Psychologische Betreuung:Der Krieg im Kopf

Krieg in der Ukraine: Zerstörte Gebäude in Borodjanka

Wer den Krieg hautnah erlebt hat, wie etwa im zerstörten Ort Borodjanka, der braucht möglicherweise psychologische Betreuung. Die sollen Geflüchtete in Bayern erhalten.

(Foto: Friedrich Bungert)

Mehr als 50 000 Menschen sind seit der Invasion der Ukraine nach Bayern geflüchtet. Viele bringen Gewalterfahrungen mit, sind zum Teil traumatisiert. Wie lassen sich die Belastungen auffangen?

Von Clara Lipkowski und Viktoria Spinrad

Meistens, sagt Olaf Hofmeister, kämen die seelischen Beschwerden zeitverzögert. Dringender seien erst mal die akuten praktischen Dinge: eine Wohnung, der Schulplatz für das Kind, ein Sprachkurs, vielleicht noch körperliche Beschwerden. "Man kriegt ja erst mal Anträge vor die Nase gehalten, hat wahrscheinlich eine Sprachhürde", sagt der Leiter der Fachgruppe Migration und Soziale Beratung bei der Diakonie in Hof. Man funktioniere. Erst wenn etwas Ruhe eingekehrt sei, merke man: "Mir geht's nicht gut."

Mehr als 50 000 Menschen sind seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine in Bayern angekommen. Sirenen, Bomben, Flucht: Viele von ihnen bringen die Bilder des Krieges im Kopf mit. Sie sind erschüttert, teils traumatisiert - und stoßen auf ein erschöpftes und regional ungleich verteiltes psychologisches Hilfssystem. Wie lassen sich die Belastungen in der Masse auffangen?

Am guten Willen mangelt es nicht. Vielerorts sind Initiativen entstanden. Das Sozialministerium hat eine Hotline freigeschaltet. Die Kassenärztliche Vereinigung führt eine Liste mit 300 Namen von Psychologen, die sich bereit erklärt haben, notfalls schnell zu helfen, genau wie zwölf Mitglieder der bayerischen Psychotherapeutenkammer mit den entsprechenden Sprachkenntnissen. Auch Einsatzkräfte des bayerischen Krisendienstes stehen bereit, schnell da zu sein.

Einer davon ist Richard Hörtlackner. Der Psychologe, Familientherapeut und Supervisor hatte schon mehrere Einsätze bei ukrainischen Familien. "Jetzt kommt Stück für Stück die Angst", sagt er. Eine Nation, die vom vermeintlichen Brudervolk angegriffen wird: Das hinterlasse bei vielen eine tiefe Verunsicherung. Zumal, wenn das persönliche Drama nach der Flucht nicht endet. Er schildert den Fall einer Mutter, die vom Tod ihres 16-jährigen Sohnes in Kiew erfuhr, daraufhin den ganzen Spirituosenschrank ihrer Gastfamilie leertrank und drohte, sich selber zu verletzen. Sie wurde in eine Klinik gebracht, ihre beiden kleinen Kinder zu Pflegeeltern.

Gruppengespräche für Mütter, Kunsttherapie für Kinder

Um zügige Hilfe geht es auch bei dem Projekt "Taff" ("Therapeutische Angebote für Flüchtlinge"), das an zehn Diakonie-Standorten in ganz Bayern läuft. Das Projekt gibt es seit 2014, vor Kurzem wurde es mit dem Bayerischen Integrationspreis ausgezeichnet. Olaf Hofmeister im oberfränkischen Hof erklärt, er gehe darum, zu stabilisieren, erst einmal zu klären, dass es okay sei, wenn es jemandem schlecht gehe.

Bereits seit 2015 sehe man, dass das Thema oft schambehaftet sei. In gruppentherapeutischen Sitzungen treffen sich bei Taff zum Beispiel Mütter, die belastet sind oder bei ihren Kindern Veränderungen wahrnehmen. So soll auch ein kurzer Draht zu Psychologinnen und Therapeuten aufgebaut werden.

Auch Ehrenamtlichen wird geholfen, etwa, wenn sie sich überfordert fühlen, wenn Geflüchtete anfangen zu reden: "Wir raten entschieden davon ab, nach Traumata zu fragen", sagt Stefan Schmid, der von München aus Taff leitet. Besser sei es zuzuhören und wenn nötig, Hilfe zu vermitteln. Nur ist das gar nicht immer so einfach - vor allem wenn die Betroffenen kein Deutsch oder Englisch können. Was Taff bei Kindern mit Kunsttherapie zu umschiffen versucht, wird bei Erwachsenen oft zum Problem.

Übersetzer für eine Therapie lassen sich nur in Ausnahmefällen bei der Krankenkasse abrechnen. Von Juni an, wenn die Menschen nicht mehr als Asylbewerber behandelt werden, wird das gar nicht mehr möglich sein. Um im Notfall trotzdem handlungsfähig zu sein, planen die Krisendienste Bayern einen Schritt, der sich in Kliniken schon länger bewährt hat: Innerhalb von Sekunden sollen Übersetzer zugeschaltet werden können.

Das wird umso wichtiger, je mehr sich die Lage zuspitzt. Schmid von Taff sieht eine Verschiebung kommen: Zuerst seien vor allem Menschen gekommen, die in Sorge um zurückgebliebene Angehörige waren. Bald kämen verstärkt Geflüchtete aus direkten Kampfgebieten - mit wohl unmittelbar traumatischen Erfahrungen. Das nötige Angebot, sagt Bruno Waldvogel, Vizepräsident der bayerischen Psychotherapeutenkammer, ließe sich unmöglich in wenigen Wochen herstellen. "Es bräuchte eine prinzipielle Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung", sagt er.

"Wichtig ist es, dass diese Belastungen nicht zu Belastungsstörungen werden."

Das weiß auch Bernhard Seidenath. Eben deshalb setzt der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Landtag (CSU) vor allem auf niedrigschwellige, wie er sagt, "hemdsärmelige" Hilfe. "Wir haben von Anfang an gesehen, dass da Menschen mit immensen Belastungen kommen", sagt er. Raketen, Schüsse, Luftalarm - so etwas habe wohl jede Familie erlebt. "Wichtig ist es, dass diese Belastungen nicht zu Belastungsstörungen werden", sagt er.

Eben weil das System für Psychotherapien schon überlastet sei, setzt er für oberbayerische Landkreise auf Psychologinnen und Therapeuten, die ehrenamtlich Hilfe anbieten. Dafür könne man zudem Übersetzer in Anspruch nehmen, doch meldeten sich bislang wenige Betroffene. "Ich appelliere daran, das Angebot zu nutzen", sagt er, beim Landkreis zu fragen, oder direkt bei ihm.

Noch sind viele mit dem Ankommen beschäftigt, noch verdrängen Amtsgänge und Schulanmeldungen bei vielen die Erinnerungen an die Heimat. Doch die Hilfsorganisationen gehen davon aus, dass der Bedarf mit der Zeit wächst. Die Herausforderung wird sein, dass die Menschen Zugang zu den verschiedenen Angeboten finden. "Wir müssen das Vorhandene besser koordinieren", sagt Hörtlackner, der Mann vom Krisendienst.

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