Film über KZ-Priester:Häftling Nummer 24255 meldet sich zurück

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"Hier wirst du zum Verbrecher oder zum Heiligen": Hermann Scheipers gehörte einst zu den Priestern, die im Konzentrationslager Dachau durch die Hölle gingen. In dem Film, der nun über den mittlerweile Hundertjährigen erschienen ist, berichtet er, wie er überleben konnte.

Von Dietrich Mittler

Hermann Scheipers hat Dachau in allen Variationen erlebt, in sengender Hitze, mit glitzernden Schneekristallen auf dem Stacheldraht - und Jahrzehnte später immer wieder in der Nacht. "30 Jahre später stand ich noch auf dem Appellplatz, fluchend, weil ich immer noch nicht entlassen war", sagt er. Es ist ein alter Mann mit leuchtend blauen Augen, der da in die Kamera blickt und von seinem KZ-Syndrom und den damit einhergehenden Albträumen erzählt. Für die Filmaufnahmen hat er ein grobes Stück Stoff mit blauen Streifen und einem roten Dreieck mitgebracht - die Überreste seiner Häftlingskleidung. Über dem roten Winkel prangt die Nummer 24255.

An einem dieser Tage, als der Prälat erneut nach Dachau kommt, regnet es. Der ehemalige Häftling Nummer 24255 steht wieder unter Beobachtung, als er sich dem Block 26 nähert, dem Priesterblock. Der Eurasburger Filmemacher Max Kronawitter weicht ihm nicht von der Seite. Im Sucher der Kamera nähert sich der inzwischen Hundertjährige gerade einem 8,60 Meter breiten und 90 Meter langem Betonfundament, das die Umrisse von Block 26 darstellt. Der alte Mann faltet die Hände, seine Lider sind schwer. "Eine Welt ohne Gott", so hatte der Benediktinerpater Sales Hess das KZ Dachau beschrieben. "In Dachau feierte das irrationale Böse im Menschen Triumphe", sagt auch Hermann Scheipers, doch dann erinnert er sich an den vierten Adventssonntag des Jahres 1944, an dem im Konzentrationslager eine Priesterweihe stattfand. "Das KZ war Hölle und heiliger Ort zugleich", sagt er.

Wenn Scheipers über Dachau spricht, ist er schnell bei seinem Stubenkameraden, dem Diakon Karl Leisner, der durch seine Lungentuberkulose zunehmend an Lebenskraft verloren hatte. Nur ein Wunsch hatte ihn aufrecht gehalten: Er wollte noch seine Priesterweihe erleben. Kurz vor Heiligabend wurde ihm dieser Wunsch in der kleinen Kapelle auf Block 26 erfüllt, ohne dass die SS auch nur ahnte, was sich dort abspielte. Alles war bis ins Kleinste vorbereitet, für den ebenfalls im KZ festgehaltenen Bischof Gabriel Piguet aus Clermont-Ferrand hatte ein Benediktiner sogar einen Bischofsstab geschnitzt. Dann, am zweiten Weihnachtsfeiertag, konnte der 30-jährige Karl Leisner seine erste Messe, die Primiz, halten - unter dem Priestergewand schaute der Häftlingsanzug hervor. Bald darauf, kurz nach der Befreiung des Lagers durch die Amerikaner, starb er. 1996 wurde Leisner von Papst Johannes Paul II. als Märtyrer der katholischen Kirche seliggesprochen.

Für Scheipers ist die weihnachtliche Primiz im KZ Dachau der Beweis dafür, "dass Gott uns nicht verlassen hatte". Den meisten seiner Mitgefangenen reichte indessen ein einziges Wort, um das Lager zu beschreiben: Hölle. An Weihnachten wurde den Häftlingen besonders bewusst, wie sehr sie der Willkür der SS ausgeliefert waren. Edgar Kupfer-Koberwitz etwa dichtete ein altes Weihnachtslied um: "Stille Nacht, heilige Nacht, einsam ein Häftling wacht. Rings in den Betten schlafen sie schon, fern klingt von Dachau ein Glockenton. Scheinwerfer flackern vom Turm in die Nacht, einsam ein Häftling wacht . . ."

Für Sentimentalität aber war im Lager kein Platz. Der Österreicher Max Gorbach wusste um die Gefahr, sich in Melancholie zu verlieren. Mit humoristischen Szenen und vergnügten Liedern versuchte er, die besonders malträtierten Mitgefangenen von der Strafkompanie aufzuheitern. "Nur immer lustig Blut", sang er ihnen vor, "und immer heit'ren Sinn, denn futsch ist futsch, und hin ist hin!" Diese Verse Gorbachs waren wörtlich zu verstehen.

