Neuer Film über Ludwig II.:Was vom König bleibt

Film über Ludwig II.

Prozession durch die Nacht: Dreh zum König-Ludwig-Film auf Schloß Linderhof.

(Foto: Bavaria Film/Warner Bros.)

Schon wieder ein Film über den Märchenkönig. Der Plot ist eine royale Soap: Nach dem Tod seines Vaters wird der 18-jährige Ludwig König von Bayern. Statt in Waffen investiert er in Kunst, Kultur und Richard Wagner. Und auch auf die Kaiserin Sisi will der Sturkopf nicht hören. Ein Besuch bei den Gespenstern der Vergangenheit.

Von Martin Wittmann

Am Tag mag Neuschwanstein verstopft sein mit vulgärem Leben, aber nach sechs Uhr abends, wenn die Busse die letzten Touristengruppen verräumt haben und die dunkle Leere den Gemächern plötzliche Stille einhaucht, dann gehört das Schloss den Geistern. Saufad ist denen. Seit vierzig Jahren, seit Luchino Viscontis Dreh zu "Ludwig II." hier drinnen, warten sie darauf, endlich wieder quälen zu dürfen. Aber es traut sich ja niemand zu ihnen. Weil da draußen eine Währung zählt, die im Märchenschloss stets wertlos war: Vernunft.

Nach Viscontis Dreh 1972 war die Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser nämlich so geschockt vom Vandalismus der Crew generell und ihren 10 000 Watt starken, historische Teppiche und Vorhänge versengenden Jupiterlampen im Besonderen, dass sie Filmemachern jahrzehntelang die Drehgenehmigung im denkmalgeschützten Schloss verweigerten. Der Film wuchs unterdessen selbst zum Denkmal heran, und je älter und altmodischer er wurde, desto unantastbarer zeigte er sich potenziellen Nachahmern. Ein ewiger doppelter Denkmalschutz - so schien es zu sein, und so schien es gut zu sein.

Und doch sitzt da nun Edgar Selge im schwachen Lampenlicht auf einer Bierbank vor einem Caterer-Container, während hinter ihm, im Schloss, schon die Pompfrisuren seiner Kollegen geföhnt werden. Selge wartet in dieser Nacht auf seinen Einsatz als Richard Wagner, bei Rinderrouladen und Gemüsepfannkuchen.

Mit einem Budget von 16 Millionen Euro wird dieser neue "Ludwig II." in fünf Monaten gedreht, dank einer hart erkämpften Ausnahmegenehmigung auch an Originalschauplätzen wie hier in Neuschwanstein. Der Plot des Films ist eine der unzähligen Versionen einer royalen Soap: Nach dem Tod seines Vaters Max II. im Jahr 1864 wird der 18 Jahre alte Ludwig König von Bayern. Statt in Waffen will er fortan in Kunst und Kultur und Richard Wagner investieren, was weder seinem Bruder Otto noch den Ministern passt. Nicht einmal seine gute Freundin Kaiserin Elisabeth von Österreich (Sisi!), kann den Sturkopf von der Mobilmachung überzeugen.

Tot, aber unsterblich

Erst als der Krieg gegen die Preußen nicht mehr abzuwenden ist, schickt Ludwig die Truppen los. Auf der Roseninsel im Starnberger See betrauert der nun kranke König die Gefallenen. Trost verspricht nur ein adretter junger Mann, doch Ludwig verbietet sich diese Romanze. Unterdessen stimmen seine Minister einem Pakt zu, der Bayern im Kriegsfall an die Seite Preußens bindet. Ludwig ist darüber désolé, hat er doch Sympathien für Preußens Gegner Frankreich. Ludwig, inzwischen mit seiner Cousine Sophie verlobt, reist zu Verhandlungen mit Kaiser Napoleon III. nach Paris, wo er nur noch frankophiler wird. Wieder zu Hause und wieder von Sophie (und von Wagner) getrennt, sieht er 1870 den Krieg zwischen Preußen plus Bayern gegen Frankreich ausbrechen. Nach der Kapitulation Frankreichs wird Wilhelm I. Kaiser eines Deutschen Reichs, das auch Ludwigs Bayern einschließt.

Sprung ins Jahr 1886. Ludwig, jetzt dick und noch einsamer, hat sich mit dem Bau der Schlösser Neuschwanstein, Linderhof und Herrenchiemsee heillos überschuldet. Ob der horrenden Ausgaben und des daraus resultierenden Machtkampfs lässt die Regierung den König für verrückt erklären und nach Schloss Berg verbringen. Auch wenn das Lieblingsmysterium der Ludwig-Fanatiker, die Todesursache, hier nicht aufgelöst werden soll, sei so viel verraten: Am Ende ist der König tot. Unsterblich ist er natürlich trotzdem. So oder so.

