Finanzpolitik:Wofür Seehofer Milliarden verteilt

Bavaria Holds State Elections

Horst im Glück: Wie im Märchen kann Ministerpräsident Horst Seehofer mit scheinbar immer gut gefüllten Kassen regieren.

(Foto: Simon/Getty)
  • Ministerpräsident Horst Seehofer startet ein Großprojekt nach dem anderen in Bayern und gibt dafür Milliarden Euro aus.
  • Gleichzeitig hat die Staatsregierung so viele Schulden bedient wie niemals zuvor, denn die Konjunktur ist derzeit günstig.
  • Die Opposition kritisiert, dass ein durchgängiges Konzept für die vielen Projekte fehlt.

Von Wolfgang Wittl

Wie nah und doch so weit auseinander politische und echte Märchen liegen können, zeigt das Beispiel von Hans im Glück. Als Lohn für seine Arbeit bekommt Hans einen Klumpen Gold, den er nach und nach eintauscht: das Gold gegen ein Pferd, das Pferd gegen eine Kuh, so geht es weiter, bis er nur noch zwei Steine hat, die er am Ende sogar verliert. Trotzdem ist der Hans glücklich, weil er jetzt unbeschwert durchs Leben gehen kann.

Das politische Märchen von Horst im Glück funktioniert etwas anders. Horst tauscht Geld gegen Universitäten, gegen Zugstrecken, Konzerthäuser und Beamte, und je mehr Geld er ausgibt, desto reicher wird das Land, das er regiert. Auch der Horst geht unbeschwert durchs Leben, aber nicht alle sind so glücklich wie er. Sie bezweifeln, dass das Märchen von Dauer sein kann.

An diesem Donnerstag gibt Ministerpräsident Horst Seehofer eine Regierungserklärung zum Thema "Bayern Digital II" ab. Er wird über Gigabit, Glasfaser und Wlan-Hotspots sprechen - über deren Wichtigkeit und Chancen für die Menschen. Und wohl auch darüber, dass die Staatsregierung dafür in den nächsten fünf Jahren mal eben drei Milliarden Euro ausgeben wird, zusätzlich zu den eineinhalb Milliarden für Breitbandförderung.

Die Digitalisierungsoffensive reiht sich ein in eine Fülle von Großprojekten, die Seehofer in seiner Amtszeit in immer höherem Tempo angestoßen hat. München bekommt einen Konzertsaal und eine zweite Stammstrecke, Nürnberg eine Universität, Augsburg eine Uni-Klinik, das Land ein Bildungspaket, Tausende Stellen für Lehrer und Polizisten, dazu neue Museen, Ableger von Hochschulen, ein Programm für Barrierefreiheit und ein eigenes Landesbetreuungsgeld. Hinzu kommen Milliardensummen für Flüchtlinge und den kommunalen Finanzausgleich.

Seehofers Grundsatz lautet: Niemand dürfe benachteiligt werden. Wenn etwa die Gymnasien wegen der Rückkehr zum G 9 zusätzliche Stellen und Räume bekommen, müssen auch alle anderen Schularten bedacht werden. Wird München ein neuer Konzertsaal zugesagt, werden auch die Theater in Ingolstadt, Augsburg und noch viele weitere Kulturstätten in ganz Bayern großzügig gefördert.

So viele Schulden getilgt wie nie zuvor

Alles zusammengerechnet ergibt sich daraus ein zweistelliger Milliardenbetrag, weit größer als die zehn Milliarden Euro, die der Freistaat vor zehn Jahren für seine damals angeschlagene Landesbank hinterlegt hat. Summen, von denen andere Bundesländer nur träumen können. Aber auch das gehört zur Wahrheit: Gleichzeitig hat der Freistaat unter Seehofer und seinem Finanzminister Markus Söder so viele Schulden getilgt wie nie in seiner Geschichte.

