Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge in Pfarrkirchen:In Gottes Namen

Dass da Leute aus der Fremde an die Marienwallfahrtstätte ziehen sollten, hat nicht jedem im niederbayerischen Pfarrkirchen gefallen. 20 Asylbewerber wohnen nun in dem leerstehenden Klostertrakt. Warum von der anfänglichen Skepsis nicht viel geblieben ist.

Von Ulrike Heidenreich, Pfarrkirchen

Oben auf dem Gartlberg sitzt der Stadtpfarrer in der prächtigen Wallfahrtskirche und denkt nach. Um ihn herum Votivtafeln von Kriegsheimkehrern und Kranken. "So viele Dankesgaben haben wir hier von Menschen, die verzweifelt waren. Vielleicht hängen da in ein paar Jahren Bilder von Schiffen, die über das Mittelmeer kommen", sagt Hans Eder. Der Gartlberg, das ist so etwas wie ein heiliger Berg für Pfarrkirchen und für das niederbayerische Rottal. Vor wenigen Tagen haben hier oben Flüchtlinge ein Obdach gefunden.

Dass da Leute aus der Fremde auf ihrem Kalvarienberg wohnen sollen, hat nicht jedem gefallen. Es gab einen kleinen Glaubenskrieg deswegen, aber er dauerte nur kurz. Wer Ängste vor Ausländern schüren möchte, tut sich nicht mehr so leicht wie vor 20, 30 Jahren; die Menschen sind offener geworden. Dazu kamen starke Signale: Der Passauer Bischof gab den leer stehenden Klostertrakt unbeirrt her, der Landrat von der CSU verwies auf die humanitäre Pflicht, die alle Rottaler hätten. Nun helfen sie alle zusammen, die Polizei, die Politiker, die Vereine - von Fremdenfeindlichkeit wollen sie hier nichts wissen. Trotzdem bleibt es eine Gratwanderung.

Zwischen Inn und Rott leben 460 Asyslbewerber

Im Landkreis Rottal-Inn geht es so zu wie in vielen Regionen Deutschlands. Täglich kommen übermüdete Flüchtlinge aus den Erstaufnahmeeinrichtungen an, die Suche nach einem Bett für sie ist kompliziert. 9,7 Prozent aller Asylbewerber, die nach einem Verteilungsschlüssel Niederbayern zugewiesen werden, soll man hier zwischen Inn und Rott unterbringen. In acht Unterkünften leben momentan 460 Menschen. Wobei 60 davon "Fehlbeleger" sind - dieser bürokratische Ausdruck ist Landrat Michael Fahmüller sichtlich unangenehm. Das sind jene, deren Asylverfahren abgeschlossen ist, die bleiben dürfen, aber keine Wohnung finden.

Ein Parteifreund von Fahmüller, der ehemalige Pfarrkirchner Bürgermeister, hatte kürzlich einen gereizten Brief an den Passauer Bischof Stefan Oster geschrieben: Er ignoriere die Gefühlslage der Menschen, die Marienwallfahrtsstätte sei ein zu sensibler Bereich, um dort Asylbewerber unterzubringen, formulierte Georg Riedl: "Die Volksseele kocht, aber keiner traut sich öffentlich etwas zu sagen." Später legte der Ex-Politiker noch nach: Wenigstens müsse man Möglichkeiten prüfen, hier dann halt "brutal verfolgte Christen" unterzubringen.

Danach riefen beim Landrat ein paar Leute an, die Angst hatten, der Islam überrenne das Christentum. Aber es waren nicht viele, sagt Fahmüller. Auch trauen sich dreiste Immobilienbesitzer nicht mehr, feuchte Löcher als Unterkünfte anzubieten. Das war früher anders. "Der Respekt vor dem Schicksal dieser Menschen ist gewachsen." Und so berichtet der Landrat von einer Frau, die Flüchtlingskinder mit Plastiktüten in die Schule laufen sah, umdrehte und ihnen Ranzen kaufte.

"Die Menschen müssen einem leidtun"

Oder von dem Ort Schönau, wo 35 Asylbewerber 31 Helfern gegenüberstehen - Willkommensfeste, Fahrdienste, Sprachkurse, jeder will etwas tun. Und er erzählt von einem 15-jährigen Flüchtlingskind in Eggenfelden: "Der Junge musste zuschauen, wie seinem Vater der Kopf abgeschlagen wurde. Diese Menschen müssen einem leidtun, egal welche Religion sie haben."

