Augsburg:Freie Wähler fordern systematische Suche nach Fliegerbomben

Fliegerbombe Augsburg

Im Dezember 2016 wurde eine 3,8 Tonnen schwere britische Fliegerbombe in Augsburg an einer Baustelle entdeckt. Zur Entschärfung mussten rund 50 000 Menschen die Innenstadt verlassen.

(Foto: Stadt Augsburg/dpa)
  • Augsburg war im Zweiten Weltkrieg mehrfach das Ziel von Angriffen, Expertenschätzungen zufolge detonierten 15 Prozent der Bomben nicht.
  • "Es gibt nicht viele Flächen, wo Kampfmittelräumdienste nichts finden", sagt Stadtsprecher Richard Goerlich. Dabei handelt es sich jedoch meist nur um Munitionsteile.
  • Die Freien Wähler werfen dem Rathaus vor, "die Gefahrenminimierung und Risikosicherung für die Bevölkerung" nicht ernst genug zu nehmen.

Von Christian Rost, Augsburg

Am ersten Weihnachtsfeiertag 2016 war die Stadt in Aufruhr. Nach dem Fund einer 1,8 Tonnen schweren Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg bei Bauarbeiten für eine Tiefgarage mussten 54 000 Menschen ihre Wohnungen, Geschäftsräume und Büros in der Augsburger Innenstadt verlassen. Bei einer Explosion hätte es in mehreren Hundert Metern Umkreis schwere Zerstörungen und womöglich auch Tote und Verletzte gegeben.

Der Blindgänger konnte glücklicherweise entschärft und die Gefahr gebannt werden. Traumatisch ist der Fund aber dennoch für die Bevölkerung. Wie viele Bomben schlummern noch im Boden? Müsste die Stadt nicht systematisch und gründlich erkunden, wo Kampfmittel verborgen sind? Mit diesen Fragen bohrt nun schon seit Wochen die oppositionelle Fraktion der Freien Wähler im Stadtrat nach und wirft dem Rathaus vor, "die Gefahrenminimierung und Risikosicherung für die Bevölkerung" nicht ernst genug zu nehmen.

Augsburg: In der Bombennacht des Jahres 1944 wurden große Teile der Stadt Augsburg zerstört. Auf dem Foto ist der Perlachturm links neben dem Rathaus noch zu erkennen.

In der Bombennacht des Jahres 1944 wurden große Teile der Stadt Augsburg zerstört. Auf dem Foto ist der Perlachturm links neben dem Rathaus noch zu erkennen.

(Foto: Stadt Augsburg)

Anlass für die Anfrage der Stadträte Regina Stuber-Schneider und Volker Schafitel sind geplante Sanierungsarbeiten am Herrenbach. Das Augsburger Stadtgebiet ist durchzogen von solchen kanalartigen Wasserläufen, die einst vor allem die Textilindustrie versorgten. Weil Experten fürchten, dass der Baumbestand am Herrenbach das Bachbett mit seinen Wurzel und bei Windbruch schädigen könnte, wurden umstrittene Fällarbeiten angeordnet. Und es stellt sich generell die Frage, wie solche Wasserläufe saniert und stabilisiert werden können, ohne dass bei Grabungen versehentlich Kriegsmunition aufgebracht und womöglich zur Explosion gebracht wird. Die Freien Wähler sagen, dass die Stadt für die Industriekanäle im Stadtgebiet verantwortlich sei und es nicht riskieren könne, dass "durch Rammarbeiten eine Detonation ausgelöst werden kann".

Die Stadt Augsburg war im Zweiten Weltkrieg mehrfach das Ziel von Angriffen der Alliierten. Allen voran die Stadtteile, in denen die Rüstungsindustrie angesiedelt war, wie die Firmen Messerschmitt und MAN, wurden bombardiert. Mehr als zehn Mal traf es die Stadt, wobei in der sogenannten Augsburger Bombennacht im Februar 1944 besonders massiv Angriffe geflogen wurden. Die Firma Luftbilddatenbank hat unzählige Bilder im Archiv, die auch im Raum Augsburg die Krater der Bombeneinschläge dokumentieren. Anhand solcher Aufnahmen lässt sich zumindest abschätzen, wo noch Blindgänger liegen könnten. Expertenschätzungen zufolge detonierten beim Abwurf zirka 15 Prozent der Bomben nicht. Insofern ist Augsburg zumindest in Teilen auf einem tödlichen Erbe gebaut worden. Zutage wird die gefährliche Last bei Bauarbeiten gefördert. Heutzutage graben Baufirmen oft viel tiefer als in der Nachkriegszeit, als eilig Wohnhäuser errichtet werden mussten und niemand an Tiefgaragen und andere Tiefbaumaßnahmen dachte.

