Filmdreh in Dachau:Daniel Radcliffe und das Pinkel-Pistolen-Dilemma

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Die Dreharbeiten zur Action-Komödie "Guns Akimbo" führten Daniel Radcliffe (mit den Pistolen-Händen) und den Regisseur Jason Lei Howden (mit Kappe) unter anderem nach Bayern. (Foto: Universum Film)

Der Star aus "Harry Potter" dreht in einer stillgelegten Fabrik in Dachau einige abstruse Szenen für seinen neuen Kinofilm.

Von Christiane Lutz

Einstellung eins: Nahaufnahme Kloschüssel. Jemand schnaubt, nestelt und seufzt erleichtert, als sich ein gelber Urinstrahl in die Schüssel ergießt. Einstellung zwei: Pinkler von hinten an der Kloschüssel. Es ist ein Mann in kariertem Morgenmantel. Einstellung drei: Nahaufnahme Pinkler. Ein müdes, bärtiges Jungmanngesicht, gequälter Blick. Es ist Daniel Radcliffe, der da beinahe am Pinkeln scheitert. Und er scheitert beinahe am Pinkeln, weil er zwei Pistolen in seine Hände genietet hat. Es ist schwierig bis unmöglich, sich mit zwei angenieteten Pistolen die Hose zu öffnen, das weiß doch jeder.

Dieses Pinkel-Pistolen-Dilemma ist eine Szene aus "Guns Akimbo", einer Action-Komödie, die gerade in Bayern fertig gedreht wurde. Das internationale Team arbeitete während der letzten Etappe in der Papierfabrik in Dachau. Und ja, Daniel Radcliffe ist der richtige Daniel Radcliffe, der Harry-Potter-Radcliffe.

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"Es tut mir leid, dass Sie ausgerechnet diese Szene sehen mussten", sagt Radcliffe während einer viertelstündigen Drehpause. In den Tagen zuvor habe es schon coole Stunts gegeben und irgendwo am anderen Ende des Geländes jage die Second Unit gerade ein Auto in die Luft. Eventuell spektakulärer als das Gepinkle.

Daniel Radcliffe sitzt auf den Stufen seines Trailers und dreht sich eine Zigarette. Es ist ein schwüler früher Abend in Dachau, England spielt gerade gegen Kolumbien. In einem Van nebenan schaut der Radcliffe-Bodyguard mit dem Radcliffe-Double das Spiel. "Oh, ich hab' übrigens Unterwäsche an", sagt Radcliffe eifrig, weil das tatsächlich nicht so ganz ersichtlich ist. Er trägt Boxershorts und Tennissocken zu kariertem Morgenmantel - das Kostüm von Radcliffes Figur Miles. "Irre, wie schnell man sich daran gewöhnt, den ganzen Tag in Unterhosen rumzulaufen." Miles ist ein etwas nerdiger Typ, der Actionfiguren sammelt und die Bierflaschen zu lang nicht vom Couchtisch räumt. Er arbeitet für eine Computerspielfirma und entdeckt eines Tages eine Untergrundorganisation, die im Darknet sogenannte Todesmatches überträgt. Also Menschen aufeinander loslässt. Nachdem Miles Hasskommentare auf der Seite hinterlässt, tauchen ein paar finstere Typen auf und operieren ihm zwei Waffen an die Hände. Sie zwingen ihn, selbst bei einem Todesmatch anzutreten.

Viele Szenen von "Guns Akimbo" wurden in Neuseeland gedreht

"Guns Akimbo" (Filmstart voraussichtlich im Sommer 2019) ist eine amerikanisch-deutsche-neuseeländische Koproduktion, zu großen Teilen steckt "Occupant Entertainment", dahinter. Für Drehbuch und Regie ist Jason Lei Howden zuständig, etliche Szenen entstanden in seiner Heimat Neuseeland. Weil aber der Film Fernseh Fonds Bayern (FFF) im Zuge seines "Sonderprogramms internationale Koproduktionen" zwei Millionen Euro zuschoss, musste im Gegenzug auch in Bayern gedreht werden. Daniel Radcliffe rannte also in den vergangenen Wochen durch den Englischen Garten, durchs Schlachthofviertel und stieg auf der Hackerbrücke herum. Die stillgelegte Papierfabrik in Dachau eignete sich gut, darin Miles' Wohnung einzurichten und ein paar Szenen in finsteren Gängen zu drehen.

Auf dem verlassenen Gelände, wo schon Blümchen aus dem Beton wachsen, stehen jetzt Wohn- und Büro-Trailer, ein großer Catering-Wagen, ein Toilettenwagen (das Problem mit dem Pinkeln zieht sich durch die Dreharbeiten - in den alten Räumen funktionieren nur noch wenige Toiletten). Einmal hatte eine Gruppe den Ernstfall probende Polizisten die Dreharbeiten gestürmt und Leute verhaftet, weil sie annahmen, das Set sei Teil der Übung. Sonst sei alles nach Plan gelaufen in Bayern.

