Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge in Bayern:Du verstehst mich nicht

"Um Menschen wie Sie aufzunehmen, braucht man viel Toleranz": Die Hungerstreiks von Flüchtlingen in Amberg und Dingolfing zeigen, was passiert, wenn unterschiedliche Sprachen, Kulturen und Ideologien plötzlich aufeinanderprallen.

Von Sebastian Beck

Qasim Muhammad ist von Pakistan nach Deutschland geflohen, das letzte Stück ging er zu Fuß. Genauer gesagt: Er ist von Griechenland nach Deutschland zu Fuß gegangen. Es gab Tage, da marschierte er zwölf Stunden und mehr. Nachts schlief er in den Büschen - "in the jungle", wie er es in gebrochenem Englisch formuliert. Manchmal wurde er von Autofahrern mitgenommen.

Qasim Muhammad sagt, er habe unterwegs andere Flüchtlinge sterben gesehen. Einer wie der, sagt der Dingolfinger SPD-Landrat Heinrich Trapp, der müsse doch froh sein, wenn er jetzt hier in Sicherheit und Frieden lebe dürfe.

In Oberhausen, einem Dorf tief in Niederbayern. Eine Tankstellenruine, ein geschlossener Laden, Durchgangsstraße. Und die Flüchtlingsunterkunft, ein ehemaliger Gasthof, in dem auch Qasim seit fast einem Jahr lebt. Morgens schon liegt hier die Langeweile in der Luft. Ein paar Männer hängen auf dem Hof rum. In der Nachbarschaft gackern Hühner.

Presse ist hier unerwünscht, seit dieser Sache in Dingolfing. Er wolle wieder Ruhe ins Haus reinbringen, teilt der Vermieter mit. Qasim geht die Straße entlang zum Fußballplatz und setzt sich auf eine Bank. Nein, aufs Foto wolle er lieber nicht, sagt der 22-Jährige, sonst entstehe noch der Eindruck, er sei ein Rädelsführer. Dabei habe er doch nur um sein Recht gekämpft, im vergangenen Jahr auf dem Rindermarkt in München und neulich in Dingolfing.

Zusammen mit gut einem Dutzend anderer Flüchtlinge campierte er fünf Tage vor dem Landratsamt, verweigerte Essen und Trinken. Sie wollten nach München verlegt werden, oder auch nach Frankfurt, Augsburg, egal, in irgendeine Stadt, bloß weg von hier. Zwischendrin verbrachte Qasim drei Stunden am Tropf im Krankenhaus. Als die Polizei am Montag das Camp räumte, trat er nach einem Beamten, was ihm eine Anzeige einbrachte. Zurück in Oberhausen randalierten die Männer in der Unterkunft, ehe sie wieder in diesen Zustand der Agonie fielen, in dem die Tage und Wochen verstreichen.

"Wir lassen uns nicht erpressen"

Landrat Trapp dagegen ist auch Tage danach noch ziemlich aufgeregt. Er sitzt in seinem Büro und versucht sich einen Reim auf das zu machen, was nun auch vor seiner Tür in Dingolfing passiert ist: Flüchtlinge traten in den Hungerstreik, um eine Verbesserung der Lebensumstände und die Anerkennung ihrer Anträge zu erzwingen. Wenn er nicht nach München verlegt werde, dann werde er eben sterben, drohte einer. Das hat Trapp entsetzt. Er sagt aber auch: "Wir lassen uns nicht erpressen." Schließlich gebe es einen Rechtsweg, an den auch er sich halten müsse.

Rechtsweg - das ist nun freilich ein Begriff, mit dem ein Mensch aus Pakistan oder Mali nicht viel anfangen kann, vor allem wenn er kaum Englisch, geschweige denn Deutsch spricht. Aber der Rechtsweg spielte auf dem Grünstreifen vor dem Landratsamt ohnehin eine eher untergeordnete Rolle. Hier ging es mehr ums Grundsätzliche, vor allem, als die linken Unterstützergruppen auftauchten, die "solidarische Netzwerkarbeit" betreiben. Sie versorgten die Flüchtlinge mit Ausrüstung und übersetzten Pressemitteilungen in den Jargon: "Wir sind vom System enttäuscht, denn wir wollen nur die Rechte, die Staatsbürger_innen zustehen."

Trapp sagt, er habe reden wollen, was im Wirrwarr der Sprachen, Kulturen und Ideologien nicht ganz einfach war. Da war die deutsche Frau mit Nasenring, die ihm erklärte: "Wir brauchen keinen Staat." Und dann kam ein Unterstützer aus Amberg, ein anerkannter Flüchtling. Der Mann baute sich vor Trapp auf und sagte: Er lebe von Hartz IV, wolle zehn Kinder zeugen und den Staat bekämpfen.

"Um Menschen wie Sie aufzunehmen, braucht man viel Toleranz", antwortete ihm Trapp. Er hat sich dann die Unterkunft in Oberhausen angesehen und für durchaus menschenwürdig befunden. Keinesfalls ein "Lager", wie die Aktivisten behaupteten. Nun gut, den Leuten falle hier die Decke auf den Kopf, aber das sei doch alles nur eine vorübergehende Bleibe.

