Süddeutsche Zeitung

Festspiele in Oberammergau:Abdullahs Passion

  • Der Muslim Abdullah Kenan Karaca soll als zweiter Spielleiter der Passionsspiele 2020 in Oberammergau berufen werden.
  • Zu der katholischen Tradition waren zu Beginn der Festspiele 1990 weder verheiratete Frauen noch Protestanten zugelassen.
  • Der Gemeinderat des Dorfes im Landkreis Garmisch-Partenkirchen entscheidet am Montag darüber, ob Karaca, studierter Theaterregisseur, die Co-Spielleitung neben Christian Stückl übernehmen darf.

Report von Hans Kratzer, Oberammergau

Bei den Proben für das Passionsspiel anno 2000 ist dem Spielleiter ein kleiner Bub aufgefallen, der sich ständig in der Nähe der Bühne herumgetrieben hat: "Er hat einfach gut gesungen", erinnert sich Christian Stückl. 15 Jahre sind seitdem ins Land gegangen und der Bub, der den Namen Abdullah trägt, ist zu einem schneidigen jungen Mann herangewachsen. Figurmäßig kann er zwar mit dem stämmigen Stückl noch nicht mithalten, aber zumindest als Raucher kommt er dem Lehrmeister quantitativ schon recht nahe.

Als die beiden Männer am Donnerstag auf der Terrasse des Oberammergauer Theatercafés hocken, qualmt es jedenfalls auf beiden Seiten sehr ordentlich. Aber das ist ja auch kein Wunder, denn das Duo steht unter Strom. Am Montag wird der Gemeinderat von Oberammergau darüber befinden, ob Christian Stückl zum vierten Mal mit der Spielleitung der Passionsspiele beauftragt wird. Viel brisanter aber ist die Frage, ob der Muslim Abdullah Kenan Karaca als zweiter Spielleiter neben Stückl berufen wird.

Früher waren weder verheiratete Frauen noch Protestanten erlaubt

Ein türkischer Muslim soll ins Leitungsteam für die Passionsspiele im Jahr 2020 vorrücken. Das katholische Oberammergau hat schon viel erlebt. Aber eine solche Personalie hat's noch nie gegeben. Im Zeitschriftenladen, eine Art Barometer für die Stimmung im Dorf, teilt der Inhaber mit, es sei alles total ruhig.

Nur in der Lokalzeitung hat ein Leserbriefschreiber über den "aus einem anderen Kulturkreis stammenden Spielleiter" gemosert. "Oberammergau bitte aufwachen! Salem Aleikum", hat er geschrieben, aber er blieb der einzige, der sein Unbehagen öffentlich machte. "Das ist doch harmlos", sagt Stückl, "gerade wenn man weiß, wie in Oberammergau sonst die Gemüter hochgehen."

Als Christian Stückl die Passionsspiele 1990 erstmals inszenierte, wurde das Spielrecht noch sehr streng ausgelegt. Frauen über 35 und verheiratete Frauen durften zum Beispiel nicht mitmachen. Bis diese vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof auf Gleichberechtigung klagten. Sie bekamen recht, die Spielleitung musste wegen des Andrangs 400 Kleider nachnähen lassen.

Überdies bekam damals Carsten Lück, der technische Leiter der Passionsspiele, als erster Protestant eine Hauptrolle. Weihbischof Franz Dietl sah den Weltuntergang heraufziehen, weil Oberammergau keine rein katholische Angelegenheit mehr war. Selbst die SZ runzelte noch mit der Stirn, wenn auch mit Ironie, als sie darauf verwies, dass da tatsächlich ein junger Mann mit dem fatalen norddeutschen Namen Carsten Lück mitmachen wolle.

"Es geht hier nicht um Türken oder Moslems - er brennt"

Von da an wurden in Oberammergau viele alte Zöpfe abgeschnitten. In der fast 400-jährigen Geschichte des Passionsspiels spiegelt sich häufig der gesellschaftliche Wandel wider. "Ein Muslim als Spielleiter ist eigentlich nur die logische Folge", sagt Stückl. Zumal es kaum Alternativen gebe. Jedes Mal, wenn ihn Otto Huber, der bisherige zweite Spielleiter, nach der Wiederbesetzung fragte, antwortete Stückl: "Ich kann ihn ned schnitzen, auch wenn ich gelernter Bildschnitzer bin."

Vor sechs Jahren nahm Abdullah Karaca wieder Kontakt zu Stückl auf, der ihn schon als Bub schwer beeindruckt hat. Nach dem Abitur begann er in Hamburg ein Theaterregie-Studium, im Herbst wird er als fester Regisseur in Stückls Münchner Volkstheater arbeiten. "Nach sechs Jahren Kooperation ist die Spielleitung ein logischer Schritt", sagt Stückl. "Es geht hier nicht um Türken oder Moslems, er hat das Fach gelernt, er brennt."