Es gebe nicht viele Punkte, in denen sich Seehofer und Söder so einig seien, sagen Parteifreunde: "Beide gefallen sich, Wohltaten zu verteilen." Ernsthafte Kritik am Regierungsstil ist in der CSU nicht zu hören. Seehofer wolle es zwar allen recht machen, aber schließlich werde auch jeder bedient - wer also wolle da schon meckern? "Mit dem ganz großen Füllhorn" sei der Ministerpräsident unterwegs.

Eine Finanzpolitik "ohne Koordinatensystem und Konzept"

Möglich wird diese Politik durch eine nie dagewesene Phase der Hochkonjunktur. Ein Glückskind sei Seehofer; er ernte Früchte, wo er nicht gesät habe. Die Steuereinnahmen sprudeln, zugleich muss der Staat für seine Schulden kaum Zinsen zahlen. Obwohl die CSU gegen die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank gerne wettert, profitiert sie als Regierungspartei in hohem Maße von ihr. Doch trotz bester Wirtschaftsdaten greift die Staatsregierung weiter in die Rücklagen.

Die Opposition fühlt sich deshalb bestätigt, dass die Staatsregierung ihr Ziel von einem bis 2030 schuldenfreien Bayern verpassen wird. Harald Güller, der haushaltspolitische Sprecher der SPD, bescheinigt Seehofer eine Finanzpolitik "ohne Koordinatensystem und Konzept". Vor Jahren habe der Ministerpräsident etwa einen Stellenstopp verkündet und zur Mäßigung aufgerufen, nun werde das Geld wieder mit vollen Händen ausgegeben. Anders als dessen Vor-Vorgänger Edmund Stoiber lasse Seehofer keine Linie erkennen, kritisiert Güller. Dass die aufgezählten Projekte alle für sich ihre Berechtigung hätten, bezweifelt aber niemand in der Opposition. Selbstverständlich brauche es weitere Investitionen wie jetzt bei der Digitalisierung, sagt Güller. Vieles komme sogar zu spät.

Auch die ehemalige Haushaltssprecherin der Grünen, Claudia Stamm (fraktionslos), vermisst ein klares Konzept der Staatsregierung: "In der Schule fallen Unmengen von Stunden aus. Im reichen Bayern gibt es genügend Kommunen, die am Hungertuch knabbern." Viele Stellen müssten nur geschaffen werden, weil sie Stoibers Sparkurs zum Opfer gefallen seien. Das Ziel vom barrierefreien Bayern nennt Stamm "eine Mogelpackung" - das Geld sei nur versprochen, fließe aber nicht. Ihr Fazit: Die Haushaltspolitik der CSU kenne keine Prioritäten, "sie verspricht jedem alles und ist nicht zukunftsgerichtet".

Tatsächlich werden manche Projekte noch viele Jahre im Haushalt auftauchen, die Pensionskassen werden über Jahrzehnte belastet sein. Auch Söder, der alle Investitionen mitträgt, soll im Kabinett mitunter mahnen, wenn es um neue Stellen geht. Von 36,4 auf 58 Milliarden Euro ist der Staatshaushalt in den neun Regierungsjahren unter Seehofer gewachsen. Was also, wenn die Konjunktur sich abschwächt?

Seehofer ist von seiner Zukunftspolitik "total überzeugt". Wer jetzt nicht in Bildung, Digitalisierung und Infrastruktur investiere, werde später umso höhere Sozialausgaben zu bezahlen haben, ja, der begehe "eine Todsünde an Bayern". Die Steuerschätzungen für die nächsten Jahre bleiben laut Seehofer unvermindert gut, auch der Schuldenabbau werde gelingen - nicht zuletzt dank der von ihm verhandelten jährlichen Ersparnis von 1,4 Milliarden Euro beim Länderfinanzausgleich. Fachleute schätzen jedoch, dass die im Unionswahlprogramm angekündigte Steuerentlastung den Freistaat im Gegenzug bis zu eine Milliarde Euro kosten könnte.

Und die Sache mit dem Glück? Er habe nicht die Absicht, sich für die hervorragende Wirtschaftslage in Bayern zu entschuldigen, sagt Seehofer: "Sie ist ein Erfolg der Bevölkerung und unserer Politik."

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