Private Seenotrettung:Die "Sea-Eye 2" ist in See gestochen

Die "Sea Eye 2" soll Flüchtlinge im Mittelmeer retten

Die Professor Albrecht Penck, intern Sea Eye 2 genannt, ist am Wochenende zu einer neuen Mission in See gestochen.

(Foto: Sea-Eye)

Die Regensburger Organisation Sea-Eye hat bereits mehr als 14 000 Flüchtlinge vor dem Ertrinken im Mittelmeer bewahrt. Bis Malta ihr Schiff im Hafen von Valletta festhielt. Dank Spenden kann nun erneut eine Mission starten.

Von Andreas Glas

Eigentlich wollte Astrid Janenzky nur sechs Wochen bleiben. Sie hatte das Ticket für den Rückflug schon gebucht, als sie im Oktober 2017 auf Malta ankam. Am Ende hat ihre Mission länger als ein Jahr gedauert. "Das war so nicht geplant", sagt Janenzky. Seit einer Woche ist sie zurück, daheim in Aschaffenburg. Wo ihre Enkel auf sie gewartet haben und ein Riesenstapel Post. "Ich wühle mich gerade durch die Papiere", sagt Janenzky, und denkt bereits an ihre nächste Mission. "Im nächsten Jahr werde ich wieder mitmischen."

Astrid Janenzky, 69, Rentnerin, ist Mitglied der Regensburger Hilfsorganisation Sea-Eye. Von Frühjahr 2016 an waren die Seenotretter im Mittelmeer unterwegs. Bis Juni 2018 bewahrten sie nach eigenen Angaben mehr als 14 000 Flüchtlinge vor dem Ertrinken. Seitdem war Schluss. Seitdem hielt Malta ihr Schiff Seefuchs im Hafen von Valletta fest. Doch jetzt wollen die Helfer dem Sterben nicht länger zuschauen. Kurz nach Astrid Janenzkys Rückkehr haben ihre Kollegen ein neues Schiff losgeschickt. Am Wochenende ist die Sea-Eye 2 in See gestochen - aller politischen Hürden zum Trotz. "Wir müssen es einfach versuchen", sagt Janenzky.

Als ihre persönliche Mission begann, war alles noch einfacher für die privaten Seenotretter. Damals, im Herbst 2017, patrouillierten 13 Schiffe im Mittelmeer. Darunter zwei aus Regensburg: Sea Eye und Seefuchs. In Malta, im Seefuchs-Basislager, fing Janenzky als Agentin an. Kümmerte sich um Abrechnungen und Finanzen, kaufte Lebensmittel für die Crew, orderte Ersatzteile fürs Schiff, organisierte im Zwei-Wochen-Rhythmus den Wechsel der Besatzung. Früher hat sie für eine Unternehmensberatung gearbeitet, hat dort Events organisiert. "Das war meine Qualifikation" für den Agentenjob in Malta, sagt Janenzky.

Sie ist eine von mehr als 800 Freiwilligen, die bisher an den Sea Eye-Missionen mitgewirkt haben. Ganz unterschiedliche Menschen: Studenten, Mechaniker, Ärzte, Rentner. Mehr als die Hälfte davon seien "komplette Neulinge" auf See, sagt Astrid Janenzky, die selbst nicht zu diesen Neulingen gehörte. Mit ihrem früheren Lebensgefährten ist sie 1995 einfach mal losgesegelt. Von Schleswig-Holstein nach Portugal, zu den Kanarischen Inseln, über den Atlantik in die Karibik, über die Bahamas in die USA. Am Ende waren sie sechs Jahre unterwegs. "Das war so gar nicht geplant", sagt Janenzky. Der Satz kommt einem irgendwie bekannt vor.

Private Seenotrettung: Astrid Janenzky ist Mitglied der Regensburger Hilfsorganisation Sea-Eye.

Astrid Janenzky ist Mitglied der Regensburger Hilfsorganisation Sea-Eye.

(Foto: Privat)

Nach Malta kam Janenzky, "weil ich mir gedacht habe, ich guck' mir den Laden mal an". Falls alles passt, wollte sie wiederkommen und mit an Bord gehen, das war ihr Plan. Doch dann habe ihr der Job im Basislager "so viel Spaß gemacht", dass sie ihre Pläne komplett umschmiss. Mal wieder. "Und dann hab ich gesagt: Ich könnte ja ein Jahr bleiben." In diesem einen Jahr hat Janenzky Menschen erlebt, die an Bord "über sich hinausgewachsen" sind. Aber auch harte Knochen, die erst ganz cool waren und dann "emotional berührt, weil sehr viele Familien, sehr viele kleine Kinder" in den Schlauchbooten saßen. Und sie hat erlebt, wie die politischen Debatten um die Seenotrettung hässlicher wurden.

