Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge in Bayern:Ein Minister und die "verdammte Pflicht"

Peter Altmaier, Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung, stößt bei seinem Besuch niederbayerischer Grenzorte auf die ungeschönte Realität. Er wirkt betroffen, aber nur kurz.

Reportage von Andreas Glas, Passau/Wegscheid

Das Bistro am Ortsende wirbt mit der "letzten Bratwurst vor der Grenze", aber wegen der Wurst ist Peter Altmaier nicht gekommen. "Ein Arbeitsbesuch" sei das, sagt Altmaier, es gehe ihm darum, "einen unmittelbaren Eindruck" zu kriegen, und das ist doch ein guter Vorsatz für einen, den die Kanzlerin zum Flüchtlingskoordinator gemacht hat, dessen Schreibtisch aber in Berlin steht und damit weit weg von den Problemen.

Es ist Mittwochnachmittag in Wegscheid, es ist der Tag vor dem großen Flüchtlingsgipfel in Berlin. Peter Altmaier (CDU) steht in einem Wald aus Kameras und Mikrofonen und zwischen den Beinen der Reporter wuselt ein Flüchtlingsbub, der auch was sehen will vom großen, runden Minister. Klappt aber nicht, weil der Bub ziemlich grob weggeräumt wird von einem Sicherheitsmann, und passend dazu sagt Altmaier, dass nicht nur Humanität wichtig sei, sondern auch die innere Sicherheit.

Kurz vorher war auf österreichischer Seite der nächste Bus angerollt. Ein Doppeldecker mit slowenischem Kennzeichen, 76 Flüchtlinge saßen drin, es war der 33. Bus an diesem Tag - und für die Frau mit dem grauen Schal waren das 33 Busse zu viel. Die Frau mit dem grauen Schal kommt aus dem Schwarzwald, macht im Bayerischen Wald Urlaub, ist zur Grenze gekommen, um "zu gucken", und "was ich hier sehe", sagt sie, "hat nichts mit Armut zu tun".

Dann, klar, fallen die Worte "iPhones" und "Vergewaltigungen" und außerdem seien da "mindestens 50 Prozent Terroristen dabei", das wisse sie "aus sicherer Quelle", die sie aber nicht nennen will, ihren Namen auch nicht, und der Minister, der könne ihr sowieso gestohlen bleiben, weil der doch eh nur komme, um Lügen zu verbreiten.

Altmaier redet viel, macht aber nur eine konkrete Zusage

Das ist also der Rahmen für den Besuch des Kanzleramtsministers in Niederbayern: neugierige Reporter, neugierige Flüchtlinge, neugierige Verschwörungstheoretiker. Am neugierigsten aber ist Franz Meyer, der Passauer Landrat von der CSU, der sich seit Wochen beschwert, dass die Bundesregierung die niederbayerischen Grenzgemeinden im Stich lasse, dass sie nichts unternehme, obwohl Helfer und Polizisten überarbeitet sind und die Flüchtlinge zeitweise unterm freien Nachthimmel frieren mussten.

Meyer marschiert neben dem Minister in Richtung Flüchtlingszelt, und während er marschiert, sagt Meyer, er erwarte von Altmaier "klare Zusagen" und dass sich die Regierung endlich "den Hut aufsetzt", dass sie also auch an der Grenze das Kommando übernimmt, statt in Berlin nur politische Debatten zu führen.

Und der Kanzleramtsminister tut dem Landrat den Gefallen, zumindest rhetorisch. "Wir sind in der Verantwortung, dass jetzt in der kühleren Jahreszeit niemand im Freien frieren muss", sagt Altmaier, er sagt, "dass es unsere verdammte Pflicht ist, dafür zu sorgen, dass der Grenzraum möglichst wenig belastet wird", und dass die Bundesregierung dieser Pflicht nachkommen werde.

Und er verspricht, dass er die Eindrücke aus Niederbayern nach Berlin mitnehmen werde. Dorthin, wo die Bundesregierung dann am Donnerstagabend auch eine Entscheidung getroffen hat: Es sollen sogenannte Registrierzentren entstehen, wo sich Flüchtlinge verpflichtend registrieren lassen müssen. Was sich dadurch ganz praktisch an den Grenzübergängen ändert?

Es wird sich zeigen. Um kurz nach halb fünf, Altmaier steht vor dem Flüchtlingszelt auf der österreichischen Seite der Grenze, da stellt sich ein kleiner kahlköpfiger Mann in den Weg des großen kahlköpfigen Ministers. "Was Sie hier sehen, ist nur ein kleiner Teil dessen, was ich hier jeden Tag erlebe", sagt der Mann. Normalerweise sei das Zelt voller, so voll, sagt er, "dass die Kinder fast zerquetscht werden". Man arbeite daran, dass das besser werde, sagt Altmaier, dann geht er hinein ins Zelt, wo 1300 Flüchtlinge auf ihre Einreise nach Deutschland warten. Sie jubeln dem Minister zu, pfeifen, klatschen, machen Fotos mit ihren Smartphones.

Etwas später hockt der kleine kahlköpfige Mann am Grenzstein vor dem Zelt und raucht eine Zigarette. Der Mann heißt Mansour Rastegar, 48, geboren in Iran, inzwischen österreichischer Staatsbürger, er hilft am Grenzübergang als Übersetzer. Er war mit Altmaier im Zelt, während die Reporter draußen warten mussten. "Er hat echt schöne Worte verwendet", sagt Rastegar, "er hat zu den Flüchtlingen gesagt, dass er ihnen Schutz bietet und dass Schritte zur Integration unternommen werden."

Sehr ehrlich habe das gewirkt, sehr interessiert. Aber die wichtigste Aufgabe, findet Rastegar, die liege jetzt eh bei den Österreichern: Dass auf deren Grenzseite endlich ein Zelt gebaut werde, das winterfest ist. Bis das geschehen sei, sagt Rastegar, "versuche ich den Menschen ein bisschen Geborgenheit zu geben".

Das versucht auch Peter Altmaier, als er zwei Stunden später am Passauer Hauptbahnhof eintrifft, es wirkt jedenfalls so. Wieder steht er in einem Flüchtlingszelt, wieder applaudieren die Menschen, die auf ihre Weiterreise warten. "Where do you come from?", "How long was your journey?" - nur Smalltalk, aber Altmaier redet mit den Menschen. Was denn die Begegnung mit den Flüchtlingen in einem Ministerbauch so anstelle? Es bewege ihn, "dass die Leute voller Hoffnung sind", sagt Altmaier, "rührend" sei das, er wirkt ehrlich betroffen. Aber nur kurz, weil ein Minister halt nicht nur mit dem Bauch denkt. Alle Hoffnungen, sagt Altmaier, werde Deutschland ganz sicher nicht erfüllen können.

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SZ vom 06.11.2015/infu
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