Erstmals 1938 durften die Häftlinge im KZ Dachau Weihnachtspäckchen empfangen, wie der frühere Häftling Rudolf Kalmar in seinem Buch "Zeit ohne Gnade" schreibt. Doch immer wieder kam es beim Überprüfen der Postsendungen zu Exzessen. Dabei zerbrachen liebevoll verpackte Marmeladengläser und "Zigaretten schwammen im Staubzucker", berichtet Kalmar. Zumindest waren in der Weihnachtszeit Erleichterungen nicht auszuschließen - sei es, dass das Essen besser war, oder dass die Arbeitskommandos nicht ausrücken mussten und sich die Häftlinge von den Strapazen erholen konnten.

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Die Angst blieb aber auch an Weihnachten ihre ständige Begleiterin. An Heiligabend 1938 etwa waren Häftlinge vor den Augen ihrer Mitgefangenen misshandelt worden. Kalmar berichtet, dass der Prügelbock dafür eigens unter einem geschmückten Christbaum postiert wurde. "Dann nahm man sich einen Delinquenten nach dem anderen vor, zog ihn mit festgerammelten Füßen straff über die Wölbung und begann am 24. Dezember 1938 unter dem Weihnachtsbaum mit dem Vollzug einer üblichen, aber niemals so abstoßend, gemein und unflätig empfundenen Exekution."

Auch Scheipers beschreibt in dem kürzlich erstmals gezeigten Film eine alles andere als heile Welt: Mehr als tausend Priester sind im KZ Dachau umgekommen - die meisten von ihnen aus Polen. "Er hat mir erzählt, dass er fünfmal dem Tod nur knapp entgangen ist", sagt der Filmemacher Max Kronawitter, der im Laufe der Jahre einen 90-Minuten-Film über den letzten deutschen Überlebenden aus dem Priesterblock gedreht hat. Einmal, schwer erkrankt, schien das Schicksal von Scheipers besiegelt. "Er war im Invalidenblock, und er war sich sicher, in die Gaskammer von Schloss Hartheim bei Linz zu kommen."

Scheipers beschreibt es im Film so: 336 Dachau-Priester seien vergast worden. "Ich wäre der 337. gewesen", sagt er, doch auch hier kam er mit Glück davon. "Für ihn war das ein Zeichen: Gott hat noch etwas vor mit mir", sagt Kronawitter. Scheipers wäre nicht er selbst, fiele ihm nicht auch dazu noch eine Geschichte ein, die ihn lauthals auflachen lässt. Er zitiert in russischem Akzent einen Satz, den er in Dachau aufgeschnappt hat: "Wenn Gott dich brauchen, du nicht kaputt." Nicht minder humorvoll beschreibt Scheipers, der heute in einem Altenheim in seiner Heimatstadt Ochtrup lebt, den Weg nach Dachau. Die Gestapo habe ihn verhaftet, weil er für polnische Fremdarbeiter Gottesdienste geplant hatte.

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Ein SS-Offizier, der ihm beim Verhör eine Brücke bauen wollte, sagte: "Sie sind doch ein junger, dynamischer Mensch, hören Sie doch auf mit dem Pfarrerzeug. Da machen wir was aus Ihnen. Sie könnten Offizier sein!" Schließlich wollte der SS-Mann noch wissen, wie sich das mit dem Zölibat verhält. Scheipers holte weit aus: Wer sich ganz einer Aufgabe hingebe, der habe keine Zeit mehr für eine Familie. Und dann kam der Satz, der ihn für mehr als vier Jahre nach Dachau brachte: "Schauen Sie sich doch unseren Führer an, der gibt sich dem deutschen Volk so sehr hin, dass er auch auf eine Familie verzichtet."

Die Filmpremiere kürzlich in München hat Scheipers - vom Alter geschwächt - nicht mehr besuchen können. Max Kronawitter, selbst Theologe, hält bis heute Kontakt zu ihm. Der Film habe eine klare Botschaft: "In der größten Dunkelheit gibt es Gotteserfahrung", sagt er. Scheipers selbst würde das wohl mit den Worten eines Mithäftlings umreißen. Der hatte ihm, dem Neuling im KZ, mit auf den Weg gegeben: "Hier kannst du nur fluchen oder beten, hier wirst du zum Verbrecher oder zum Heiligen." Hermann Scheipers ist seinen eigenen Weg gegangen - er ist Mensch geblieben.

Interessenten können den Film für 19,90 Euro unter kronawitter@ikarus-film.de bestellen

© SZ vom 23.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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