Flüchtlinge in Bayern:Leben zwischen Aktendeckeln

Eine Schülerin vor einem Arbeitsbuch in der Isus-Schule in München, 2013

Die Mitarbeiter der Flüchtlingshilfe im Amt für Wohnen und Migration sind bemüht, trotz der bürokratischen und einschränkenden Vorgaben des Asylbewerberleistungsgesetzes den Flüchtlingen menschlich entgegenzukommen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Zahl der Asylbewerber steigt. Doch veraltete und umständliche Vorschriften erschweren das Leben von Flüchtlingen und Behörden. Zudem fehlt es an geeigneten Quartieren. Vor allem bei den minderjährigen Asylbewerbern ist die Lage prekär.

Von Sven Loerzer

Manche Wintertage können so grau sein, dass auch Büros mit großen Fenstern nicht ohne Kunstlicht auskommen. "Flüchtlingshilfe" steht an dem Büro der beiden Sachbearbeiter, das diese mit erstaunlich üppig wuchernden Zimmerpflanzen etwas freundlicher gestaltet haben. Im Wartebereich auf dem Flur davor, im ersten Stock des Amtes für Wohnen und Migration in der Franziskanerstraße 8, haben die ersten Flüchtlinge Platz genommen und warten auf ihren Aufruf.

Um 8.30 beginnt die Sprechzeit, bis zwölf Uhr bleiben die Plätze vor den Schreibtischen des Sachbearbeiters und seiner Kollegin, die ihre Namen nicht in der Zeitung lesen wollen, in der Regel nicht mehr leer. Über die Aufrufanlage gibt der Sachbearbeiter die Nummer 250 ein: "Der Mann aus dem Irak hat vor ein paar Tagen angerufen, weil er seine Arbeit verloren hat und ihm nun das Geld ausgeht." Doch trotz des vereinbarten Termins taucht zunächst niemand auf. Erst eine Viertelstunde später kommt der Mann, unsicher um sich blickend und zögerlich, ins Büro. Auf einem Besucherstuhl vor einem der beiden Holzdekor-Schreibtische nimmt er Platz. Das, was von seinem Leben bereits erfasst und in durchnummerierten Einzelblättern zu einer Akte zusammengeheftet ist, hat der Sachbearbeiter bereits aus einem der grauen Stahlschränke mit den Hängeregisterauszügen geholt.

Weil der Iraker nur wenig Deutsch spricht, bestellt der Sachbearbeiter einen Sprachmittler für kurdisch. Das Wohnungsamt verfügt über einen Pool von Sprachmittlern in den Hauptsprachen, dazu kann es aber auch für vorher vereinbarte Termine Kräfte von außen holen, um bei selteneren Sprachen Übersetzungen zu ermöglichen. Während der kurzen Wartezeit auf den Sprachmittler kümmert sich der Sachbearbeiter um die Anfrage einer Frau, die um einen Krankenschein für den Augenarzt gebeten hat. Asylbewerber sind nicht krankenversichert und erhalten auch keine Versichertenkarte, sondern einen Krankenschein vom Flüchtlingsamt. Ihnen steht laut Gesetz nur die "erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung" akuter Erkrankungen und Schmerzzustände zu. Den Schein erhält die Asylbewerberin per Post.

Inzwischen ist der Sprachmittler eingetroffen, nun kann der Papierkrieg beginnen, an dessen Ende sich drei Aktendeckel mit vielen Papieren füllen. Für den Iraker existieren zwar Akten, weil er schon Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezogen hat. Aber die Hilfe für ihn, seine Frau und sein Kind wurde eingestellt, weil er einen Job fand. Eigentlich ist der befristete Arbeitsvertrag noch nicht ausgelaufen, doch der Arbeitgeber hat dem Mann gekündigt. Der Sachbearbeiter lässt sich die drei Ausweise der Familie geben, denn er braucht Kopien für die Akten. "Dann bräuchte ich noch die Kündigung." Der Mann kramt in einer Mappe mit lose gesammelten Unterlagen, wird aber nicht fündig.

Ohne Kündigung aber könne er den Antrag nicht bearbeiten, sagt der Sachbearbeiter freundlich und sucht nach einem neuen Termin. Da taucht das Schreiben doch noch auf, in einem Stapel mit gefalteten Papieren. "Dann bräuchte ich bitte noch die Kontoauszüge der letzten drei Monate", sagt der Sachbearbeiter. Auch sie finden sich. Im Computer hat er inzwischen das Formular "Antrag klein nach Unterbrechung" ausgewählt und so den "Weiterbewilligungsantrag" aufgerufen. Nun geht es ans Ausfüllen: "Datum des Bekanntwerdens der Notlage"? Das ist wichtig, denn staatliche Hilfe gibt es nicht rückwirkend. Der Tag seines Anrufs im Amt gilt und wird im Formular vermerkt. Viele weitere Fragen folgen. Nein, Vermögen hat der Familienvater nicht, einen Beruf auch nicht. Seine Frau ist schwanger, ja, den Mutterpass hat er dabei.

