Flüchtlinge in Bayern:Feriendorf als Notunterkunft

Flüchtlinge in Bayern: Das etwas in die Jahre gekommene Feriendorf im Siegsdorfer Ortsteil Eisenärzt stand zuletzt leer.

Das etwas in die Jahre gekommene Feriendorf im Siegsdorfer Ortsteil Eisenärzt stand zuletzt leer.

(Foto: Heiner Effern)

Im überfüllten Erstaufnahmelager in München ist kein Platz mehr für sie: 200 Asylbewerber werden über Nacht in einer leer stehenden Ferienanlage im Chiemgau einquartiert.

Von Heiner Effern, Dietrich Mittler und Mike Szymanski, Siegsdorf

Die Tür des Busses unten am Parkplatz geht auf, junge Schwarze mit Baseball-Caps steigen aus, Männer mit viel zu großen Winterjacken und nichts als Flip-Flops an den Füßen, eine Mutter mit einem Mädchen an der Hand, eine verschleierte Frau. Sie gehen die Stufen zum Eingang hinauf, passieren die ersten Bungalows und stellen sich an der Rezeption an. Doch anders als die Gäste in den vergangenen 50 Jahren sind die Neuankömmlinge nicht freiwillig in das idyllisch gelegene Feriendorf nach Oberbayern gekommen. Sie sind nicht im Urlaub, sie sind auf der Flucht.

An der Eingangstüre zum Check-in des Chiemgau Resorts im Siegsdorfer Ortsteil Eisenärzt steht Cornelia Stahr. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet sie bei der Regierung von Oberbayern mit Flüchtlingen, sie hat schon manche ungewöhnliche Unterkunft gesehen. Ein in die Jahre gekommenes Feriendorf im Laufe eines Wochenendes zu einer Außenstelle der Münchner Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende machen - kein Problem.

Sie kann über knapp die Hälfte der 110 Häuschen verfügen, Vierer- und Sechser-Bungalows, mit Bad, sogar eine Küche ist in jedem vorhanden. "Ist doch alles perfekt hier", sagt sie. Mit der Auslastung hat sie im Gegensatz zu den Vorbesitzern, einem holländischen Reiseanbieter, keine Probleme. Die 200 Betten waren innerhalb von 24 Stunden belegt. "Das war gerade der Bus mit den letzten Neuankömmlingen. Nun sind wir voll", sagt Stahr.

Maximal 200 Flüchtlinge für maximal vier Wochen

Das galt am Wochenende auch für die Münchner Erstaufnahmestelle in der Bayernkaserne. Erstmals stieg die Zahl der Flüchtlinge dort auf mehr als 3000. Jedes Eck war belegt, auch die Garagen wurden wieder als Notquartiere eingesetzt. Schon am Freitagnachmittag war klar, dass die Grenze erreicht ist. Also erhielt der Siegsdorfer Bürgermeister Thomas Kamm (Unabhängige Wähler) am Abend auf der Geburtstagsfeier seiner Frau einen Anruf, ob sein Ort nicht spontan 500 Asylsuchende aufnehmen könne.

Flüchtlinge in Bayern: Bereits im Sommer war das Feriendorf als Flüchtlingsunterkunft im Gespräch. Deshalb konnte jetzt alles so schnell gehen.

Bereits im Sommer war das Feriendorf als Flüchtlingsunterkunft im Gespräch. Deshalb konnte jetzt alles so schnell gehen.

(Foto: Heiner Effern)

Das Feriendorf war bei der Regierung bekannt, weil der neue Eigentümer, der Unternehmer Max Aicher aus Freilassing, die Bungalows schon mal im Sommer als mögliches Quartier für Flüchtlinge angeboten hatte. Auch Aicher wurde am Freitag kontaktiert und stimmte spontan zu: "Es war für mich eine Selbstverständlichkeit, zu helfen."

Bürgermeister Kamm war ebenfalls bereit, aber nur in einem Rahmen, der so spontan auch seinen Bürgern zu vermitteln ist: Man einigte sich auf maximal 200 Flüchtlinge für maximal vier Wochen. Dann soll im Fliegerhorst Fürstenfeldbruck ein neues, dauerhaftes Quartier für eintreffende Flüchtlinge eingerichtet werden.