Film über Ludwig II.

Exklusiv für die Gäste des Festivals: Sie bekommen den neuen "Ludwig"-Film (hier Sebastian Schipper) zu sehen, bevor das Werk in die Kinos kommt.

(Foto: Bavaria Film/Warner Bros./Stefan Falke)

Im Geisterschloss trifft Edgar Selge also auf: Ludwig II. als jungen Mann, gespielt von Sabin Tambrea; Ludwig II. als alten Mann, gespielt von Sebastian Schipper; Ludwig II. als treppenstürzenden alten Mann, verkörpert vom Stuntman. Dazu unsichtbar und schreiend omnipräsent: O.W. Fischer als früher Kitsch-Ludwig; Helmut Berger als Viscontis unerreichbare Majestät; ein rätselhafter Machthaber, an dem die Geschichtswissenschaft sich mittlerweile die Dritten ausbeißt; das prassende, politisch unbegabte Staatsoberhaupt, wie ihn phantasielose Nörgler sehen; der schwule Verklemmte, der in seinem Hofstaat oversexed and underfucked ästhetische Orgien feierte, wie Spötter meinen; nicht zuletzt der identitätsstiftende Kini, von dem die Königstreuen stolz träumen.

Und dann gespenstert da, bei einer so opulenten Investition nicht ganz zu ignorieren, auch noch dieser folkloristische Held herum, der allerdings nach ausdauernden einjährigen Festspielen - 2011 war Ludwig seit 125 Jahren tot - den überdrüssigen Deutschen 2013 das Kinogeld nicht mehr wert sein könnte.

Schaut man sich diesen ganzen Spuk nun schaudernd an, stellt sich die Frage: Wer tut sich unter diesen Umständen das Risiko eines großen Ludwig-Films an?

Bei Ludwig war bairisch verboten

'LUDWIG II'

Der Mythos stöckelt: Der alte Ludwig (Sebastian Schipper) und seine Lakaien auf dem Weg zu Schloss Herrenchiemsee.

(Foto: Bavaria Film/Warner Bros.)

Peter Sehr trägt Kopfhörer um den Hals, das weiße Hemd ist an den Armen hochgekrempelt, das volle graue Haare hüpft beim Herumeilen auf und ab, die dicke Brille aber sitzt betonfest. Seine Frau, die in Frankreich aufgewachsene Marie Noëlle, hat ein schwarz-weißes Ringel-Shirt an, es passt so gar nicht zu der Bibliothekarinnenaura dieser Regisseurin mit dem strengen Blick und den nach hinten gebundenen Haaren. Die beiden arbeiten seit 1979 zusammen, sie schufen etwa den vielfach ausgezeichneten "Kaspar Hauser" oder zuletzt "Die Frau des Anarchisten", auch drehten sie schon mit Adrien Brody oder Daniel Craig.

Aber einen Film wie "Ludwig II." haben sie noch nicht gestemmt: acht Jahre Vorbereitung, 72 Drehtage und eine umfangreiche Finanzierungsallianz aus Produktionsfirmen, Sendern und Förderfonds, die Engagements etwa von Selge, Hannah Herzsprung, Justus von Dohnányi, Tom Schilling, Uwe Ochsenknecht, Gedeon Burkhard, Katharina Thalbach und Samuel Finzi möglich machte. Und wen wählen die Regisseure aus den 370 Bewerbern als Hauptdarsteller? Den heute 28 Jahre alten Theaterschauspieler Sabin Tambrea, der sich für die Bewerbung mit seinem iPhone gefilmt hat. Die Exzentrik von Ludwig II. ist dem in Rumänien geborenen und in Nordrhein-Westfalen aufgewachsenen Tambrea bis zum Casting natürlich nicht in voller Dimension bekannt. Aber er hat ja viel unter Claus Peymann am Berliner Ensemble gespielt.

"Griaß Gott", grüßt Peter Sehr Gäste am Set, und der gebürtige Hesse spricht es genau so aus, also zum Wehtun unbayerisch. Will er sich sprachlich anpassen an die Szenerie? Mitnichten, denn: "Bei Ludwig war es sogar verboten, bairisch zu reden", sagt er. Die Königstreuen wären damit also schon mal verprellt. Aber um die geht es Sehr und Noëlle ja gar nicht. Den beiden geht es um das große Ganze des ganz Großen: um Ludwig als visionären Pazifisten, als unschuldigen Idealisten, als "Popstar, der der Welt um 150 Jahre voraus war, als Künstler, der heute Filme machen würde", sagt Sehr. Berge von Büchern und Archivmaterial hätten sie studiert, um nun endlich den echten Ludwig zu zeigen. Diesmal wirklich.