Pünktlichkeit ist wichtig

Vor dem Schreibtisch der Kollegin hat gerade ein Afrikaner Platz genommen. Sie spricht Englisch mit ihm, sagt, dass er eine Dreiviertelstunde zu spät dran sei. 8.30 Uhr sei schon sehr früh, sagt er und lächelt entschuldigend. Seine Sachbearbeiterin belässt es bei einem sanften Rüffel und spricht mit ihm den nächsten Termin ab, "9.30 Uhr, ist das okay?" Ja, nickt der mit entwaffnendem Grinsen, das sei besser, das werde er schon schaffen. Nach ihm kommt eine Frau - sie braucht einen Krankenschein.

Unterdessen hat der Sachbearbeiter am anderen Schreibtisch den Antrag auf gelbem Papier ausgedruckt - damit man ihn in der dicken Akte später besser findet. Die irakische Familie, die in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft lebt, wird nun einen Vorschuss bekommen, denn den Bescheid muss der Sachbearbeiter "händisch" erstellen, an einem der Nachmittage ohne Parteiverkehr. "Wir haben noch kein zeitgemäßes IT-Programm", sagt der Leiter des Amtes für Wohnen und Migration, Rudolf Stummvoll. Er kämpfe seit 13 Jahren um eine "angemessene Ausstattung".

Der Computer dient nur als Ausfüllhilfe für Vordrucke, das meiste muss von Hand in eine Vielzahl von Listen und zum Schluss in den Leistungsbogen eingetragen werden. Trotz des bürokratischen Aufwands, den das "restriktiv angelegte Asylbewerberleistungsgesetz" verursacht, sei es München mit dem vom rot-grünen Rathausbündnis vor 20 Jahren eingerichteten Flüchtlingsamt im Sozialreferat gelungen, einen "menschenorientierten" Vollzug zu sichern. Längst ist es mit dem Wohnungsamt fusioniert, doch in den Büros wird erlebbar, dass es den Sachbearbeitern um Hilfe geht, auch wenn das mehr als 20 Jahre alte Asylbewerberleistungsgesetz ganz auf Abschreckung ausgerichtet ist.

Der Geldbetrag, den Asylbewerber monatlich "zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens" erhalten sollen, ist dem Gesetz schon lange nicht mehr zu entnehmen: Kinder bis 14 Jahre bekämen demnach nämlich "40 Deutsche Mark", wer älter ist, das doppelte. Nicht nur die Währung ist längst überholt, sondern seit 2012 auch der Betrag, der jahrelang nie angehoben worden war: Am 18. Juli 2012 hat das Bundesverfassungsgericht die Regelung rückwirkend zum 1. Januar 2011 für rechtswidrig erklärt und dem Gesetzgeber aufgegeben, unverzüglich eine existenzsichernde Neuregelung zu schaffen. Das ist aber immer noch nicht geschehen. Deshalb gilt die gerichtlich verordnete Übergangsregelung, die sich an den Beträgen der Sozialhilfe orientiert.

Abfertigung in 20-Minuten-Takt

Die aktuellen Sätze schlägt der Sachbearbeiter deshalb in einer Tabelle nach: Die Barleistung beträgt jeweils 141,20 Euro für Eheleute und 88,59 für das Kind je Monat. Da aber der Familie die Leistung erst vom 9. Januar an zusteht, verringert sich die Gesamtsumme auf rund 246 Euro. Jetzt fertigt der Sachbearbeiter erst einmal eine Auszahlungsanordnung über 200 Euro Vorschuss, abzuholen an der Kasse, an. Der Betrag wird im Leistungsbogen eingetragen, der in einem Karteikasten auf dem Schreibtisch steht. Zwei Krankenscheine sind noch auszustellen für Mutter und Kind und schließlich ist auch der München-Pass zu verlängern. Aber weil der schon abgelaufen ist, muss das Papier, das Bedürftigen Vergünstigungen ermöglicht, neu ausgestellt werden.

Der Vollzug des Gesetzes macht beiden Seiten das Leben nicht unbedingt leichter. Die verordnete Barauszahlung statt einer Überweisung zum Beispiel: Monat für Monat muss der Sachbearbeiter rund 100 Asylbewerber tageweise im 20-Minuten-Rhythmus einbestellen, um eine Auszahlungsanordnung nach der anderen anzufertigen. Oder das umständliche Verfahren mit den Krankenscheinen, all das kostet Zeit, sagt der Sachbearbeiter, während er die vielen Kopien und Ausdrucke penibel nach Checkliste geordnet in drei verschiedenen Aktendeckeln abheftet. Besonders aufwendig seien sogenannte Mischfälle.

Denn es kommt vor, dass sich um den Lebensunterhalt einer Familie gleich drei verschiedene Ämter kümmern müssen: Sozialamt, Jobcenter und Flüchtlingshilfe. Bei Asylbewerbern, die in Wohnungen leben und arbeiten, müssen die Sachbearbeiter noch die Leistungen für die Unterkunft ermitteln und das Einkommen anrechnen. Wenn dann vom 1. März an die Regierung von Oberbayern keine Essenspakete mehr in den Gemeinschaftsunterkünften ausgibt, bedeutet das für die Flüchtlingshilfe-Mitarbeiter viel Arbeit, um mit neuen Bescheiden für Erwachsene rund 140 Euro zusätzlich auszahlen zu können. Aber sinnvolle Arbeit, "weil die Menschen endlich selbst entscheiden können, was sie essen".

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