Flüchtlinge in Turnhallen:Furcht vor meuternden Eltern

Flüchtlinge in Turnhallen: Notquartier: Im Mai wurde die Vaterstettener Turnhalle schon einmal zum Schlaflager umfunktioniert.

Notquartier: Im Mai wurde die Vaterstettener Turnhalle schon einmal zum Schlaflager umfunktioniert.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)
  • In vielen Schulturnhallen in Bayern sind derzeit Flüchtlinge untergebracht.
  • Sportunterricht und das Training von Vereinen muss deshalb an vielen Orten ausfallen.
  • Die Landräte suchen dringend nach anderen Lösungen, weil sie meuternde Eltern fürchten, deren Kindern der Sportunterricht verwehrt wird.

Von Anna Günther und Wolfgang Wittl, Raubling

Die drei Ausrufezeichen zeugen von einer gewissen Vorfreude: "Die neue Saison beginnt!!!", heißt es auf der Homepage. "26.09.15 Erster Heimspieltag." Doch das mit den Heimspielen ist im Moment so eine Sache. Normalerweise tragen die Handballer des TuS Raubling ihre Partien in der Turnhalle des Gymnasiums aus. Die aber wird seit Wochen als Unterkunft für Asylbewerber benötigt. Elf Mannschaften und 140 Jugendliche zählt die Raublinger Handballabteilung.

Die Vorbereitung absolvierten die Spieler im benachbarten Bad Feilnbach oder Brannenburg, Trainingszeiten mussten zusammengelegt werden, Fahrgemeinschaften gegründet. Im Winter, als die Halle schon mal als Flüchtlingsunterkunft benötigt wurde, hat der TuS eine Taskforce ins Leben gerufen, berichtet Abteilungsleiter Markus Rädel. Die habe nichts anderes zu tun, als Ausweichquartiere zu organisieren.

Dutzende Turnhallen sind zweckentfremdet

Die Erfahrung der Raublinger Handballer teilen viele Sportvereine in Bayern. Doch die wahren Probleme beginnen erst, wenn kommende Woche das neue Schuljahr startet. "Turnhallen sind ein besonders sensibles Thema", sagt der Präsident des bayerischen Landkreistags, der Deggendorfer Landrat Christian Bernreiter. Meuternde Eltern, die dagegen protestieren, dass ihren Kindern der Zugang zum Sportunterricht verwehrt wird - "jeder Lokalpolitiker scheut das", weiß Bernreiter. Grundsätzlich herrscht in der Bevölkerung Solidarität mit Flüchtlingen, bei Turnhallen hört das Verständnis aber offenbar auf. Bernreiter hat das selbst gemerkt. Als er in seinem Landkreis auf der Suche nach Unterkünften auch Turnhallen ins Auge fasste, schlug ihm sofort Kritik entgegen.

Dutzende Turnhallen in Bayern sind derzeit zweckentfremdet, die Zahl ändert sich wie die Zahl der ankommenden Flüchtlinge beinahe täglich. 40 Schulturnhallen sind es momentan. Die oberbayerischen Hallen sind da noch nicht miteingerechnet, dort führt man wegen der Tausenden Neuankömmlinge derzeit keine Statistik. Über die Sommerferien waren die Turnhallen eine schnelle Lösung, doch alle Regierungsbezirke sind bemüht, die Flüchtlinge zum Schulanfang anderswo unterzukriegen. In der Oberpfalz sollen Gewerbehallen Ersatz bieten, damit die fünf Schulturnhallen wieder frei werden. In Oberfranken scheinen zumindest in Bayreuth und Kulmbach zum Schuljahresbeginn Alternativen bereitzustehen. In Mittelfranken und Niederbayern sind derzeit nur je eine Schulturnhalle mit Asylbewerbern belegt.

