Süddeutsche Zeitung

Festspiele in Wunsiedel:Der Opa mit dem "APO"-Lätzchen

Michael Lerchenberg, Kabarettist und Schauspieler, spielt mit seinem Stück "Der gekaufte Großvater" bei den Luisenburg-Festspielen aufs Hier und Heute an - mit Begriffen wie "Pflegestufe Plemplem".

Von Florian Welle, Wunsiedel

Hinter den Bergen, bei den sieben Zwergen, nein, da findet man nicht das Schneewittchen. Sondern seit mehr als 125 Jahren die Luisenburg-Festspiele Wunsiedel. Die Homepage weist nur den Weg mit dem Auto ins Fichtelgebirge. Doch wer wirklich ermessen will, wo sich das Felsenlabyrinth Luisenburg versteckt, der sollte sich einmal mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufmachen: Regionalbahn, Überlandbus und schließlich ein Ruf-Taxi, das nicht aussieht wie ein Taxi. Aber dafür fährt einen ein junger Mann, von dessen Freundlichkeit sich viele Taxifahrer in der Großstadt ein Scheibchen abschneiden könnten.

Und schon sitzt man auf einem der 1900 Plätze auf der Tribüne und blickt auf die malerische, von hohen Bäumen eingerahmte Felsenbühne. Die Luisenburg-Festspiele sind nicht nur das älteste deutschsprachige Theaterspektakel unter freiem Himmel, sondern auch das mit der besten Luft. Immer wieder umschmeichelt der Duft von Nadelhölzern und Moos die Nase.

Am Sonntag, so erzählt es der Dramaturg Christof Kaldonek, wird der hunderttausendste Zuschauer in diesem Sommer erwartet. Bis am 21. August Schluss ist, rechnet man mit 140 000 Besuchern. Verantwortlich für dieses stabil hohe Niveau ist Michael Lerchenberg. Seit 2004 leitet der Schauspieler, Regisseur und Autor die Festspiele. Unterhaltung ja, aber mit Tiefgang, so ließe sich das Konzept des selbst ernannten "Teilzeit-Oberfranken" zusammenfassen, der 2018 seinen Posten räumen will.

Bezogen auf das diesjährige Programm heißt das unter anderem: Federico García Lorcas "Bluthochzeit" gibt es als Schauspiel-Tanz-Theater, dann miauen Andrew Lloyd Webbers "Cats", für die Kinder kommt das Sams zurück, und Lerchenberg selbst hat sich Anton Hamiks Volksstücks "Der verkaufte Großvater" angenommen. Das ist nicht nur ein klassischer Schenkelklopfer, sondern passt auch sehr gut zu unserer immer älter werdenden Gesellschaft.

Lerchenberg spielt in seiner Inszenierung mit Schlagworten wie "Demenz" und "Pflegestufe Plemplem" aufs Hier und Heute an. Wie er überhaupt dem Stück alles Volkstümelnde ausgetrieben beziehungsweise in die mal beißende, mal slapstickhafte Groteske getrieben hat. Peter Engel hat dafür die Bühne in eine große Halfpipe verwandelt, passend zum Auf und Ab der an Irrungen und Wirrungen nicht gerade armen Komödienhandlung. Und Eva Praxmarer hat sich für die Darsteller clowneske Fantasiekleider ausgedacht, dazu die Gesichter weiß und die Bäckchen rot geschminkt.

Ein herrlich verrücktes Paar

Die Inszenierung hat vier schauspielerische Kraftzentren, die das übrige Ensemble mit ihrer Spielfreude anstecken. Nikola Norgauer und Norbert Heckner sind das hinterfotzige Ehepaar Haslinger. Dieses hat dem verschuldeten Biobauern Kreithofer den Großvater für 5000 Euro abgekauft, jetzt spechtet man auf das Erbe des "oidn Deppn". Also scharwenzeln Norgauer und Heckner um das "Großvaterli" herum, charmieren auf Teufel komm raus. Umso bösartiger fahren sie die Krallen aus, als sie feststellen, dass der bauernschlaue Großvater sie an der Nase herumgeführt hat.

Was für ein herrlich verrücktes Paar sind C.C. Weinberger als Kreithofer und Michael Altmann als Großvater: klein und kompakt der eine, hoch aufgeschossen und knorrig der andere. C.C. Weinberger erinnert schon von der Physiognomie an den legendären Alfred Edel. Aber vor allem sein körperbetontes Spiel, dieses rumpelstilzchenhafte Wüten, wirkt wie eine Hommage an ihn. Diesem Brocken steht das Theaterurgestein Altmann gegenüber.

Der 72-Jährige spielt den Großvater mit souveräner Beiläufigkeit, fast knochentrocken und gerade deshalb von umwerfendem Witz. Nicht zuletzt verleiht er der Figur Würde, selbst wenn er die Hose runterlässt und eine Windel zum Vorschein kommt. Oder wenn er sich sein Lätzchen mit dem Aufdruck "APO" statt Opa umbindet. Mitreißend und anrührend sein gegreintes "Schön, wunderschööön". Das fand auch das Publikum und dankte mit minutenlangem Applaus.

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SZ vom 30.07.2016/amm
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