wollen, und keiner hört sie an." Hinzu trete die ständige Angst vor der Abschiebung, "die in einem Transitzzentrum doch alle haben".

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Diese Meinung vertritt auch die Passauer Anwältin Petra Haubner, die etliche der Asylbewerber in Deggendorf vertritt. Als es dann auch noch einen - letztlich gescheiterten - Abschiebe-Einsatz gegen einen Afrikaner gegeben habe, habe der Unmut der Flüchtlinge aus Sierra Leone überhand genommen. "Da kann leicht mal so eine Solidaritätswelle entstehen", sagt Rösch. Zumal, da viele ebenfalls befürchten müssen, als "Dublin-Fälle" in jenes EU-Land zurückgebracht zu werden, in dem sie erstmals europäischen Boden betreten haben - in diesem Fall ist das meist Italien.

Begonnen hatte die Protestaktion am Freitag mit einem "Streik der geschlossenen Türen", an dem neben den Erwachsenen auch die nicht volljährigen Flüchtlinge aus Sierra Leone teilnahmen, insgesamt 209 Personen. "Aus Protest verweigerten die Kinder und Jugendlichen den Schulbesuch - beziehungsweise den Besuch des Deutschkurses, da ihnen der Zugang zu öffentlichen Bildungseinrichtungen verwehrt ist", heißt es in einer Verlautbarung von Mitgliedern einzelner Asyl-Initiativen. Die wurde am Samstag vom Bayerischen Flüchtlingsrat an die Medien weitergeleitet. Auch die erwachsenen Bewohner des Transitzentrums Deggendorf, so heißt es darin, hätten die Unterkunft nicht mehr verlassen, um "ihre 80-Cent-Jobs" zu bestreiken.

Kritik an Unterkunft und Essensqualität

Für Mittwoch, so sagte ein Sprecher der Flüchtlinge, sei nun ein Demonstrationszug zum Landratsamt in Deggendorf geplant. Den wolle man auch dazu nutzen, die Bevölkerung auf die eigenen Nöte aufmerksam zu machen. In einem Statement, das die Streikenden verfasst haben, heißt es: "Wir sind Menschen aus Sierra Leone, die hier in Deutschland Schutz suchen, wurden aber enttäuscht statt beschützt." Kritisiert werden unter anderem "sehr schlechte Unterkunftsmöglichkeiten mit acht Personen in einem Zimmer mit schlechter Hygiene und Toiletten" sowie "sehr schlechte Qualität der Nahrung".

Rechtsanwältin Haubner hat zudem beobachtet, dass sich ihre Mandanten aus Sierra Leone "rassistisch" benachteiligt fühlen gegenüber anderen Asylbewerbern - etwa gegenüber jenen aus Aserbaidschan. Seitdem sich dann auch noch herumgesprochen habe, dass sie nicht nur sechs Monate sondern gar bis zu 24 Monate im Transitzentrum ausharren müssten, ehe sie in eine normale Gemeinschaftsunterkunft gehen könnten, sei der Frust sehr groß.

"Wir sind bereit, bis zum Tod zu hungern", hieß es seitens der Flüchtlinge. In Deggendorf ist derzeit eher die Rede von einem "Kantinenstreik" denn vom Hungerstreik. Dies klingt auch im Statement der Regierung von Niederbayern durch. Dass die Flüchtlinge nicht mehr an der Gemeinschaftsverpflegung teilnähmen, müsse "nicht automatisch Hungern bedeuten". Die Vorwürfe der Streikenden wies die Regierung zurück. Die Hygiene sei gewährleistet, soweit dies in der Verantwortung der Verwaltung liege. Die ärztliche Versorgung sei, anders als behauptet, in allen Fällen gegeben.

© SZ vom 19.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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