Afghanistan:Wie sich geflüchtete Ortskräfte in Bayern einleben

FILE PHOTO: Evacuation from Hamid Karzai International Airport in Kabul

Nach der Machtübernahme der Taliban verlassen Ende August Ortskräfte und ihre Angehörigen Afghanistan über den Flughafen Kabul. Bayern nimmt 98 Menschen auf und bringt sie nach Bamberg.

(Foto: Reuters)

Die Ortskräfte und ihre Angehörigen sind unter dramatischen Umständen aus Kabul evakuiert worden. Familie Hussaini lebt jetzt im Ankerzentrum in Bamberg, die Familie Ahmadzai hat es nach Forchheim verschlagen.

Von Clara Lipkowski, Bamberg/Forchheim

Am 23. August zieht Sayed Hussaini die Tür zu seiner Wohnung in Kabul zu, eigentlich wie immer. Er dreht den Schlüssel um, steckt ihn ein, so erzählt er es später, steigt aber an diesem Nachmittag mit seiner Frau und den beiden Kindern in ein Taxi, um etwa fünf Kilometer zum Flughafen zu fahren und nicht wieder zu kommen. Unterwegs passieren sie Checkpoints. Die Taliban kontrollieren jetzt die Stadt und durchsuchen Autos. "Wir wollten so schnell raus, wie es geht", sagt Hussaini. Sie schaffen es bis zu einem Zufahrtstor am Flughafen, steigen aus, und mitten hinein ins Chaos.

Sayed Hussaini erzählt seine Geschichte knapp vier Wochen später. Es ist ein sommerlicher Septembertag in Bamberg. Der schmale Mann im blauen Hemd ist einer der 98 Menschen, die Bayern Ende August aus Afghanistan aufgenommen hat. Innenminister Joachim Herrmann hatte sich bei einem Pressetermin geradezu damit gebrüstet, die Weltöffentlichkeit schaute zu der Zeit auf den Flughafen von Kabul und die Menschen, die alle raus wollten.

Ankerzentrum Bamberg - Afghanische Geflüchtete in Oberfranken nach Truppenabzug

Hussaini wohnt jetzt mit seiner Familie im Ankerzentrum Bamberg.

(Foto: Clara Lipkowski)

In Bamberg also tritt Sayed Hussaini durch ein Drehkreuz, hinter ihm das sogenannte Ankerzentrum, in dem er mit seiner Familie vorerst lebt, und vor ihm - ja was eigentlich? Er ist jetzt 27 Jahre alt und will neu anfangen.

Bei einem Spaziergang berichtet er von seiner Evakuierung. Am Tor zum Flughafen warten Hunderte. "Ich stand da mit meiner Tochter, meine Frau mit unseren Sohn", sagt er. "Da gab es keine Schlangen, in die wir uns hätten stellen können, das war einfach Gedränge, manche wurden eingequetscht. Taliban haben in die Luft geschossen und Leute geschlagen. Und die deutschen Soldaten, meine Kameraden, standen vielleicht 300 Meter von uns." Vorgelassen werden sie nicht. Knapp 24 Stunden warten sie, in der Ungewissheit, ob sie es raus schaffen.

Es waren die Tage, als Bilder von Menschen, die sich an Flugzeugtragflächen hängten, um die Welt gingen. Ein Mann, erzählt Hussaini, sei dreimal zum Tor gekommen, aber immer wieder weggeschickt worden, weil er zur Ausreise nicht berechtigt gewesen sei. Die Hussainis waren berechtigt.

Sayed Hussaini war in Kabul Deutschlehrer bei der afghanischen Armee und eine sogenannte Ortskraft der Deutschen. Als im August die Taliban immer mehr Landesteile eroberten, kam auch für ihn und seine Familie die Bedrohung näher. Wer mit den Ausländern zusammenarbeitet, ist mindestens verdächtig, wenn nicht Verräter. Der erlösende Anruf der deutschen Botschaft, dass sie jetzt zum Flughafen kommen könnten, kam an jenem 23. August. Wenig später hatten die Hussainis etwas Wechselkleidung eingepackt, in extra unauffällige kleine Rucksäcke, und waren losgefahren. Seine Frau wollte eigentlich gerade ihr Medizinstudium abschließen, sagt Hussaini.

Afghanische Geflüchtete in Oberfranken nach Truppenabzug

Der Deutschlehrer Sayed Hussaini erlebte das Chaos am Kabuler Flughafen.

