Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge:Dem Retter droht die Abschiebung

  • Bettina S. lebte als Jugendliche in einem bosnischen Dorf jahrelang wie eine Sklavin.
  • Ihr Nachbar Cazim Makalic befreite sie. Daher wurden er und seine Familie von Bettinas Peiniger massiv bedroht.
  • Die Makalics flüchteten 2014 nach Deutschland. Jetzt drohen dem Retter und seiner Familie die Abschiebung.

Von Stefan Mayr, Donauwörth

Was Cazim Makalic und Bettina S. in dem bosnischen Dorf Karavlasi erlebten, ging im Jahr 2012 durch die Medien und klang damals schon unglaublich. Jetzt erlebt die Geschichte eine Fortsetzung, und diese wirkt nochmal ein Stück surrealer als der erste Teil.

Bettina S. lebte als Jugendliche jahrelang wie eine Sklavin. Sie musste im Schweinestall schlafen und Tierfutter essen. Sie wurde vom Bruder ihres Stiefvaters geschlagen und misshandelt. Bis ihr Nachbar Cazim Makalic sie befreite.

Irgendwann stand ein Auftragskiller vor der Tür

Doch der Retter musste einen hohen Preis bezahlen: Er und seine Familie wurden von Bettinas Peiniger massiv bedroht, irgendwann stand ein Auftragskiller vor der Tür.

Die Makalics flüchteten 2014 nach Deutschland. Jetzt droht dem Retter und seiner Familie die Abschiebung. Und das, obwohl der Sohn Dzanan wegen der Bedrohungen unter Angststörungen leidet und stationär behandelt werden muss.

Als Dzanan sieben Jahre alt war, hielten ihm Verwandte des Peinigers ein Messer an den Hals und kündigten an, ihn zu töten. Seitdem leidet er unter Angstattacken und Alpträumen. Während seine Eltern in einer Flüchtlingsunterkunft in Donauwörth wohnen, wird er in einer Kinderpsychiatrie in Neuburg/Donau stationär behandelt.

Laut Klinik ist der Zehnjährige weder entlass- noch reisefähig, die Therapie könnte noch Jahre dauern. Dennoch haben die Behörden die Familie nun aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Ihre Asylanträge wurden abgelehnt, auch ein Eilantrag ihres Anwalts wurde vom Verwaltungsgericht Augsburg abgewiesen.

Eine Rückkehr in die traumatisierende Umgebung könnte schlimme Folgen haben

Rechtsanwalt Ismet Mujakic hofft dennoch, dass er die Abschiebung noch verhindern kann: "Ich denke, der Bundesrepublik sollte der Schutz ihrer Bürger im Ausland am Herzen liegen", sagt er, "deshalb sollte man jemandem wie Herrn Makalic entgegenkommen, um Anreize zu schaffen." Ohne dessen Mut würde Bettina S., eine deutsche Staatsbürgerin, schließlich noch heute als Sklavin leben, betont Mujakic.

Die Abendschau des Bayerischen Fernsehens berichtete am Dienstag über den Fall. Dzanans Mutter Emina ist verzweifelt. "Mein Ehemann hat ein fremdes Kind gerettet", sagt sie weinend. "Warum mag niemand den Versuch unternehmen, meinem Kind zu helfen? Ich habe doch sonst nichts außer ihm."

Dzanans Ärztin betont, eine Rückkehr in die traumatisierende Umgebung könnte schlimme Folgen haben: "Ich kann keine Traumatherapie bei einem Flüchtling machen, wenn ihm angedroht wird, dass er zurück muss, das macht keinen Sinn."

Cazim Makalic musste damals mehrmals bei der Polizei vorsprechen, ehe diese etwas gegen die Sklaverei unternahm. Erst, als er Fotos des abgemagerten Mädchens vorlegte, wurde Bettina S. im Mai 2012 befreit. Die Staatsanwaltschaft in Tuzla berichtete wenig später, dass das 19-jährige Opfer acht Jahre lang in Gefangenschaft lebte, nur noch 40 Kilo wog und mehrere alte Knochenbrüche an den Fingern hatte.

Im Januar 2013 wurde der Bruder ihres Stiefvaters zu zwei Jahren Haft verurteilt. Bettina S. war einst von ihrer leiblichen Mutter in die Obhut des Peinigers nach Bosnien gebracht worden. Die Mutter selbst lebte unterdessen mit ihrem zweiten Mann in Österreich. Nachdem ihre Tochter aufgefunden worden war, tauchte die Mutter unter. Heute lebt Bettina S. bei ihrem leiblichen Vater in Deutschland. Ihr Peiniger ist wieder auf freiem Fuß.

"Wenn die Makalics in ihr Heimatdorf zurückgehen, müssen sie wieder Angst um ihr Leben haben", sagt Anwalt Mujakic. "Sie müssen befürchten, dass wieder ein Auftragsmörder eingeschaltet wird, und vor allem machen sich die Eltern Sorgen um ihren Sohn."

Mujakic betont, die Familie wolle gar nicht für immer in Deutschland bleiben. Vielmehr wünsche sie sich lediglich ein Bleiberecht, bis die Therapie des Sohnes abgeschlossen ist. Langfristig wollten die Eltern ohnehin zurück nach Bosnien, wo sie ein besseres Leben führen könnten. "Mein Mandant leidet sehr darunter, dass er hier nicht arbeiten kann", sagt der Anwalt.

Er habe sogar schon ein Jobangebot gehabt, doch er erhielt keine Arbeitserlaubnis. Es ist wahrlich eine vertrackte Situation: "Wenn er hier arbeiten könnte, würden die gesamten Behandlungskosten des Sohnes von der Krankenkasse übernommen", sagt Mujakic. "So aber muss das Landratsamt alles zahlen."

Das Asylverfahren ist aus rein juristischer Sicht korrekt abgelaufen

Das Landratsamt Donau-Ries teilt mit, dass es keinerlei Ermessensspielraum habe. "Die Ausländerbehörde ist an die Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und des Verwaltungsgerichts gebunden und grundsätzlich nicht befugt, ein asylunabhängiges Aufenthaltsrecht zu gewähren", heißt es in bestem Amtsdeutsch.

Zudem sei der zehnjährige Dzanan sehr wohl reisefähig, das habe das Gesundheitsamt festgestellt. Den Umgang mit dem Trauma des Kindes stellt sich die Behörde so vor: "Für die Reise sollte eine Begleitperson zur Verfügung gestellt werden, welche z. B. bei Auftreten von Ängsten beruhigend auf ihn einwirken könnte."

Überhaupt geht das Landratsamt nach eigenen Angaben davon aus, "dass eine einvernehmliche Lösung in Form einer freiwilligen Ausreise erfolgen kann". Die Makalics müssen am Donnerstag im Amt vorsprechen. Die Alternative zur freiwilligen Ausreise sieht dabei laut Behörde so aus: "Gelänge eine freiwillige Lösung nicht, wäre das Landratsamt gehalten, den Aufenthalt zwangsweise zu beenden."

Anwalt Mujakic bestätigt, dass das Asylverfahren aus rein juristischer Sicht korrekt abgelaufen ist. Seine letzte Hoffnung ist nun die Politik: Er hat Petitionen beim Bayerischen Landtag und im Bundestag eingereicht. Diese haben allerdings keine aufschiebende Wirkung. Wann die Parlamente eine Entscheidung treffen, ist offen.

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SZ vom 24.02.2016/dit
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