1634 - erstes Spieljahr

Die Passionsspiele von Oberammergau gehen auf ein Gelübde im Jahr 1633 zurück. Damals grassierte die Pest. Inzwischen finden die Aufführungen alle zehn Jahre statt, das nächste Mal 2020. Von den gut 5000 Einwohnern steht dann fast jeder zweite auf oder hinter der Bühne. Die Darsteller sind Laien. Die 100 Vorstellungen auf der großen Freilichtbühne des Theaters werden von einer halben Million Menschen aus aller Welt besucht. Die Gemeinde investiert einen zweistelligen Millionenbetrag in die Passion.

Würde er Vorstand vom Trachtenverein Oberammergau werden wollen, würde es wohl schwieriger. Die Männer lachen herzhaft, "da lernst erst amoi 's Platteln!", frotzelt Stückl. Er hält große Stücke auf Karaca, der in der Hamburger Theaterszene, wie er einwirft, als uneingeschränkter Fachmann fürs Katholische angesehen wird.

Wenn das bayerische Abitur nicht für den Pass reicht

Karaca wirkt im Gespräch freundlich und zurückhaltend, in der Sache aber ist er kompromisslos. Als er neulich im Amt in München einen deutschen Pass beantragte, beschied man ihm, er müsse erst einen Deutschtest ablegen. Der akzentfrei deutsch sprechende Karaca fragte daraufhin: "Ja, reicht denn mein bayerisches Abitur nicht aus?" Da keine Einigung herbeigeführt wurde, zog er seinen Antrag zurück. "Ich werde es später noch einmal probieren, aber nur, wenn das bayerische Abitur für den deutschen Pass reicht."

Er fühle sich als Oberammergauer durch und durch, sagt Karaca auf dem Weg zum Passionsspielhaus. "Ich will auf jeden Fall, dass meine Kinder in Oberammergau groß werden." Dass die Familie aus dem Ort weggezogen sei, habe er bedauert. "Ich fühle mich hier daheim."

Florian Streibl, der aus Oberammergau stammende Landtagsabgeordnete der Freien Wähler, sagt, die Stimmung sei gerade schwer einzuschätzen. "Bei manchen gibt es wohl schon Bauchschmerzen." Weniger, weil Karaca Muslim ist, sondern weil er zu wenig verwurzelt sei. Oberammergau sei ein weltoffener und multikultureller Ort. "Aber ausschlaggebend ist, wie sich einer eingliedert."

"Bei der Integrationsbereitschaft hapert es manchmal noch"

Offen ist, ob sich jüdische Verbände zu einem möglichen Spielleiter Karaca äußern werden. In der Vergangenheit wurde von dieser Seite oft heftige Kritik am Passionsspiel geübt. Einmal wurde es gar als "Krebsgeschwür im Körper des Christentums" gebrandmarkt. Seit der Überarbeitung der Texte im Jahr 2000 ist die Kritik allerdings verstummt. Manche Worte waren so gedeutet worden, als wäre das jüdische Volk schuld am Tod Jesu.

Heimat sei früher in Oberammergau als ausgrenzender Begriff im Sinne des "Mia san mia" verstanden worden, sagt Florian Streibl, das sei aber längst überwunden. Christian Stückl glaubt trotzdem, dass man das Heimatverständnis noch weiter öffnen müsse. Wir leben miteinander, also müssen wir alle, die mitmachen wollen, auch ins Passionstheater reinholen. "Bei der Integrationsbereitschaft hapert es manchmal noch."

Bisweilen klappt das aber schon ganz gut. "Griasdi!", ruft Bibo, ein junger Jeside aus dem Irak, Stückl beim Vorbeiradeln zu. Er wohnt im Heim für unbegleitete Jugendliche und hat sich, weil er freundlich sein will, ein paar bairische Wörter angeeignet. Er spielt im Theater und bringt auch andere Jugendliche mit. Ein junger Mann aus Afghanistan singt sogar bei Stückls neuer Nabucco-Inszenierung mit, ein anderer schneidert Gewänder. Die Zeiten, in denen Oberammergau eine Hochburg des Konservativismus war und von Kardinal Döpfner wegen geistiger Unbeweglichkeit gerüffelt wurde, sind vorbei - dass die Uhr am Montag zurückgedreht wird, ist unwahrscheinlich.

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Quelle:
SZ vom 13.06.2015/libo
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