Wunsiedel:Der Traum von der Großstadt Fichtelgebirge

Wunsiedels Stadtrat Matthias Popp will 42 Kommunen im Fichtelgebirge zu einer Großstadt zusammenschließen, um die Region aus der Bittstellerrolle zu holen.

Interview von Olaf Przybilla, Wunsiedel

Die flächenmäßig größte und grünste Großstadt Deutschlands? Geht es nach dem Willen des Wunsiedler Stadtrats und Professors Matthias Popp, soll diese im Fichtelgebirge entstehen. Bei der Kommunalwahl tritt er mit einer überparteilichen Wählervereinigung an. Ziel: Die "Große Landstadt Fichtelgebirge", ein Zusammenschluss von bis zu 42 Orten.

SZ: Herr Popp, was ist Ihre Grundidee?

Matthias Popp: Ich bin seit 18 Jahren in der Wunsiedler Kommunalpolitik tätig und überzeugt, dass wir das Bestmögliche für unseren Ort gemacht haben. Stelle aber fest, dass wir im Wettbewerb der Kommunen in Bayern einfach nicht auf die Überholspur gelangen. Wir verzetteln uns im regionalen Wettbewerb und verfolgen kaum überregionale Belange. Aufgrund der Stellung, die Wunsiedel in Bayern hat, haben wir einen ständigen Aderlass fähiger Leute in die urbanen Zentren. Wir haben nicht die Möglichkeiten, eine Attraktivität zu entwickeln, dass die wieder zurückkommen.

Was wäre Ihr Gegenmittel?

Mit dem Zusammenschluss zur Großen Landstadt Fichtelgebirge mit etwa 160 000 Einwohnern hätten wir auch einen Anspruch auf Forschungs- und höhere Bildungseinrichtungen. Die Konkurrenz unten kleineren Orten um so was ist riesengroß, da kommt man immer ins Hintertreffen. Das Fichtelgebirge ist eine Region mit sehr vielen kleinen Orten. Die Wirkmächtigkeit einer Großstadt bekommen wir nur, wenn wir uns zusammentun und eine großstädtische Verwaltungsstruktur und Politikorganisation schaffen mit Fichtelgebirgsrat und Fichtelgebirgsoberbürgermeister. Was die einzelnen Orte besonders macht, soll natürlich erhalten bleiben.

Gibt's da ein Vorbild?

Nein. Aber wir blicken natürlich auf die Organisation urbaner Zentren, die sich ein viel spezialisierteres Personaltableau leisten. Während die kleineren Kommunen stets auf externe Kräfte angewiesen sind, sobald was Besonderes ansteht, Förderanträge etwa. Wenn die Externen wieder weg sind, ist auch das Know-how wieder weg. In der Großstadt ist die Expertise einfach da, bleibt und wird von Mal zu Mal größer.

Wie sind die Reaktionen auf den Vorstoß?

Ich bekomme oft zu hören, das sei unrealistisch, der Schritt zu groß. Aber genauso viele sagen: Im Prinzip hast du recht.

Sie wollten 2020 ursprünglich in 42 Kommunen mit einer Liste antreten.

Das war zu ambitioniert. In Wunsiedel schaffen wir das, in der einen oder anderen Kommune auch. Damit trotzdem möglichst viele Bürger die Möglichkeit haben, der Bewegung eine Stimme zu geben, überlegen wir jetzt, für den Kreistag anzutreten. Das Wichtigste ist, dass der Prozess losgetreten wird. Unser Ziel ist zunächst, dass in der Periode bis 2026 die Kommunen miteinander ins Gespräch kommen. Wie können wir das Gute bei uns erhalten - und das herholen, was bisher zu kurz kommt?

Die bisherigen Kommunen würden nach Landesrecht dann nicht fortbestehen.

Richtig, aber Kommunen haben eine hohe Selbstverwaltungssouveränität. Man könnte über das Satzungsrecht dafür sorgen, dass entsprechende Strukturen fortbestehen, um das Erhaltenswerte zu erhalten.

Am Ende müssten die Bürger zustimmen.

Natürlich. Zunächst bräuchte es einzelne Gemeinderats- und Stadtratsbeschlüsse, bei einer so weitreichenden Geschichte auch eine Bürgerbefragung. Und am Ende müsste noch der Freistaat zustimmen.

Und das würde er - glauben Sie?

Eine solche Großkommune brächte eine enorme Verwaltungsrationalisierung mit sich. Allein schon deshalb würde das Land zustimmen, da habe ich keinen Zweifel.

Die 42 Orte liegen in unterschiedlichen Bezirken. Läge die viertgrößte Stadt Bayerns in Oberfranken oder der Oberpfalz?

Letztlich ist das egal. Bevölkerungsmäßig wär es mehr Oberfranken. Aber dafür bräucht's am Ende eine Willenserklärung der Großen Landstadt Fichtelgebirge.

Sie sind für die CSU in Wunsiedels Stadtrat eingezogen. Sind Sie noch Mitglied?

Ich bin CSU-Mitglied und will es auch bleiben. Die CSU besteht aus mehr als nur Kommunalpolitik. Und ich bedauere es sehr, dass die örtliche CSU offenbar Angst hat, dieses Thema selbst aufzugreifen. Es kann doch so nicht ewig weitergehen, mit diesen kleinteiligen kommunalen Strukturen.

Eine eigene Liste bei einer Wahl - glauben Sie wirklich, CSUler bleiben zu können?

Warum denn nicht? Ich hoffe, dass die CSU da zur Besinnung kommt. Es gibt so viele Flügel und Strömungen in der Partei. Warum sollte es da nicht auch einen "Kommunalreform von unten"-Flügel geben?

Sie sind Optimist.

Für mich steht fest: Wir müssen diese dauerhafte Bittstellerrolle überwinden, in der sich unsere Region befindet. Die erfüllt die Bürger hier nicht unbedingt mit Stolz. Wir waren im 19. Jahrhundert eine der bevölkerungsstärksten Regionen Deutschlands. Sind aber, vermutlich durch diese Kleinteiligkeit, immer weiter ins Hintertreffen und aus einer industriellen Führungs- in eine reine Mitläuferrolle geraten. Es fehlt hier einfach an Forschungsstruktur. Wir müssen uns Leute teuer einkaufen. Und in der Großstadt - ich bin ja selbst Professor in Nürnberg - stehen die Leute Schlage.

Müssen es unbedingt alle 42 Kommunen sein, die sich zusammenschließen?

Natürlich nicht. Es bräuchte zunächst mal einen Nukleus. Die 42 möglichen Orte - das ist unsere Diskussionsgrundlage.

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