Flüchtlinge in Bayern:Wie die Stadt Eichstätt anpackt

Flüchtlinge in Bayern: Solche Kontakte bereichern ihr Leben: Eine pensionierte Deutschlehrerin unterhält sich mit einem jungen Nigerianer.

Solche Kontakte bereichern ihr Leben: Eine pensionierte Deutschlehrerin unterhält sich mit einem jungen Nigerianer.

(Foto: Oliver Strisch)
  • Bewohner der oberbayerischen Stadt Eichstätt engagieren sich, um einen menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen zu demonstrieren.
  • Studenten und die Präsidentin der Uni Eichstätt engagieren sich in der Summer School, in der Flüchltingen Deutsch beigebracht wird.
  • Bischof Gregor Maria Hanke hat ein Haus für 240 Flüchtlinge zur Verfügung gestellt.

Von Martina Scherf, Eichstätt

Vom Brunnen am Marktplatz grüßt der bronzene St. Willibald. Der englische Mönch, Gründer und Schutzpatron des Bistums, war weit durch das kriegerische Europa gereist, als ihn Papst Gregor III. im 8. Jahrhundert zur Missionierung der Heiden nach Eichstätt schickte. Burg, Priesterseminar, Gymnasium, eine Wallfahrt sind nach ihm benannt - Willibald ist in der Stadt omnipräsent. Was er wohl zu dem bunten Treiben zu seinen Füßen sagen würde?

Die Sonne scheint an diesem Morgen auf die barocken Fassaden, Touristen radeln übers Kopfsteinpflaster. Scharen von Flüchtlingen haben ein gemeinsames Ziel: die Summer School der Eichstätter Studenten. Während die Politik ratlos und die Gesellschaft irritiert ist über die vielen Asylsuchenden, geschieht hier, im beschaulichen Altmühltal, Erstaunliches: Eine ganze Stadt packt an, um Menschlichkeit zu demonstrieren.

Deutsch lernen mit bayrischem Zungenschlag

"Ich heiße Mahmoud, ich bin 17 Jahre alt, ich komme aus Syrien", sagt ein junger Mann in einem der Klassenzimmer der Universität Eichstätt, "im September gehe ich aufs Gymnasium in Ingolstadt." Vor fünf Monaten kam Mahmoud nach Bayern. Auch der 23-jährige Weldu aus Eritrea ist überaus motiviert. "Mit einer App, deutsch-englisch, schaue ich Wörter nach", sagt er. Wally Reichert steht vor ihrer Klasse und malt in schönster Lehrerschrift Sätze der zweiten Vergangenheit an die Tafel: Ich bin gekommen. Ich habe gegessen. Die ehemalige Realschullehrerin blickt ihre Schüler aufmunternd an. Sie sollen vom gestrigen Tag berichten. "Ich bin in der Schule gewesen", sagt Weldu, "dann habe ich Brotzeit gemacht". Ein bayerischer Zungenschlag gehört dazu.

Zum dritten Mal halten Studenten der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) die Summer School für Flüchtlinge ab. Was als kleine Idee begann, hat inzwischen Kreise weit über die Stadt hinaus gezogen. Mehr als 350 Erwachsene nehmen in diesem Sommer teil, dazu kommen 50 Kinder und 100 Helfer aus dem ganzen Landkreis, vom Schüler bis zur Rentnerin. Anwohner bringen Asylbewerber aus den abgelegenen Dörfern nach Eichstätt und abends wieder zurück, bis zu 50 Lehrer sind im Einsatz, es gibt Sport-, Kunst-, Musikangebote und Stadtführungen, Hausfrauen übernehmen die Kinderbetreuung.

Deutschkurse für bis zu 200 Erwachsene

"Ich hätte selbst kaum geglaubt, dass wir das noch schaffen", sagt Simone Zink, eine der Gründerinnen des Projekts. Die Studentin der Religionspädagogik ist zur Managerin avanciert. Als vor etwa zwei Jahren auch im Landkreis Eichstätt die ersten Plakate auftauchten mit Parolen wie "Keine Asylanten", da überlegten die Studenten, wie sie reagieren sollten. "Wir wollten nicht einfach nur dagegen sein", sagt Simone Zink, "sondern selber etwas tun." So entstand die Tun-Starthilfe. Seither geben sie das ganze Jahr über Deutschkurse für bis zu 200 Erwachsene, fahren dazu in die dezentralen Unterkünfte und organisieren in den Ferien die Summer School.