(Foto: Clara Lipkowski)

Die Familie würde jetzt gerne nach NRW. Da wohne ein deutscher Kamerad, sagt Hussaini. Er will eine Ausbildung machen. Noch eine. Bei der Bundeswehr hat er vier Jahre eine Offiziersausbildung absolviert. Mit 18 war er dafür in Deutschland, unterrichtete dann, zurück in Afghanistan, angehende Soldaten in Deutsch, immer in engem Kontakt mit der Bundeswehr. Obwohl ihm klar war, dass die Taliban gefährlich werden könnten, hätte er sich nicht träumen lassen, dass er unter diesen Umständen wiederkommen würde.

Die Familie schafft es schließlich in ein Militärflugzeug der Bundeswehr. Mit Hunderten anderen hätten sie sich bis Taschkent in Usbekistan in eine A 400 M gedrängt, sagt Hussaini. Die Maschine ist eigentlich für Transporte gedacht. Beim Spaziergang sprudelt viel aus ihm heraus, irgendwann auch die Enttäuschung über den Präsidenten Ashraf Ghani, er habe sich einfach aus dem Staub gemacht. In Taschkent werden die Menschen auf zwei Linienflugzeuge verteilt. Für die Hussainis geht es nach Frankfurt und dann mit einem Bus nach Bamberg in das Ankerzentrum.

Ein Sprecher der Regierung von Oberfranken wird später erklären, das Zentrum Bamberg sei organisatorisch am besten gelegen gewesen für die Aufnahme. Der Bund unterhält in den Ankerzentren Außenstellen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Die 98 Afghaninnen und Afghanen wurden nach dem Königsteiner Schlüssel nach Bayern verteilt. Derzeit wird geprüft, ob wirklich alle Ortskräfte sind. Sie haben Privilegien, anders als Geflüchtete, die das übliche Asylverfahren durchlaufen. Deshalb regt sich derzeit Kritik, allen Geflüchteten müssten ähnlich gute Strukturen geboten werden. Ortskräfte wohnen nur übergangsweise in Sammelunterkünften, dürfen sich frei bewegen, erhalten Unterstützung vom Jobcenter und können sich Arbeit und eine Wohnung suchen.

Keine 30 Kilometer von Bamberg entfernt, ist Ahmadzai, 31, schon dabei, sich sein neues Leben aufzubauen. Er will nicht mit vollem Namen genannt werden, weil er in Afghanistan bedroht wurde und dort noch Brüder hat, um die er sich sorgt. Auch sie hatten für ausländischen Kräfte gearbeitet, es aber nicht rausgeschafft. Der bayerische Flüchtlingsrat hat wegen solcher Fälle erneut gefordert, zurückgebliebene Ortskräfte und deren Angehörige sofort auszufliegen. Ahmadzai hat kürzlich in Forchheim Wohnungen besichtigt, ein Caritas-Mitarbeiter hat ihm geholfen, Angebote zu finden. Dass er Englisch spricht, helfe, sagt Ahmadzai in einem Büro der Caritas. Er übersetzte für Belgier, Niederländer, Amerikaner und vor allem die Bundeswehr aus lokalen Sprachen wie Paschto, Persisch und Urdu ins Englische, war an deren Seite als kultureller Berater in Dörfern unterwegs. Irgendwann, als er privat unterwegs war, näherten sich ihm Kämpfer auf Motorrädern. Sie wollten Interna über die Ausländer und dass er die Seiten wechsele. "Sie sprachen mich mit Namen an, wussten, dass ich Familie habe, dabei kannte ich diese Leute nicht."

Afghanische Geflüchtete in Bayern

Der Übersetzer Ahmadzai (rechts) wurde in Afghanistan bedroht und sucht in Forchheim mit dem Caritas-Integrationslotsen Daniel Sauer eine Wohnung.

(Foto: Clara Lipkowski)

Seine Ausreise verlief geordneter als die der Hussainis und fand schon am 16. Juli statt. Die Bundeswehr, mit der er einen Arbeitsvertrag hatte, war auf ihn zugekommen: Durch die politische Entwicklung sei sein Leben in Gefahr. Nach der Ankunft in München wusste er zwar zuerst nicht, wohin, "Züge haben wir in Afghanistan nicht". Aber er schaffte es mit seiner Frau und den zwei Kindern in ein Hotel in Forchheim, bis sie in ein staatliches Heim in der Nähe zogen. Ein kleines Startgeld bekam er von der Caritas. Bei allem was jetzt noch vor ihm liegt, sagt Ahmadzai, sei er erst einmal "froh, in Sicherheit zu sein".

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