Dramatische Suche nach Notquartieren

Am Samstagvormittag fragte Kamm per Mail und Telefon seinen Gemeinderat ab: knappe Zustimmung. Um elf Uhr erfuhr die Regierung davon, Cornelia Stahr setzte sich ins Auto und war am Nachmittag in Eisenärzt. Malteser und BRK stießen dazu, am Sonntagnachmittag gegen 15 Uhr traf der erste Bus aus München ein.

Unter den ersten Neuankömmlingen war auch ein junger Mann aus Somalia. Er sitzt in einem Saal im Hauptgebäude, in dem noch unter volkstümlichem Trachtendekor mit künstlichen Tannengirlanden die Kantine eingerichtet wurde. Die Unterkunft zu viert im Bungalow, das Hühnerfrikassee, "alles ist gut", sagt er. Zwei Tische weiter essen zwei Syrer, die gerade angekommen sind. Wie der junge Somali haben sie keine Ahnung, wo sie gerade sind.

Betreuungsquote bei eins zu 150

"Schöner Platz, aber weit weg", sagen sie. Von München, von der Welt. Wie lange sie hier bleiben werden? "Wir wissen es nicht, das hat uns noch keiner gesagt." Sie werden vier Wochen bleiben, wie alle Bewohner des Feriendorfs, sagt Cornelia Stahr. Denn eine wechselnde Belegung hier draußen wäre logistisch kaum zu bewältigen. "Hier sind nur Neuankömmlinge, die später auch in Oberbayern bleiben werden."

Flüchtlinge in Bayern: In die Bungalows sind am Sonntag 200 Asylbewerber eingezogen.

In die Bungalows sind am Sonntag 200 Asylbewerber eingezogen.

(Foto: Heiner Effern)

Solch eine dramatische Suche nach Notquartieren quasi über Nacht will die Staatsregierung künftig vermeiden. Diebeiden ständig überfüllten Erstaufnahme-Lager in München und Zirndorf sollen durch fünf zusätzliche Einrichtungen entlastet werden. Jeder Regierungsbezirk muss eine Anlaufstelle anbieten, als letzter entschied sich nun Unterfranken für die Stadt Schweinfurt. Dort sollen die Flüchtlinge in ehemaligen Unterkünften der US-Army unterkommen. Die restlichen Einrichtungen sind in Deggendorf, Regensburg, Bayreuth und Augsburg geplant.

Am Montag beschloss das Kabinett zudem, die Asylsozialberatung für die Flüchtlinge in den Erstaufnahme-Einrichtungen auszubauen. Der Stellenschlüssel soll so angehoben werden, dass künftig auf 100 Asylbewerber ein Berater kommt. Bislang liegt die tatsächliche Betreuungsquote noch bei eins zu 150, in Extremfällen sogar bei eins zu 200.

Bayerns Sozialverbände hätten sich von der Staatsregierung weit mehr erwartet: Auch die Flüchtlinge in den Gemeinschaftsunterkünften sowie jene Asylbewerber, die dezentral - etwa in Pensionen - untergebracht seien, bräuchten mehr Beratung. Staatskanzleichef Marcel Huber sprach dagegen von "spürbaren Verbesserungen. Wir tun derzeit Schritt für Schritt das, was machbar ist. Wir haben da angesetzt, wo es jetzt am dringendsten ist."

Die Ausweitung der Residenzpflicht auf das gesamte Bundesgebiet, auf die sich die Länder nun im sogenannten Asylkompromiss geeinigt haben, wird laut Huber für die Flüchtlinge erst dann Realität, "wenn dafür die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen sind". Sobald das Bundesrecht sei, werde Bayern die Ausweitung der Residenzpflicht "von diesem Zeitpunkt an umsetzen". Im Wesentlichen können sich Asylbewerber in Bayern bislang nur im ihnen zugeteilten Regierungsbezirk frei bewegen.

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