Draußen im Garten der Katholischen Hochschulgemeinde sitzt Uni-Präsidentin Gabriele Gien mit einigen Studenten. Für ihr Engagement erhalten sie Credit Punkte fürs Studium. "Deswegen leisten wir hier aber nicht 15-Stunden-Tage", sagt Anna Speer, "es ist einfach ein tolles Gefühl, so viel Liebe, Freundschaft und Dankbarkeit zu erhalten". Studenten aus anderen Städten, bis hinauf nach Hamburg, meldeten sich inzwischen und wollten wissen, wie sie das in Eichstätt machen, berichtet Stefan Arndt, der im zweiten Semester Kultur und Medien studiert.

Kompetenzzentrum für Flucht in Planung

Flüchtlinge in Bayern: Küchenchef Ulrich Hauptstock: Der Berufsschullehrer unterrichtet Flüchtlingsklassen. In den Ferien wollte er mal was anderes machen.

Küchenchef Ulrich Hauptstock: Der Berufsschullehrer unterrichtet Flüchtlingsklassen. In den Ferien wollte er mal was anderes machen.

(Foto: Oliver Strisch)

Und die Uni-Präsidentin denkt noch weiter: Sie will ein Kompetenzzentrum für Flucht und Migration in Eichstätt gründen, ist darüber im Gespräch mit der Roland-Berger-Stiftung, die diverse Flüchtlingsprogramme unterstützt. Denn unter den Asylbewerbern seien viele gut ausgebildete junge Leute wie Mahmoud, dieses Potenzial gelte es zu fördern.

Der Garten hat sich mittlerweile gefüllt, gleich gibt es Mittagessen. Die Biertisch-Garnituren und Kühlwagen stiftete die örtliche Brauerei. Den ganzen Vormittag haben Helfer Gemüse geschnippelt und Reis gekocht. Ulrich Hauptstock kommt schwitzend aus der Küche. Der Berufsschullehrer, Typ Gemütsmensch, ist diese Woche Küchenchef. "Ich koche zu Hause auch für sieben Leute, aber für 400, das ist schon was anderes", sagt er schnaufend.

Seit zweieinhalb Jahren unterrichtet er Flüchtlingsklassen an seiner Schule, er wollte in den Ferien mal was anderes machen. Auch seine Schule leistet mehr als das Übliche: "Wir haben mit einer Klasse angefangen, jetzt sind es sieben", sagt Hauptstock. 50 minderjährige Flüchtlinge wohnen sogar auf dem Schulgelände, in Containern. Der Rektor war einverstanden, der Landrat froh, eine Lösung gefunden zu haben, das spart Transportkosten und schafft Nähe. Probleme gibt es selten, sagt Hauptstock. "Stell die Petersilie in die Küche, ich komm gleich", ruft Hauptstock jetzt einem seiner Schüler hinterher.

Man müsse halt miteinander reden

Am Nachbartisch ist eine pensionierte Lehrerin ins Gespräch mit einem jungen Mann aus Nigeria vertieft. Sie ist nicht nur in den Ferien im Einsatz, sondern gibt das ganze Jahr über Deutschunterricht in Flüchtlingsheimen und sagt, diese Kontakte hätten ihr Leben bereichert. Natürlich, das Stadtbild habe sich verändert, Mädchen und Mütter hätten manchmal Angst vor Gruppen ausländischer Männer. Aber man müsse halt mit ihnen reden, "gell, John?" Der 17-Jährige John versteht, wovon sie spricht, aber er versteht nicht, warum die Leute Angst vor ihm haben. "Wenn sie schwarze Junge sehen, sie schauen weg", sagt er.