Viscontis Ludwig etwa, sagt Sehr, habe nicht viel mit Ludwig zu tun, sondern mit Visconti. Dessen zerstörerischer Geist wandelt in dieser Nacht auch im Schloss herum, und das gewaltig nervend. Um nämlich ein ähnliches Desaster wie 1972 zu verhindern, hat die Schlösserverwaltung für die Drehzeit einen beflissenen Aufpasser abgestellt. Er, und nur er, erledigt die einfachsten Handgriffe an der Originalausstattung. Wehe, jemand von der Crew will den Vorhang einen Spalt aufziehen. Da muss der diskrete Mann mit den weißen Stoffhandschuhen gerufen werden. Kerzen sind verboten, ebenso Sprays, die normalerweise beim Dreh gegen glänzende Schuhe eingesetzt werden. Alles wegen Visconti! hört man die Crew in Gedanken brüllen. Und da liegt die Nacht noch vor ihr.

Was rechtfertigt den ganzen Aufwand? Was soll der neue Anlauf bringen? "Wir wollten nicht noch einen weiteren Film machen, der brav die einzelnen Stationen im Leben des Königs abklappert. Stattdessen wollen wir die Zuschauer auf eine Reise zu Ludwigs Innenleben mitnehmen", sagt Noëlle, und dann schwärmen ihr Mann und sie leidenschaftlich vom Frieden, der von Ludwigs Bayern aus die Welt anstecken sollte, und sie sprechen über ihre eigenen Großväter, die sich im Zweiten Weltkrieg noch bekämpft hätten. Bald ahnt man, dass hier eine persönliche Idee entwickelt wurde, die weit über einen weihnachtlichen Kostümfilm hinausgeht. Oder anders gesagt: Es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass in diesem stürmischen Meer von Ambitionen, Assoziationen und Ambiguitäten gerade ein Blockbuster baden geht.

Was bleibt ist der Wahn

Film über Ludwig II.

König Ludwig II. (Sabin Tambrea) und Richard Wagner (Edgar Selge) in der goldenen Kutsche des Herrschers.

(Foto: Bavaria Film/Warner Bros.)

Noëlle und Sehr wären nicht die Ersten, die nach einem ersten Ludwig-Rausch verkatert sind. O.W. Fischer zum Beispiel spielte 1954 den König und sagte später, "Ludwig II." habe "etwas von der Unwirklichkeit des Schicksals, die Ludwig II. umgab. Man konnte ihr nur nachtwandelnd folgen, um ihr gerecht zu werden." Heißt konkret: Fischer schrieb sich selbst Szenen auf den Leib, die den König zum religiösen Freak machten. Die musste Regisseur Helmut Käutner wieder herausstreichen, denn "der König war ja wohl fromm, aber Ludwig II. auf Du und Du mit Jesus wäre nun wirklich abstrus gewesen."

Fischers Identifikation mit dem megalomanischen König konnte der Regisseur damit nicht bremsen. "Wenn man vor der Peterskirche steht", sagte Fischer, "hält man dieses Werk auch für unmöglich. Aber jeder von uns Künstlern hat doch etwas von einem Michelangelo." Drehbuchautor Georg Hurdalek bilanzierte: "Das Schönste an den Dreharbeiten war, dass alle, die damit zu tun hatten, ein bisschen zu spinnen anfingen."

18 Jahre später stürmt Visconti die Schlösser, mit Romy Schneider als Elisabeth und seinem Liebhaber als Hauptdarsteller. In der Dokumentation "Helmut Berger - Mein Leben" erinnert der sich 2005: "Als der Film fertig war, musste ich drei Wochen in die Klinik. Weil ich habe gedacht, ich bin der Ludwig." Er blinzelt in Zeitlupe. "Da fing ich selber an zu spinnen. Also irgendwas hat's schon hinterlassen."

Ja, was hat dieser Film hinterlassen? Zu viel. Dem alten Berger zu viel Wahn und den kühnen Filmern, die hier in Neuschwanstein wohl vergeblich hoffen, dem totdiskutierten Mythos noch ein Facetterl hinzufügen zu können, zu viel Bürde.

Der Dreh dieser Nacht geht dem Ende zu, die goldenen Kerzenständer samt Glühbirnen und der provisorisch verlegte Boden werden in die Laster gepackt, Perücken verstaut und Rouladen abgeräumt. Was bleibt, sind nichts als Geister. Schaust du zu lange in den Ludwig hinein, schaut der Ludwig irgendwann zurück, flüstern sie. Da kann selbst der Mann mit den weißen Handschuhen nichts mehr richten.

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