Flüchtlinge in Bayern:Deggendorf muss Zelte aufbauen

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Notunterkünfte: In Deggendorf werden Asylsuchende in Zelten einquartiert. Die Behörden arbeiten an der Belastungsgrenze. (Foto: Armin Weigel/dpa)
  • Erst Anfang des Jahres ist in Deggendorf eine Erstaufnahmeeinrichtung mit 500 Plätzeneröffnet - bereits jetzt ist sie völlig überlastet
  • Alleine am Montag kamen in Deggendorf 240 Menschen an, am Dienstag 340. Noch in der Nacht zum Mittwoch wurden in der Stadt deshalb zwei Zelte für 40 Flüchtlinge aufgestellt.
  • In Deggendorf kippt die Stimmung. Schon als in den Pfingstferien die Turnhalle der Grundschule zum Notquartier umfunktioniert wurde, habe es böse Briefe aus der Bevölkerung gegeben.

Von Martina Scherf und Jonas Schöll, Deggendorf

Der Ansturm von neuen Flüchtlingen bereitet den Behörden in Niederbayern immer größere Probleme. Alleine am Montag kamen in Deggendorf 240 Menschen an, am Dienstag 340. Noch in der Nacht zum Mittwoch wurden in der Stadt deshalb zwei Zelte für 40 Flüchtlinge aufgestellt, um ihnen ein Bett und ein Dach über dem Kopf zu bieten. Die erst Anfang des Jahres eröffnete Erstaufnahmeeinrichtung mit 500 Plätzen ist bereits völlig überlastet.

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In den Zelten würden Flüchtlinge in der Regel nur für eine Nacht untergebracht und anschließend bundesweit auf andere Einrichtungen verteilt, sagte eine Sprecherin der Regierung von Niederbayern am Mittwoch. "Wir stehen vor dem Problem, die Menschen trotz des hohen Zugangs menschenwürdig unterzubringen". Und weiter: "Die Lage ist eine Herausforderung, aber wir haben sie im Griff."

"Die Leute brauchen ja ein Dach über dem Kopf"

"So kann es nicht weitergehen", stellt dagegen der Deggendorfer Landrat Christian Bernreiter (CSU) fest. "Die Stimmung kippt." Schon als in den Pfingstferien die Turnhalle der Grundschule zum Notquartier umfunktioniert wurde, habe es böse Briefe aus der Bevölkerung gegeben. Die Kinder hätten keinen Sportunterricht, Vereine kein Training mehr. Dabei leisteten die Behörden, was sie könnten, um Unterkünfte zu schaffen. Neben Klappbetten in der Eishalle, die derzeit nicht in Betrieb ist, würden jetzt noch drei zusätzliche Container-Unterkünfte für insgesamt 500 Menschen im Landkreis aufgestellt. "Die Leute brauchen ja ein Dach über dem Kopf." Das werde aber alles nicht reichen, befürchtet Bernreiter, denn die Polizei liefere praktisch im 24-Stunden-Betrieb Menschen in der Erstaufnahmeeinrichtung ab: "Dann werden wir an weiteren Zelten nicht vorbeikommen. Wie soll es anders gehen?"

Auch andernorts planen mehrere Landkreise die Errichtung von Zelten oder ähnlichen Provisorien, um die wachsende Zahl Asylsuchender unterbringen zu können. Bernreiter, der auch Präsident des Bayerischen Landkreistages ist, sagt, viele seiner Kollegen klagten, sie fühlten sich nur noch als "Asylbearbeiter". Er appellierte am Mittwoch noch einmal an die Bundesregierung, sich finanziell und strukturell an der Lösung der Probleme zu beteiligen.

