Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge in Augsburg:Polizei holt Familie aus Kirchenasyl

Zuflucht in der Kirche: Eine Pfarrei hatte einer 38-Jährigen aus Tschetschenien und ihren vier Kindern Asyl gewährt, um sie vor der Abschiebung zu bewahren. Nun wurde die Familie von der Polizei abgeholt.

Eine Augsburger Pfarrei hatte einer 38-jährigen Frau aus Tschetschenien und ihren vier Kindern im Alter zwischen 4 und 14 Jahren Zuflucht gewährt, um sie vor der Abschiebung zu schützen. Am Dienstagmorgen hat die Polizei die Familie nun mit Haftbefehl aus dem Kirchenasyl geholt, weil dem sogenannten Dublin-Verfahren zufolge das Erstaufnahmeland für das Asylverfahren zuständig ist. Kritiker empörten sich über diesen Tabubruch.

Die Familie war zunächst aus Tschetschenien nach Polen geflohen. Nachdem dort Rechtsradikale die benachbarte Wohnung einer ebenfalls tschetschenischen Frau angezündet hatten, flüchtete die Familie weiter nach Deutschland.

Mit diesem Fall sei in Bayern erstmals seit 18 Jahren die Tradition des Kirchenasyls missachtet worden, kritisierten am Donnerstag der Bayerische Flüchtlingsrat, das Ökumenische Kirchenasylnetz Bayern und die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche".

Der Pfarrer hätte physisch Widerstand leisten müssen

Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat bezeichnete es als "Skandal", dass das Kirchenasyl hier nicht respektiert worden sei. Die Familie sei keineswegs freiwillig mitgegangen. Der Pfarrer habe mit den Beamten verhandelt, hätte aber schließlich physisch Widerstand leisten müssen. "Natürlich hat er irgendwann nachgegeben."

Ein Sprecher des Innenministeriums gab dagegen an, die Familie sei ohne Widerstand mitgegangen. Der Pfarrer habe nach dem Klingeln der Polizei die Türe geöffnet und die Familie geweckt. Diese habe die Koffer gepackt und sei freiwillig mit den Beamten mitgegangen. Noch am selben Tag wurde die Familie zurück nach Polen gebracht. Thal forderte Innenminister Joachim Hermann (CSU) auf, "der Augsburger Ausländerbehörde unmissverständlich klar zu machen, dass Kirchenasyle für sie und die Polizei absolut tabu sind".

In einer Stellungnahme des Ministeriums heißt es "'Kirchenasyl' findet keine Anerkennung in unserer Rechtsordnung. Auch die Kirchen sind an die geltenden Gesetze gebunden. Gleichwohl respektieren die Behörden die besondere Stellung der Kirchen in unserer Verfassungsordnung und üben in derartigen Fällen Zurückhaltung."Gegen den Willen des jeweiligen Pfarrers werde die bayerische Polizei auch künftig in solchen Fällen weder kirchliche Räume betreten noch gewaltsam Personen abführen.

Auch ein Sprecher der Stadt Augsburg sagte, die Familie sei im Einvernehmen mit dem Pfarrer und der Mutter abgeholt worden. Hätte der Pfarrer die Beamten nicht in das Haus gelassen, wäre nichts passiert. Zudem habe kein Haftbefehl, sondern ein Rückführungsbescheid vorgelegen. "Wir sehen Flüchtlinge nicht als Feinde, und auch wir sehen das humanitäre Schicksal dieser alleinerziehenden Mutter von vier Kindern."

Um 6 Uhr stand die Polizei mit einem Haftbefehl vor der Tür

Eine "Lüge" nannte Hans-Günther Schramm vom Ökumenischen Kirchenasylnetz Bayern in Nürnberg die Darstellung des Innenministeriums. Die Polizei sei um 6 Uhr mit einem Haftbefehl bei dem Pfarrer vor der Tür gestanden. Der habe versucht zu verhandeln, jedoch nichts mehr tun können, ohne sich dabei selbst strafbar zu machen.

Kirchenasyle hätten eine bis ins Mittelalter reichende Tradition. "Die letzte Räumung eines Kirchenasyls in Bayern fand 1996 statt. Wir sind deshalb schockiert, dass die Polizei einfach in ein Pfarrhaus eindringt und eine traumatisierte Familie abschiebt."

Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Landtag, Christine Kamm, sagte: "Die Behauptung, die Frau wäre freiwillig mitgegangen, ist nachgerade zynisch - eine Mutter mit vier Kindern hat letztlich keine Chance, sich dem einschüchternden Polizeiapparat zu widersetzen." Kamm forderte, Kirchenasyle zu respektieren. Sie sprach von einem Tabubruch, der zeige, dass die Ankündigung einer humanitäreren Flüchtlingspolitik durch Ministerin Emilia Müller (CSU) reine Phrasendrescherei sei.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1894468
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/dpa/amm
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.