Süddeutsche Zeitung

Asylpolitik:Flüchtlinge im Transitzentrum: "Die ersticken uns hier"

Manching dient als Modell für die geplanten "Ankerzentren", mit denen Bundesinnenminister Seehofer Abschiebungen beschleunigen will. Bei einem Besuch wird die schlechte Stimmung unter den Flüchtlingen deutlich.

Von Constanze von Bullion, Manching

Irgendwann schieben die Männer von der Sicherheit dann ein meterhohes Gitter zwischen sich und die Nigerianer. Nur ein Zaun, und nur der Ordnung halber. Für einen Moment wirken die zornigen Gesichter dahinter wie im Käfig.

Das Transitzentrum für Flüchtlinge in Manching, eine ehemalige Bundeswehrkaserne, liegt hier im Irgendwo zwischen Feldern. Das hier ist nicht das Ende der Welt, aber das Ende einer langen Reise für insgesamt 1100 Menschen, die in und um Manching untergebracht sind.

Sie kommen aus Nigeria, Afghanistan oder vom Balkan, und sie haben eher schlechte Aussichten, in Deutschland zu bleiben. Geht es nach Bayerns Landesregierung, werden die meisten bald abgeschoben. Geht es nach dem Bundesinnenminister, ist Manching demnächst überall.

Das Transitzentrum bei Ingolstadt dient als Modell für die geplanten "Ankerzentren", mit denen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ab Herbst Abschiebungen beschleunigen will. In zentralen Asyleinrichtungen soll künftig gebündelt werden, was sich in deutschen Amtsstuben verzettelt: Aufnahme von Flüchtlingen, Identifizierung, Abwicklung des Asylverfahrens, Entscheidung - und dann entweder rein nach Deutschland oder raus, und zwar dalli. So etwa soll das gehen.

Natürlich sorgt das Vorhaben für Ärger, auch im Ort, wo Frau Froschmaier auf "des Gschwerl" schimpft, "die gehören nicht her". Seehofers Asyl- und Abschiebezentren könnten Gewalt und Radikalisierung befördern, wenn dort bis zu 1500 Menschen ohne Perspektive über Monate kaserniert würden, warnen andere. Auch die Gewerkschaft der Polizei motzt, Polizisten hätten keine "Lager" zu bewachen.

Um Ängste abzubauen, hat die Regierung von Oberbayern also ins Transitzentrum Manching eingeladen. Das Tor der Einrichtung steht offen, Asylbewerber gehen ein und aus. "Herzlich willkommen", sagt Martin Nell. Er ist Sprecher der Regierung von Oberbayern und gibt sich beim Rundgang mit der Presse alle Mühe, die guten Absichten der Mitarbeiter hervorzuheben.

Bevor er loslegen kann allerdings, gibt es ein paar Meter weiter Krach. Hier stehen junge Männer und Frauen mit Kinderwagen, sie sind aus Nigeria. "Die ersticken uns hier", ruft Awo Stanley. "Die halten mich hier seit neun Monaten fest." Er habe sich monatelang nach Deutschland durchgeschlagen. Und jetzt? "Das Essen", sagt er. "Ich habe nie so ein Essen gesehen." Dann die Sicherheitsleute, alle arabisch.

Warum dürfen Asylbewerber nicht selbst kochen, fragt Mabel Daniel, sie ist 26 und wütend. "Das Leben ist nicht gut hier." Man könne nicht zum Doktor, wenn man wolle, schimpft eine andere, "man muss einen Termin buchen". Transporte ins Krankenhaus würden oft abgelehnt. Unterricht für Kinder gebe es nicht mehr. "Sie sollen uns eine Arbeitserlaubnis geben, wir sind keine Babys. Dann sind sie uns hier los."

Herr Nell drängt jetzt etwas, die Zeit. Er führt die Besucher in blitzblanke Aufenthaltsräume. Brettspiele sind akkurat aufgestapelt, nebenan liegt ein Kuscheltier am anderen. Windeln und Hygieneartikel werden montags und donnerstags zwischen 14 und 15 Uhr ausgegeben. "Vorsicht! Gefahr ins Eis einzubrechen", steht auf einem Schild.

Deutsche Bürokratie trifft Nigeria und umgekehrt, so kann man sich diese Lebenswelt vorstellen, zu der auch ein Klassenzimmer gehört. Hier stehen Bänke herum, als seien eben noch Schüler da gewesen. Unterricht gibt es "derzeit nicht", sagt Daniel Waidelich, auch keine Deutschkurse. Waidelich ist Sachgebietsleiter der Regierung, und er kämpft etwas, als ein Journalist das Transitzentrum einen "Krisenherd" nennt.

Es gebe Kritik am Essen, ja, sagt der Beamte. Der Brandschutz aber verbiete das Kochen eigener Speisen. "Die Verpflegung wird nach wissenschaftlichen und religiösen Aspekten zusammengestellt." Im Übrigen wolle man es den Bewohnern gar nicht zu schön machen. "Es gibt ein klares Signal", sagt Waidelich. "Es lohnt sich nicht, nach Deutschland zu kommen."

Vor der Tür wird es laut, die Nigerianer sind jetzt zu einem Umzug aufgebrochen. "Wir brauchen Freiheit", rufen sie, eine Frau hält außer sich vor Zorn ihr Baby in eine Kamera. "Wir sind keine Sklaven", schreit sie. Männer in Schwarz tauchen auf, Leute vom privaten Sicherheitsdienst. Einer kommt aus Pakistan, ein anderer aus Afghanistan. "Alles Krieg", sagt er nur, wenn man ihn fragt, warum er hier ist.

Wo Pakistaner Nigerianer bewachen und Afghanen sich über betrunkene Ukrainer ärgern, bleiben Auseinandersetzungen nicht aus. Etwa 250 Mal im Jahr kommt im Transitzentrum die Polizei, auch zur Abschiebung. Immer wieder gebe es "tumultartige Szenen", ist im zuständigen Polizeipräsidium zu hören. "In der Regel reicht da ein Streifenwagen nicht." Etwa 800 Flüchtlinge sind seit 2015 aus Manching verschwunden, 1000 wurden abgeschoben, 2500 kehrten freiwillig heim.

Wer noch da sei, brauche Unterstützung, sagt Willi Dräxler von der Caritas. Er fordert kleinere Einrichtungen, leichteren Zugang zu Rechtsberatung und ein Ende des Arbeitsverbots. "Ein Mensch, der keine Illusionen mehr hat, ist verführbar", sagt Dräxler. Integration aber sei in Manching nicht erwünscht. Und das, obwohl gut 17 Prozent der Nigerianer am Ende doch im Land bleiben dürften.

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SZ vom 17.05.2018/haeg
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