Süddeutsche Zeitung

Fotografie:"Der bayerische Boden ist, aus der Luft betrachtet, ein Spiegel der Gesellschaft"

Klaus Leidorf ist Luftbildarchäologe. Seit Jahrzehnten dokumentiert er, wie die Menschen die Schönheit ihrer Heimat mit Gewerbegebieten und Logistikzentren zerstören.

Von Hans Kratzer

Klaus Leidorf ist Luftbildarchäologe. Das ist ein seltener Beruf, nur wenige Menschen auf der Welt suchen aus der Luft nach Altertümern. Schon seit 30 Jahren fliegt Leidorf mit seiner unverwüstlichen Cessna 172 über die bayerischen Gebirge, Täler und Fluren, stets auf Spuren lauernd, die der Mensch in der Vergangenheit im Boden hinterlassen hat. Aber seit einigen Jahren richtet sich sein Blick nicht mehr nur auf keltische Viereckschanzen, römische Gutshöfe und mittelalterliche Burgenreste, deren einstige Standorte er am Bewuchs des Bodens erkennt.

"Bei meinen Flügen sehe ich täglich, wie dramatisch sich das Land gerade verändert", sagt Leidorf. "Der Flächenverbrauch hat gigantisch zugenommen. Das Land wird immer schneller zugebaut. Da sind Dämme gebrochen." Die Entwicklung hat sich nach seiner Beobachtung nicht nur entlang der Autobahnen und an den Autobahnausfahrten beschleunigt.

Selbst in der tiefsten Provinz werden großflächige Gewerbegebiete und Logistikzentren aus dem Boden gestampft. Manche sind größer als die Ortschaften, zu denen sie gehören, das zeigen Leidorfs Luftaufnahmen überdeutlich.

Klaus Leidorf dokumentiert diese Entwicklung sehr aufmerksam. Vom gleichen Standort aufgenommene Luftbilder zeigen im Abstand von nur wenigen Jahren dramatische Veränderungen. Riesige Äcker sind plötzlich komplett überbaut. "Der bayerische Boden ist, aus der Luft betrachtet, ein Spiegel der Gesellschaft", sagt Leidorf. Nirgendwo werde einem die Dimension der Veränderung so bewusst wie beim Blick von oben.

Im Studium hat er sich besonders mit den Herrenhöfen der Hallstattzeit befasst. Deshalb weiß er nur zu gut, dass die Mentalität der Menschen von damals nicht viel anders war als die heutige. "Der Mensch will immer etwas darstellen, seit jeher. Er hat einen ungezügelten Geldvermehrungswillen. Das kann ich aus der Luft wunderbar beobachten."

"Viele Gemeinderäte haben keinen Draht zur Natur"

Wie die Fürsten von einst verkörpern heute die Bürgermeister diesen Drang zur materiellen Prosperität. Leidorf wundert es nicht, dass viele von ihnen die Versiegelung von Flächen mit Gewerbegebieten mit geschwellter Brust für gut heißen. "Ich kann die Bürgermeister sogar verstehen, denn mit Gewerbeflächen werden ihre Gemeinden kräftig aufgepumpt. Wie die Landschaft aussieht, ist ihnen wurscht, viele Gemeinderäte haben keinen Draht zur Natur."

Auf dieser Basis entstehen nun Gewerbehallen und Logistikzentren, die weitaus flächiger sind als alles, was jemals zuvor in bayerischen Landschaften errichtet wurde. Gebäude wie das BMW-Logistiklager im niederbayerischen Wallersdorf sprengen alle Maßstäbe. Leidorf hat beim Überflug einen Menschen auf dem Dach fotografiert. Er wirkt auf dem Foto so klein wie eine Ameise auf einem Fußballfeld.

Vor 30 Jahren gab es auch schon Gewerbegebiete, aber sie hatten meistens noch vernünftige Dimensionen. Jetzt hat ein Konkurrenzkampf um die stärksten Investoren eingesetzt, die ökologische Vernunft bleibt dabei auf der Strecke. "Diese Entwicklung spiegelt sich geradezu dramatisch in der Landschaft", sagt Leidorf. Sie ist auch ein Spiegel der Wirtschaft, in der genau nachgerechnet wird, ob sich eine Investition lohnt. "Die Betriebswirtschaftler machen einen guten Job", sagt Leidorf.

Deshalb bauen sie lieber ein Riesending als viele kleine, weit verstreute Gebäude. Um die Landschaft aber kümmere sich die Betriebswirtschaft nicht. "Man müsste zumindest so planen, dass man die Gebäude wieder zurückbauen kann", wünscht sich Leidorf. "Damit es hier nicht so fatal endet wie in Detroit. Wie wird es einmal in unseren Gewerbegebieten aussehen, wenn all diese Hallen leer stehen?"

Die Spuren uralter menschlicher Siedlungsplätze verschwinden

Zu gerne würde er Bürgermeister auf seinen Flügen mitnehmen, damit sie die Veränderungen aus der Luft sehen. Der Regisseur Joseph Vilsmaier ist vor einigen Jahren ebenfalls über Bayern geflogen. Er hat dabei einen Film gedreht, es war eine Hymne an die bayerischen Traumlandschaften.

Umso mehr wundert es Leidorf, mit welcher Wurstigkeit die Bayern diese Heimat ihrer Schönheit berauben. "Die neuen Monsterbauten zeigen doch, dass man den Respekt vor der Landschaft verliert." Unter Hallen und Beton verschwinden überdies die bis heute sichtbaren Spuren uralter menschlicher Siedlungsplätze.

Deshalb sieht auch die Luftbildarchäologie einem ungewissen Ende entgegen. "Die Riesenerfolge sind vorbei", sagt Leidorf. "Trotzdem entdecke ich jedes Jahr was Neues. Zuletzt eine Viereckschanze im Landkreis Rosenheim." Aber wen interessiert es noch. Im Nachbarland Baden-Württemberg wurde die staatliche Unterstützung der Luftbildarchäologie bereits eingestellt.

30 Jahre lang ist Klaus Leidorf alle Winkel Bayerns abgeflogen, "damit die Jahrtausende nicht spurlos vergehen", wie es in einem Dokumentarfilm hieß. Schneller als erwartet scheinen die Spuren der Jahrtausende nun doch ausgelöscht zu werden.

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SZ vom 29.07.2017/amm
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