Wie es der Zufall will, ist ein Großteil der 20 Asylbewerber, die nun im ehemaligen Schülerheim der Salvatorianer wohnen, aus Eritrea, sie sind alle orthodoxe Christen. "Das hat der liebe Gott gefügt", sagt Franz Wasmeier mit zynischem Unterton. Er ist Leiter dieses und zwei weiterer Heime im Landkreis und ein praktisch veranlagter Mensch. Früher bei den Patres, die im Juli weggezogen sind, war er Hausmeister, er ist aktiv in der katholischen Jugendarbeit, engagiert gegen rechts. In seinem Haus soll alles sauber und friedlich sein. Wasmeier stapelt Spülmittel, Windeln, Decken generalstabsmäßig in Kammern. Alles perfekt - und das schützt ihn vielleicht vor all den anderen Unwägbarkeiten.

Immer montags gibt er bei der Regierung von Niederbayern die Zahl der freien Betten durch. 50 hat er hier, verteilt auf Zwei- bis Fünfbettzimmer mit Gemeinschaftsdusche. Wasmeier weiß nie vorher, wer im Bus sitzen wird, welche Schicksale, welche Nationalitäten. Er achtet peinlich darauf, dass es mit den Nachbarn keine Probleme gibt. "Ich will ein gutes Klima, weil wir in der politischen Diskussion stehen", sagt er. Gerade hat ihn ein junger Eritreer um ein Kruzifix für sein Zimmer gebeten, Wasmeier hat es in einem leeren Raum für ihn abgeschraubt. "Schreiben's des!"

Von den Ankömmlingen sind nur wenige auf dem Gang zu sehen. "Die sind fertig, die hauen sich in die Falle", sagt der Heimleiter. Da ist die Frau aus Kongo, die auf der Flucht mehrmals vergewaltigt wurde, zuletzt im griechischen Durchgangslager. Da ist ein junger Syrer, der dünn und stumm im Eingang steht und nicht so recht zu wissen scheint, was er hier verloren hat. Tagsüber schlichtet Wasmeier Streit, wenn es nachts zu laut war: "Manche schreien wie am Spieß, wenn sie schlimme Träume haben. Da sind die anderen sauer, weil sie aufwachen." Alltag im Asylbewerberheim. Gerade war eine Gruppe vom Frauenbund da und hat Winterkleidung gebracht.

Viel Wohlwollen spürt der Heimleiter hier. In der Kirche haben sie sich gefreut, als die Flüchtlinge halfen, die schwere Erntekrone hinauszutragen. Aber damit die Stimmung so bleibt, muss alles picobello sein. Kein Schmutz, keine Gewalt. Wasmeier wartet, wie er sagt, "auf Besuch der Neonazis". Die stellen sich vor jedes Heim im Rottal und fotografieren es. In Schönau hat eine rassistische Gruppierung mit dem perfiden Namen "Dritter Weg" Flugblätter gegen Asylbetrug verteilt. Die Leute im Ort habe das "Gott sei Dank" null beeindruckt.

Kein Zögern vom Passauer Bischof

Im Passauer Palais sitzt der neue Bischof in seinem blitzweißen Büro und verfolgt mit Interesse, was da rund um die Wallfahrtskirche geschieht. Stefan Oster sagt: "Es liegt in der Natur von jedem von uns: Das Fremde macht zunächst Unbehagen." Früher, als er noch als Journalist gearbeitet habe, habe sich das aber stärker bemerkbar gemacht, meint er. "In den Achtzigerjahren war es problematischer. Die Menschen haben sich geöffnet, die Gesellschaft hat sich entwickelt."

Für ihn war es keine Sekunde eine Frage, das Salvatorkolleg zu öffnen; Betten, Küchen, alles sei doch schließlich da. Gerade hat er eine Predigt für die Diakonenweihe am Samstag geschrieben. Es geht um das Weltgericht im 25. Kapitel des Matthäus-Evangeliums. Da teilt Jesus die Menschheit zur Linken und zur Rechten ein. "Der Herr zählt hier lauter Unterlassungen. Da hat keiner etwas Böses getan, sondern er hat etwas Gutes unterlassen", erklärt der Bischof. "Und so ist die Kirche, jeder Christ, jede Christin, aufgerufen, Menschen in Not zu helfen."

Auf jene Menschen in Pfarrkirchen, die unterschwellig Angst verspüren, will der Bischof auch eingehen. Ein runder Tisch der Diözese zur Flüchtlingsarbeit soll aufklären. Und die Wallfahrt, "ein Herzensanliegen der Gläubigen", will Oster auch erhalten. Er sucht gerade intensiv nach Ordensleuten, die in das Kloster einziehen könnten. Der Bischof lächelt. Denn die Chancen stehen gut. Und so könnte es sein, dass bald Flüchtlinge und Patres gemeinsam auf dem Gartlberg wohnen.

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Quelle:
SZ vom 23.10.2014/lime
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