Schließlich rückte die Polizei an. Der Flüchtlingsrat behauptet: Bei der Räumung habe es kein medizinisches Personal gegeben. Trapp versichert, die Amtsärztin sei die ganze Zeit über daneben gestanden - im weißen Kittel. Die Flüchtlinge werfen ihm vor, er habe sie als Terroristen beschimpft. Trapp schwört, dies sei gelogen. Seine Bilanz fällt so aus: Alleine für die Krankenhauskosten müsse der Landkreis einen fünfstelligen Betrag ausgeben. "Der normale Bürger versteht das nicht mehr."

Donnerstag in Amberg, gut 150 Kilometer nördlich von Dingolfing. Auf dem Bahnhofsplatz harrt eine Gruppe von fünf Flüchtlingen nun schon seit einer Woche im Zelt aus. Hungerstreik. Auch sie wollen verlegt werden. In der Nacht ist eine Frau hinzugekommen. Sie heißt Shaghayegh Tahamban, ist 29 Jahre alt und stammt aus Iran. Verzweiflung steht ihr im Gesicht. Ihr Mann gehört zu der Gruppe der Hungerstreikenden. Er lebt in einer Unterkunft in Amberg, sie ist in Chemnitz einquartiert, und das schon seit Monaten. Sie wollen endlich zusammen wohnen, Deutsch lernen. Warum die Behörde in Chemnitz nicht auf ihr Schreiben geantwortet habe? Ob man ihr da nicht helfen könne?

Männer stehen in kleinen Gruppen zusammen und diskutieren: Sollen sie aufhören oder weitermachen? Mittendrin drin sind Anna Kuchler von der Amberger Caritas und Victoria Rasoulkhani, eine Deutsche iranischer Abstammung, die in Hirschau selbst eine Unterkunft für 18 Flüchtlinge betreibt. Eine paar Tage zuvor ist sie zufällig hier vorbeigekommen - und hat die Vermittlung übernommen, mit Ämtern und der Bezirksregierung verhandelt. Sie hat dem Wortführer klargemacht, was geht und was nicht, sie hat gut zugeredet, Übersetzerin gespielt. Rasoulkhani kennt den Hintergrund der Flüchtlinge. Sie sagt: "Im Kern geht es darum, dass die Verfahren beim Bundesamt viel zu lange dauern. Die Leute brauchen einen, der für sie eintritt."

Die linke Unterstützerszene, die Flüchtlinge auch für politische Zwecke einspannt, meint sie damit nicht. Sondern Menschen wie die Sozialarbeiterin Kuchler. Kuchler hat sich mit den Behörden in Chemnitz in Verbindung gesetzt und die Zusage erhalten: Das junge Ehepaar aus Iran darf zusammenziehen. Das könne aber noch ein paar Tage dauern, versucht Kuchler Shaghayegh Tahamban auf Englisch zu erklären. Die sieht nicht wirklich so aus, als ob sie die gute Nachricht verstanden hätte.

Frust, Sprachprobleme und langsame Behörden

Spät am Nachmittag verkündet Übersetzerin Rasoulkhani: Die Gruppe habe sich entschlossen, den Protest zu beenden, das Zelt werde abgebaut. Drei der fünf Männer ziehen von Amberg in ihr Flüchtlingsheim nach Hischaid. Damit sei die Sache erledigt - ein Irrtum: Denn am Freitag schlägt die Stimmung um. Das Ehepaar ist immer noch da, zwei streiken weiter, eine Gruppe von acht oder neun Männern ist neu hinzugekommen.

"Die sind ein bisschen komisch drauf", sagt Rasoulkhani, die nun erstmals selbst ziemlich ratlos wirkt. Wie es weitergeht? Sie hat keine Ahnung. So ist das in Dingolfing und Amberg: Diffuser Frust bei den Flüchtlingen, Sprachprobleme, Behörden, die wegen der großen Zahl der Anträge mit der Arbeit nicht nachkommen, all das mischt sich zu einem Durcheinander, zu einem einzigen großen Missverständnis.

In Oberhausen sitzt Qasim Muhammad am Sportplatz und sagt: Er müsse hier endlich raus. Er leide inzwischen unter psychischen Problemen. Dauernd nur dieselben Gesichter in der Unterkunft. Das Leben: schlafen, essen, rauchen. Bei der Anhörung habe man ihm gesagt, er könne doch aus seiner Heimatregion Panjab in eine sichere Gegend in Pakistan ziehen. Aber was sei schon sicher in einem Land, wo auf jedem Bazar eine Bombe hochgehen könne?

Er erzählt, er sei inzwischen wieder im Landratsamt gewesen, um eine Reiseerlaubnis für zwei Tage nach Würzburg zu erhalten. Vergeblich. Die Schilderung klingt kompliziert, und es scheint so, als habe er den Sachbearbeiter wieder mal nicht richtig verstanden. Und umgekehrt. Qasim Muhammad sagt, er wisse nicht was die Zukunft bringe, aber er werde wieder für sein Recht kämpfen. Vielleicht schon bald.

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Quelle:
SZ vom 22.03.2014
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