Eine Eichstätterin schaukelt unterdessen ein schwarzes Baby auf dem Arm, dessen Mama noch im Unterricht sitzt. Da purzelt eine Kinderschar in den Garten, sie haben in der Turnhalle der Grundschule beim Kinderprogramm mitgemacht. Yassin schließt seinen Sohn in die Arme. Der ehemalige Chefkoch im Sheraton von Damaskus wechselt zwischen Küche und Klassenzimmer. Er kam mit seiner Familie vor einem Jahr nach Eichstätt und wünscht sich nichts mehr, als Arbeit zu finden. Bis er besser Deutsch kann, übersetzen seine Kinder für ihn. Beim Spielen lernen sie schnell.

Einsamkeit sei ein großes Problem für Flüchtlinge

Auch Maria Müller-Knapp begrüßt jetzt ihre Töchter. Die Sozialpädagogin der Caritas betreut Asylunterkünfte im Landkreis. Ihr Telefon steht kaum still. Mal muss jemand zum Arzt, mal steht ein Termin beim Flüchtlingsamt an, oft fehlt ein Dolmetscher. Einsamkeit sei ein großes Problem für die Flüchtlinge, der Kontakt zu Nachbarn oft schwierig. Yassin, der Koch, nickt. Ja, es gebe in jedem Ort auch ein paar ausländerfeindliche Leute, sagt Müller-Knapp. Aber die Polizei sei wachsam, und mit der Zahl der Flüchtlinge im Landkreis sei auch die Bereitschaft der Anwohner, mit anzupacken, gestiegen. Trotzdem: "Wir hoffen, dass die Stimmung nicht eines Tages kippt", fügt sie an. Da klingelt schon wieder das Handy: Ein Hausmeister ist dran, am Montag sollen die Bewohner seiner Unterkunft umziehen, wer bringt ihnen das bei? "Ich kümmere mich", sagt Müller-Knapp und verschwindet.

"Wer will Schokolade?", ruft ein Helfer, gerade hat jemand eine Kiste Süßigkeiten als Spende vorbeigebracht. Dann beginnt das Nachmittagsprogramm. Kunst bei Iris Pachowsky, die selbst einst an der KU studiert hat, steht unter anderem auf dem Plan, im Atelier der Universität. Da sitzen 30 Menschen und malen ganz still. Kinder zeichnen Blumen und Vögel, ein alter Mann das Meer. Hier müssen sie mal nicht reden und sich rechtfertigen, hier dürfen sie einfach nur da sein. Ein junger Syrer will trotzdem sein Bild erklären. Ein sinkendes Boot, daneben ein Mensch im Wasser: "Das bin ich. Sechs Stunden war ich im Meer, mit einer Schwimmweste", sagt er, "dann kam endlich ein Hubschrauber".

Bischof stellt leer stehende Realschule zur Verfügung

Menschen in Not zu helfen, sei eine urchristliche Aufgabe, betonte der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke. Er hat vor einem Jahr die leer stehende Realschule als Erstaufnahmeeinrichtung zur Verfügung gestellt, am Residenzplatz, mitten in der Stadt. 240 Flüchtlinge wohnen jetzt dort. Polizisten halfen beim Bettenaufstellen, Ärzte halten freiwillig Sprechstunden, Apotheker spenden Medikamente. In Eichstätt funktioniert vieles spontan, auch wenn die Behörden sich damit schwer tun.

Zurück zum Marktplatz. Gerade radelt Mahmoud vorbei, Kopfhörer im Ohr, "Servus", ruft er herüber. Ein paar andere Jugendliche sitzen jetzt am Willibalds-Brunnen. Am Marktplatz ist offenes Wlan, einer der wenigen Orte, wo sie mit ihren Familien telefonieren können. Manche Eichstätter verunsichert das. "Wieso haben die alle Handys?", heißt es dann. Aber nein, von Kunden höre sie nichts, sagt die Verkäuferin der Metzgerei Schneider. Weder bei Edeka noch beim Bäcker berichtet jemand Negatives. Robin Baumgartner, der minderjährige Flüchtlinge betreut, kennt die Vorurteile, aber er kann erklären, was da passiert. Es kommt vor, dass einer seiner Jungs mit seiner Mutter in Syrien telefoniert, und im Hintergrund fallen Bomben. Da rückt die Welt plötzlich ganz nahe an die bayerische Idylle heran.

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