Augsburgs Baureferent Gerd Merkle hat den Stadträten versichert, dass bei städtischen Baustellen selbstverständlich alle gesetzlichen Vorgaben beachtet würden. "Nach der Bayerischen Bauordnung darf die Bebauung eines Grundstückes die öffentliche Sicherheit nicht gefährden." Die Freiheit von Kampfmitteln sei eine besondere Eigenschaft des Baugrunds. Diese etwas sperrigen Formulierung heißt nichts anders, als dass die Stadt bei Bau- oder Sanierungsarbeiten grundsätzlich vorab untersuchen lassen muss, ob sich noch gefährliches Material im Boden befindet. Auch Stadtsprecher Richard Goerlich betont, dass eine Sondierung nach Kampfmitteln Standard sei.

Goerlich weiß um die Gefahren, die sich im Augsburger Boden verbergen. Zwei bis drei Mal jede Woche werde im Stadtgebiet auf Baugrund Kriegsmaterial gefunden. "Es gibt nicht viele Flächen, wo Kampfmittelräumdienste nichts finden." Allerdings handle es sich oft lediglich um Munitionsteile und nicht um ganze Bomben. Aber auch dieses Material müsse entfernt werden. Erst im Juli hatte die Stadt ihr Plärrer-Gelände, auf dem zweimal im Jahr das größte Volksfest in Schwaben aufgebaut wird, gründlich nach Altlasten untersuchen lassen. Es bestand die Befürchtung, dass ein Zeltbetreiber beim Aufbau seines Zelts einen Pfahl so weit in den Boden treibt, dass er möglicherweise einen explosiven Gegenstand im Erdreich trifft. Um den ganzen Plärrer von Munitionsrückständen zu befreien, so die Erkenntnis, hätte man aber "auf der gesamten Fläche 20 Meter Erde abtragen müssen", sagt Stadtsprecher Goerlich.

Dieses Beispiel zeigt, welche Dimension das Thema Blindgänger für Augsburg hat. Betroffen davon sind neben der Stadt private Bauherren gleichermaßen. Dieses Argument führt auch der Baureferent an. "Die Verantwortung für Gefährdungen durch Kampfmittel bei Baumaßnahmen liegt auch bei den Bauherren und bauausführenden Firmen." Die Stadt könne zwar einen Bau einstellen, wenn es Anhaltspunkte für eine Kampfmittelbelastung des Grunds gebe, so Merkle. Er stellt aber auch klar, dass sich die Bauherren selbst um das Problem kümmern müssten. "Die Bauaufsichtsbehörde ist generell nicht dazu gehalten, selbst Gefahrenforschungseingriffe vorzunehmen oder anzuordnen." Um den Freien Wählern entgegenzukommen versichert er aber gleichwohl, die Firmen, die die städtischen Kanäle sanieren sollen, "nochmals über die Verhaltensrichtlinien zu informieren". Für Stadtrat Schafitel ist das zuwenig: Das Vorgehen der Stadt bei dieser sensiblen Materie sei "zu defensiv".

Stadtsprecher Goerlich sagt, es sei gar nicht möglich, das gesamte Augsburger Stadtgebiet zu sondieren und von Blindgängern und Munitionsteilen zu befreien. Die Flächen seien größtenteils überbaut und für prophylaktische Untersuchungen überhaupt nicht zugänglich. So müssen die Augsburger weiter mit ihrem gefährlichen Erbe im Boden leben. "Solange die Bomben nicht bewegt werden, besteht auch keine Gefahr", sagt Goerlich.

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