"Sie werden Italien nur auf der Landkarte sehen", sagte Mitte Juni der italienische Innenminister Matteo Salvini - und verweigerte dem Rettungsschiff Aquarius die Einfahrt in die Häfen des Landes. Das Schiff hatte 629 Flüchtlinge an Bord. Weil auch Malta ablehnte, fuhr das Schiff zwei Tage ziellos herum, bis Spanien bereit war, die Menschen aufzunehmen. Ebenfalls im Juni weigerte sich Malta, die Seefuchs anlegen zu lassen.

Es ist eine Fahrt ins Ungewisse

Astrid Janenzky erinnert sich genau an diesen 21. Juni. Monatelang gab es keine Probleme mit den Behörden. Plötzlich "sagten die: Ihr habt nicht die richtigen Papiere." Sie hat stundenlang telefoniert, "gekämpft, Mails und Papiere geschickt", erzählt Janenzky. Fünf Stunden dauerte es, bis die Seefuchs mitten in der Nacht wieder in Valletta einlaufen durfte. Dass es gelang, die Crew in Sicherheit zu bringen, sei ihr "größter Erfolg" gewesen, sagt Astrid Janenzky. Und trotzdem "der größte Misserfolg, weil das Schiff danach nie mehr auslaufen durfte".

Im September 2018 war dann kein einziges der privaten Rettungsschiffe mehr im Mittelmeer unterwegs. Die Schiffe wurden beschlagnahmt, ausgeflaggt, ohne Landeerlaubnis blockiert. "Es kann nicht sein, dass die Politik einfach die Augen zumacht", sagt Astrid Janenzky. So sehen das auch ihre Mitstreiter. Sie haben weiter Spenden gesammelt und haben davon die Professor Albrecht Penck gekauft, die bei der Hilfsorganisation intern Sea-Eye 2 genannt wird und die sich nun also auf dem Weg ins Mittelmeer befindet.

Das Rettungsschiff "Lifeline" rettet Flüchtlinge im Mittelmeer

Wie viele andere Schiffe privater Seenotrettungs-Organisationen wurde auch die "Lifeline" im Sommer 2018 beschlagnahmt. Kapitän Claus-Peter Reisch steht derzeit in Malta vor Gericht.

(Foto: AP)

Es ist eine Fahrt ins Ungewisse, da die Organisation nicht mehr einschätzen kann, wer sie bei der Rettung der Flüchtlinge unterstützt. Bis jetzt war die Sea-Eye-Mission nicht darauf ausgerichtet, Menschen an Bord nehmen. "Im Normalfall sichern wir die Flüchtlinge mit Rettungswesten und bleiben bei ihnen, bis Hilfe kommt", sagt Janenzky.

Aber was passiert, wenn künftig keine Hilfe mehr kommt? Die Sea-Eye 2 ist größer und stabiler als die Seefuchs und die Sea-Eye, die derzeit mit Maschinenschaden in Malaga liegt. Trotzdem hofft Janenzky, "dass wir nicht gezwungen sind, Menschen an Bord zu nehmen". Der neue Anlauf ist für Janenzky Rettungsmission und Botschaft zugleich. "Wir wollen den europäischen Ländern zeigen: Macht die Augen auf! Hier sind immer noch Menschen, die ertrinken." Ob die Politik darauf reagieren wird? "Das muss die Zeit zeigen", sagt Janenzky.

Derzeit suchen die Sea-Eye-Organisatoren Nautiker für die Überfahrt der Sea-Eye 2 vor die libysche Küste. Und auch für die Seefuchs, die inzwischen die Erlaubnis bekommen hat, Malta zu verlassen und nach Deutschland zurückgebracht werden soll. Neben der Sea-Eye 2 wird die Organisation wohl noch in dieser Woche die Bavaria One auf Beobachtungsmission ins Mittelmeer schicken. Dass der Name des Schiffs an das geplante bayerische Raumfahrtprogramm erinnert, ist kein Zufall. Warum rauf ins Weltall, wenn es unten noch Probleme zu lösen gibt? Das ist die Botschaft.

Astrid Janenzky wird die neue Sea-Eye-Mission von Aschaffenburg aus beobachten. Sie sagt: "Ich habe hier auch kein langweiliges Leben." Aber klar, im neuen Jahr will sie wieder mitmachten bei der Seenotrettung. "Ein paar Wochen", nicht länger. Das ist jedenfalls ihr Plan.

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