Sporthallen sind eine schnelle Lösung

Doch was tun, wenn die Wirklichkeit alle Planungen überholt? In der Nacht zum Mittwoch kamen in Deggendorf sechs Busse aus Wien an, insgesamt 350 Flüchtlinge, die es plötzlich zu versorgen galt. Turnhallen bleiben dann oft als einzige Möglichkeit. Bernreiter brachte die Flüchtlinge in der Mettener Klosterturnhalle unter, mit dem Versprechen, spätestens bis Freitag ein anderes Quartier gefunden zu haben. Um flexibler reagieren zu können, wird der Landkreis Deggendorf in Kürze zwei Traglufthallen für insgesamt 480 Menschen aufstellen. Trotzdem könne es im Notfall sein, dass er kurzfristig auf Turnhallen zurückgreifen müsse, sagt Bernreiter.

Im Kultusministerium wirbt man für Solidarität in besonderen Zeiten. Die Schulen meldeten nur, dass ihre Halle belegt seien. Wie dann der Unterricht stattfindet, sei jeder Schule selber überlassen. Es gebe Pausenhöfe, Außenanlagen oder die Aula, sagt ein Ministeriumssprecher. Die Situation soll kreativ genutzt werden, etwa durch einen Fitness-Parcours im Schulgebäude. Ausfallen müsse keine Stunde, auch im Sport gebe es Themen, die im Klassenzimmer unterrichtet werden könnten.

Planungen mit vielen Unbekannten

Notunterkunft für Asylbewerber in Turnhalle

Die Frankenhalle in Neustadt bei Coburg.

(Foto: David Ebener/dpa)

Die Sportstunde ins Freie zu verlegen, nennt Simone Fleischmann, die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, "realitätsfern". Sie fragt: "Was machen wir, wenn es regnet?" Die Schulen sollten flexibel sein. An ihrer früheren Schule in Poing habe sich die Grund- und Mittelschule mit der Realschule eine andere Halle geteilt, als in der eigenen Sporthalle Flüchtlinge einzogen.

Dass die 199 Menschen über den Sommer in der Turnhalle wohnten und die Ferien dazwischen lagen, ist für die Direktorin des Raublinger Gymnasiums, Kathrin Hörmann-Lösch, ein Segen. So fanden die meisten Sportstunden seit Anfang Juni draußen statt, und wegen der Hitze sei der Nachmittagsunterricht der Jüngeren ohnehin ausgefallen. "Bei 35 Grad können sie in der Sonne keinen Sport machen", sagt Hörmann-Lösch. Der Sportunterricht war das kleinste Problem.

Schulen sind kein idealer Unterbringungsort

Aber es dauerte Wochen, bis sich Schule und Asylbewerber aneinander gewöhnten. Am Anfang waren viele Eltern beunruhigt, weil nur junge Männer zwischen 18 und 30 Jahren in der Turnhalle wohnten. Dieser Spagat zwischen besorgten, befremdeten oder übereuphorischen Eltern und hilfsbereiten Schülern war nicht leicht für die Schulleiterin. Gerade kulturelle Unterschiede beim Umgang, bei Blicken oder Kleidung, forderten für Schüler und Lehrer immer wieder.

Obwohl Schulbetrieb und Unterkunft nur acht Wochen parallel liefen und vor den Ferien sogar gemeinsam Fußball gespielt wurde, ist Hörmann-Lösch froh, dass die Halle Ende September wieder frei sein soll. Am Mittwoch erreichte sie das Schreiben des Landratsamtes, so ganz kann sie es noch nicht glauben. "Schulen sind nicht der ideale Unterbringungsort, besonders nicht für junge Männer", sagt die Direktorin. Dass die Halle nicht lange frei bleiben wird, davon ist Hörmann-Lösch überzeugt. "Aber wenn es irgendwie geht, dann bitte mit Familien."

Im Landratsamt Rosenheim will man nichts ausschließen. Bis 18. September soll die Turnhalle in Raubling geräumt sein, von 28. September an soll sie wieder für den Schulsport zur Verfügung stehen. "Das ist der Plan", sagt ein Sprecher. Doch was ist, wenn der Freistaat plötzlich weitere Unterkünfte für den Notfallplan benötigt? Handball-Abteilungsleiter Rädel jedenfalls rechnet bis auf weiteres nicht mehr mit der Gymnasiumhalle. Der erste Heimspieltag werde definitiv in Bad Feilnbach stattfinden.

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