Notunterkünfte: In Deggendorf werden Asylsuchende in Zelten einquartiert. Die Behörden arbeiten an der Belastungsgrenze. (Foto: Stephan Gauer/Mediendenk)

"Jetzt braucht es schnellstmöglich Konzepte"

Noch vor Kurzem sei er in die rechte Ecke gestellt worden, weil er Flüchtlingen aus dem Kosovo Asyl verweigern will und mit der Äußerung "Wir sind nicht das Sozialamt vom Balkan" zitiert wurde. "Aber wir stehen hier täglich an der Front, da hilft das Reden von der Zivilgesellschaft nicht mehr weiter. Jetzt braucht es schnellstmöglich Konzepte", sagt Bernreiter. Auch Sozialministerin Emilia Müller fordert mit Blick auf das Asyl-Spitzengespräch am Donnerstag in Berlin eine schnelle Entlastung der Länder. "Die derzeitigen Zahlen der ankommenden Asylbewerber sind alarmierend", sagt Müller. Seit Jahresbeginn seien es rund 60 000 gewesen - das entspricht der Einwohnerzahl von Städten wie Kempten oder Landshut.

Der Bayerische Flüchtlingsrat hält die Brisanz in Deggendorf für übertrieben: Bisher sei die Erstaufnahmeeinrichtung dort bei deutlich höheren Zugangszahlen ohne Zelte ausgekommen. "Die Regierung von Niederbayern inszeniert passgenau den Notstand in der Deggendorfer Erstaufnahmeeinrichtung, um bebildern zu können, wie sehr Bayern angeblich von den Balkan-Flüchtlingen überfordert wird", sagt Alexander Thal, der Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats.

Jahrelang versäumt, auf steigende Flüchtlingszahlen zu reagieren

Damit wolle Bayern Druck auf die Berliner Asyl-Verhandlungen am Donnerstag ausüben. "Bayern scheint ohne Wenn und Aber seine repressive Politik gegen Balkan-Flüchtlinge durchsetzen zu wollen. Dabei sind der Staatsregierung anscheinend alle Mittel recht!" Jahrelang habe man es versäumt, auf steigende Flüchtlingszahlen zu reagieren. Bernreiter ist über diese Äußerung empört: "Es reicht, die Grundrechenarten zu beherrschen, um zu erkennen, dass die Erstaufnahmeeinrichtung überlastet ist! Von einer Inszenierung zu sprechen, ist nicht nur unverschämt, das ist böswillig!"

Bis Ende 2016 werden für Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge nach der neuesten Prognose des Finanzministeriums fast drei Milliarden Euro benötigt. Das sagte Finanzminister Markus Söder (CSU) am Mittwoch bei der Versammlung des Beamtenbundes in München. "Das ist mehr als der gesamte Etat von Wirtschaft, Gesundheit und Umwelt zusammen." Bisher sind im Staatshaushalt lediglich 1,5 Milliarden Euro vorgesehen. Wie ernst die Lage ist, beweist auch ein Fünf-Punkte-Plan aus dem Finanzministerium, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. "Die Verwaltungen vor Ort sind fast im Ausnahmezustand. Wir stoßen an organisatorische und finanzielle Grenzen", sagte Söder.

30 Millionen Euro für den Bau von Gemeinschaftsunterkünften

Mit einer Reihe von Maßnahmen will er mehr Unterkünfte schaffen. So sollen alle in Frage kommenden staatlichen Grundstücksreserven kurzfristig nutzbar gemacht werden. 30 Millionen Euro will Söder bereitstellen für den Bau von Gemeinschaftsunterkünften, weil das billiger sei, als Räume zu mieten. Die Kommunen sollen Flächen anbieten. Die Genehmigungsverfahren für solche Bauten würden beschleunigt.

Aber auch das Anmieten soll forciert werden. Der Freistaat sei bereit, zusätzlich zur ortsüblichen Vergleichsmiete einen Zuschlag für die Asylnutzung zu bezahlen. Für Containeranlagen soll der Bezug zur Vergleichsmiete ganz wegfallen. An zehn Standorten sollen zudem mit einer vereinfachten Ausschreibung bis zu 2000 zusätzliche Plätze geschaffen werden. Schließlich will Bayern dem Bund Kasernen vorschlagen, in denen Asylbewerber untergebracht werden könnten.

© SZ vom 18.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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