"Eigentlich war die Pinkelszene ausschlaggebend für mich, bei diesem Film mitzuspielen", sagt Daniel Radcliffe. Er sei Fan von Actionfilmen, "aber ich hab Schwierigkeiten, mich selbst in einer Actionrolle zu sehen". Dieser Film habe aber den richtigen Sinn für Humor und nehme sich selbst nicht zu ernst. Er erzählt nicht nur, wie er plötzlich Waffen statt Hände hat, sondern auch davon, wie er im Alltag mit den Dingern kämpft.

Alltag. So etwas hat Daniel Radcliffe, 28, nicht gehabt, seit er zehn Jahre alt war. Besser gesagt, keinen Alltag, wie ihn die meisten Menschen kennen. Wenn es so etwas wie Weltstars gibt, Daniel Radcliffe ist einer. Millionen Kinder (und Erwachsene) sahen ihm in den unfassbar erfolgreichen Potter-Filmen beim Erwachsenwerden zu und feierten ihn dafür. Dass er nicht wirklich Harry Potter war: egal. Als sich Radcliffe in Dachau mit Kollegen einmal kurz vor die Papierfabrik wagte, lungerten kurze Zeit später sofort Teenager vor den Toren. Es muss sich seltsam anfühlen, bei Gleichaltrigen Schnappatmung auszulösen und wie ein Alien angestarrt zu werden.

Radcliffe war gerade mal Anfang 20, als 2011 der letzte Film der Potter-Reihe in die Kinos kam. Locker hätte er sich ein paar Monate, Jahre aus dem Geschäft rausziehen können, Pause machen, er hatte Unsummen verdient. Doch er arbeitete immer weiter. Spielte sich den Harry vom Leib, entwickelte eine Vorliebe für skurrile Figuren und Indie-Projekte. Er spielte am Broadway Theater, war schon ein Nazi, ein Typ, dem Hörner wachsen und in "Swiss Army Man" eine an Blähungen leidende Leiche. Kommerziell erfolgreich waren die wenigsten dieser Geschichten. Aber zu einem respektierten Schauspieler haben sie Radcliffe allemal gemacht.

"Sie behaupten, ich könnte eine Pause machen", sagt er. "Aber das könnte ich nicht. Täte ich es, würde ich vermutlich reisen, aber ich glaube nicht, dass mir das Spaß machen würde. Ich würde mich langweilen." Er liebt seine Arbeit, die Dreharbeiten am Set, das gemeinsame Ziel. Vielleicht arbeitet er aber auch so ungeheuer viel, weil es so etwas wie Normalität für ihn nur am Filmset gibt. Das Set ist längst realer und sicherer als das Leben draußen. Der einzige Ort, an dem nicht gleich alle ausrasten, wenn er auftaucht.

Seine Filme schaut er sich nach der Premiere nicht wieder an. "Mich mit dem Ergebnis zu beschäftigen, ist das Gegenteil des Grundes, warum ich diesen Job mache. Das ist nicht meine Aufgabe." Eines Tages möchte er selbst Regie führen, das ist eines der Ziele, die er mit 28 noch nicht erreicht hat. Daniel Radcliffe spricht wahnsinnig schnell und, obwohl er Brite ist, mit amerikanischem Akzent. Immer wieder geht die Zigarette aus, weil er vor lauter Reden nicht zum Rauchen kommt. An seinen Händen sind fürchterlich aussehende Wundmale gebastelt, wie man sie wohl hätte, nietete einem jemand Waffen in die Hände.

Ein paar Tage zuvor seien die Kinder eines Kollegen am Set gewesen und hätten ihn kennenlernen wollen. "Einer starrte nur auf meine Hände mit diesem Was-zur-Hölle-ist-los-mit-dir-Blick. Ich hab dann an den Wunden rumgedrückt, um zu zeigen, dass alles Fake ist. Fand er nur noch ekliger." Kinder erschrecken, statt sie zum Kreischen zu bringen, ist mal was Anderes.

Es stimmt, was alle über ihn schreiben: Er ist ungeheuer höflich und entschuldigt sich ausgiebig, als er zur nächsten Szene gerufen wird und mit flatterndem Morgenmantel zurück ins Gebäude eilt. Der Tag ist noch lang, bis vier Uhr morgens soll gedreht werden. In zwei Tagen wird sein Teil der Arbeit an "Guns Akimbo" fertig ein. Aber die nächsten Filme, die nächsten Theaterprojekte, hat Daniel Radcliffe längst eingetütet.

© SZ vom 10.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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