Geflohene in Bayern:Flüchtlinge als Pflegehelfer

Geflohene in Bayern: Auch Rosa Müller freut sich über Schahab Zrar Ahmed (links) und Mizamudin Mirzazada.

Auch Rosa Müller freut sich über Schahab Zrar Ahmed (links) und Mizamudin Mirzazada.

(Foto: D. Mittler)

Der Afghane Mizamudin Mirzazada und der Iraker Schahab Zrar Ahmed waren lange zum Nichtstun verdammt. Heute arbeiten sie in einem Altenheim - und haben viele Fans.

Von Dietrich Mittler, Neuötting

Kaum hat sich der hochgewachsene junge Mann im Neuöttinger BRK-Altenheim einer Gruppe von Senioren genähert, da ergreift auch schon eine alte Dame im Rollstuhl seine Hand, schüttelt sie freudig - und hört überhaupt nicht mehr auf, sie zu schütteln. Mizamudin Mirzazada, Asylbewerber aus der hart umkämpften Region Kundus in Afghanistan, lächelt freundlich und hilflos zugleich. Sanft löst er sich aus der Dauerbegrüßung.

Der 28-jährige Afghane arbeitet seit gut zwei Jahren als Pflegehelfer im Seban-Dönhuber-Haus, welches das Bayerische Rote Kreuz betreibt. Kurz nach dem Erlebnis mit der alten Dame steht er mit seinem Kollegen Schahab Zrar Ahmed im Zimmer der 88-jährigen Rosa Müller. Auch die strahlt übers ganze Gesicht. "Die beiden sind wirklich lieb", sagt sie.

"Man muss sich um die alten Leute kümmern"

Mirzazadas Arbeitsplatzbeschreibung lässt erahnen, warum die alten Menschen ihm und seinem Kollegen so gewogen sind: "Man muss sich um die alten Leute kümmern", sagt er, "man muss sie waschen, Essen eingeben, Geschichten erzählen, trösten - und so vieles mehr."

Schahab Zrar Ahmed, 29 Jahre alt, stammt aus dem Irak. Seine Fluchtgeschichte gleicht einer Odyssee und begann bereits mit acht Jahren. Auf beide Unterarme hat er sich eine Hand tätowieren lassen, geziert mit für deutsche Augen exotischen Buchstaben. "Der kurdische Buchstabe hier steht für Mutter. Wenn ich beide Arme beim Gebet zusammennehme, heißt das: Ich bete für meine Mutter. So habe ich sie immer vor Augen", sagt er.

Pflegekräfte fehlen

Die Sehnsucht nach engsten Verwandten quält ihn, auch wenn er in Neuötting inzwischen selbst eine kleine Familie gründen konnte. Seine Partnerin, sie stammt ebenfalls aus einer irakischen Familie, wurde im oberbayerischen Mühldorf am Inn geboren und hat mittlerweile einen deutschen Pass. Das gemeinsame Töchterchen wird bald vier Jahre alt - und es ist wie die Mutter in Bayern zur Welt gekommen.

Es gab Zeiten, da wollte Schahab Zrar Ahmed so schnell wie möglich wieder weg aus Deutschland. Es waren die Jahre, in denen er tatenlos mit bis zu acht anderen Asylbewerbern in einem Zimmer zubringen musste. "Von manchen Leuten höre ich Fragen wie: Was hast du denn all die Jahre gemacht, bist du immer nur zu Hause gesessen?", berichtet der 29-Jährige. Auf solche Fragen mag er gar nicht mehr antworten.

Ohne couragierte Helfer geht es nicht

Zrar Ahmed wollte dieser Zwangserstarrung entfliehen, ging unter anderem nach England, nach Frankreich und in die Schweiz, wo er dann letztlich doch noch Deutsch lernen konnte. Aber er wurde aus diesen Ländern immer wieder zurückgeschickt nach Deutschland, denn dort waren seine Fingerabdrücke das erste Mal erfasst worden.

Zrar Ahmeds Zukunftsperspektive änderte sich erst, als sich zwei couragierte Frauen im Seban-Dönhuber-Haus für den jungen Iraker einsetzten - wie bereits zuvor für Mirzazada: Die Pflegedienstleiterin Waltraud Heidmann und die Einrichtungschefin Cornelia Seemann setzten allen anfänglichen Widerständen zum Trotz durch, dass die beiden Asylbewerber zunächst ein Praktikum und schließlich auch einen Pflegehelferkurs besuchen konnten. Davon profitiere das Rote Kreuz, ist sich die stellvertretende BRK-Präsidentin Brigitte Meyer sicher. "Uns fehlen gut ausgebildete Kräfte in der Pflege", sagt sie.

Die BRK-Einrichtung bietet selbst Deutschkurse an

Mirzazadas und Zrar Ahmeds Chefinnen lassen keine Zweifel daran aufkommen, wie zufrieden sie mit den zwei Pflegehelfern sind, die zusammen in einer Schicht eingeteilt sind. Mittlerweile hat die BRK-Einrichtung auch Schutzsuchende aus Fernost als Mitarbeiter aufgenommen. Damit die neuen Pflegekräfte rasch in ihr neues Leben hineinfinden, bietet das Haus intern selbst Deutschkurse an.

Mirzazada und Zrar Ahmed sagen, sie seien nach langen Jahren endlich angekommen. "Uns geht es gut, wir sind zufrieden", betonen sie. Mirzazada erzählt von der guten Nachbarschaft mit einer deutschen Familie: "Ich besuche sie in meiner Freizeit. Wir reden zusammen, wir essen zusammen - wie Freunde."

Heute hilft Mirzazada selbst in einer Asylunterkunft

Doch der 28-Jährige hat die Strapazen der Flucht nicht vergessen, die er wie Schahab Zrar Ahmed als Kind durchlebt hat. So kümmert er sich in der Freizeit auch um Asylbewerber aus seiner Heimat, hilft bei Arzt- und Behördenbesuchen als Übersetzer aus.

In der Altöttinger Asylunterkunft hat der 28-Jährige auch einen etwa zwölfjährigen Buben aus Afghanistan angetroffen. Mirzazada fragte ihn, wie er denn allein hierhergekommen sei, er sei doch noch so klein. Der Bub antwortete: "Ich wollte nicht weg. Aber meine Eltern haben gesagt: Wir wollen nicht, dass du hier stirbst." Mirzazada kann nicht verbergen, dass ihn das rührt: "Das ist die gleiche Geschichte, die mir passiert ist."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: