Festspiele in Bayreuth:Bassist im Treibhaus

Franz Hawlata gibt den Hans Sachs in den "Meistersingern". Hitze, Buhrufe und Wagnerianer - was ein Bayreuther Debütant alles über sich ergehen lassen muss.

Olaf Przybilla

Am Morgen danach tönt Franz Hawlatas Stimme, als hätte der Bassbariton die Nacht unter einer Bayreuther Brücke verbracht. Sechs bis zehn Weißbier hat er, eigenen Schätzungen zufolge, umgesetzt in dieser Nacht der "Meistersinger". Darf man freilich Hawlata am Donnerstagabend dabei beobachten, wie er am Bayreuther Bahnhof das Glas ansetzt, so dürfte es eher nicht bei sechs leichten Weißen der Ortsmarke geblieben sein.

Franz Hawlata gibt den Hans Sachs

Franz Hawlata gibt den Hans Sachs

(Foto: Foto: AP)

Genau sieben Schluck benötigt der 98-Kilo-Mann, dann sind die ersten drei Gläser leer. Am Vorabend saßen sie nach der Premiere noch bis um halbsechs Uhr in der Früh zusammen, im engsten Kreis und leckten Wunden nach all den Buh-Rufen.

Allein im dritten Akt, röhrt Hawlata, hat er am Vorabend fünf Liter Flüssigkeit verloren. Der dritte Akt der "Meistersinger" dauert in Bayreuth zwei Stunden am Stück. Hawlata gibt den Hans Sachs, die Bühne verlassen darf er in diesen zwei letzten Stunden der insgesamt 270 Minuten dauernden Aufführung nicht. Der Mann, der im oberbayerischen Eichstätt geboren ist und heute am Chiemsee lebt, hat viel über Haile Gebrselassie gelesen, den Marathonmann aus Äthiopien, der einst 15 Weltrekorde aufstellte.

"Was wir da oben machen", sagt Hawlata und nickt zum Festspielhaus, "das ist belastungsmäßig so ziemlich dasselbe". Gebrselassie allerdings hat trinken dürfen während der letzten zwei Stunden seines Laufs. Hawlata darf das bei seinem Auftritt nicht.

"Kunstspießertum"

Der Abend nach der Premiere, das ist in Bayreuth der Abend nach dem Staatsempfang, auf dem die Schulterklopfer den Ton angeben. Der 43 Jahre alte Oberbayer hat viel Schönes zu hören bekommen in dieser Nacht nach seinem Bayreuth-Debüt, gelegentlich stieß auch eine Dame in Lila zu ihm und pries seinen Gesang, Angela Merkel. Der Abend nach der Premiere, das ist aber auch der Abend vor den Rezensionen.

Dreihundert Journalisten sind gekommen zum Regiedebüt der Katharina Wagner in Bayreuth, man ahnt als Sänger also ungefähr, was da am Freitagmorgen auf einen zukommen könnte. Hawlata freilich hat ein sehr gutes Gefühl in diesen Stunden vor dem Sturm, es war schließlich nicht sein erster Sachs. In Wien, an der Staatsoper, haben sie ihn gefeiert, etwas anderes hatte Hawlata dort auch nicht erwartet. In Florenz, wo Zubin Mehta dirigierte, las er ebenfalls Hymnen über sich.

Hawlata lobt viel, wenn die Sprache auf Katharina Wagner kommt. Er hat Festspielleiter Gerard Mortier in Salzburg erlebt, natürlich, das war noch eine andere Liga als eine 29 Jahre alte Bayreuth-Debütantin. Aber wie die junge Wagner die Sänger einbezogen hat, geradezu demütig, schwärmt Hawlata, das habe er so noch kaum irgendwo erlebt. Die Buhrufe, die er hat erdulden müssen bei der Premiere, hält der Bassbariton noch am Donnerstagabend für eine logische Folge der Regie.

Den Sachs aber, den er gab bei Anselm Weber in Essen, dieser Sachs hat Hawlata endgültig ganz nach vorne gebracht. Als dann Bayreuth anfragte, ob er die Hauptpartie geben wolle beim Debüt der Wagner-Urenkelin, hat Hawlata zunächst gezögert. "Du brauchst heute nicht mehr Bayreuth in deiner Vita, um ein Großer zu sein", erklärt er, "das denken die da oben zwar immer noch, das ist aber schon lange nicht mehr so".

Hawlata hat an der Met in New York gesungen, in Chicago und in Paris und zwölf Jahre lang bei den Salzburger Festspielen. Und er hat den Regisseur Christoph Marthaler erlebt, wie der verzweifelt in einer Bayreuther Kneipe kauerte und von der Unmöglichkeit erzählte, in der Stadt der Wagnerverbände innovative Kunst zu machen.

Glaube an Katharina

Der Grund, warum Hawlata zusagte in Bayreuth, heißt Katharina Wagner. "Die will das hier aufbrechen", sagt Hawlata. Und meint "diese diskussionsfeindliche Hermetik, diese Geheimnistuerei, das am Hügel kultivierte Kunstspießertum". Warum die Besten ihres Faches nicht mehr kommen wollen nach Bayreuth, der Tenor Jonas Kaufmann etwa, das müsste den Gralshütern vom Wagnerverband doch zu denken geben. Er kenne viele Kollegen, sagt Hawlata, "die sagen, ich lasse mich doch für diese vergleichsweise lächerliche Gage in Bayreuth nicht von irgendwelchen Ewiggestrigen von der Bühne brüllen".

Einer Regie, die keinen stimmlich bruchlosen Triumphgesang zuließ, als Hans Sachs am Ende diese "entsetzlichen Deutschtümeleien" zum Besten gibt. Da er aber dieses Konzept mitgetragen habe, erdulde er nun auch dieses Von-der-Bühne-Brüllen.

So jedenfalls erklärt er das seinem Kollegen Arnold Bezuyen, dem Loge aus "Rheingold", den Hawlata später noch am Grünen Hügel trifft. Bezuyen hat von den Buhrufen gegen Hawlata gehört, und Bezuyen, der Niederländer, hält dergleichen für Barbarei. Neben ihm kaut das Wagnerpublikum an fränkischen Bratwürsten, es ist gerade Pause im "Tannhäuser". "Weißt Du", sagt Bezuyen, der seit acht Jahren in Bayreuth singt, "ich werde dieses Buhbrüllen nie richtig verstehen".

Vernichtendes Echo

Der Freitag wird heftig. Morgens müssen sich Hawlata und Katharina Wagner den Attacken der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth stellen. "Die sind auf uns losgegangen wie die Verrückten", wird Hawlata anschließend erzählen. Vor allem beim Schlussmonolog sei er stimmlich nahezu vollständig eingebrochen, lautet nur einer der Vorwürfe der Wagnerianer. Hawlata versucht sich zu verteidigen.

Bassist im Treibhaus

Der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso, und der französische Botschafter haben direkt vor ihm gesessen. Ob er den Portugiesen Barroso etwa hätte anbrüllen sollen, fragt Hawlata, dass welscher Dunst mit welschem Tand die deutsche Kunst kaputtmache? So steht es bei Richard Wagner. Stimmlich ungebrochen, sagen dessen Urenkelin und Hawlata, könne man dies kaum darbieten.

Hawlata hat schlechte Karten an diesem Morgen. Zwar wird er in der Frankfurter Rundschau für seine lyrische Intensität gelobt. Auch die Schusterliedstrophe, der emotionale Höhepunkt der Oper, sei lediglich einem jedes Pathos unterlaufenden Regiekonzept geopfert worden. Insgesamt aber ist das Presseecho vernichtend. Hawlata sei am Ende vokal eingebrochen, heißt es in den Kritiken, was nicht nur die Neue Osnabrücker Zeitung auf Hawlatas Zigarettenkonsum auf der Bühne zurückführt, der ihm offenbar von Katharina Wagner aufgenötigt worden sei.

Totalen Blödsinn, nennt das Kettenraucher Hawlata. Er habe schließlich nur gepafft und die Regisseurin sei sogar noch so großmütig gewesen, ihm ein Viertel Traubensaft zu genehmigen. Das durfte er im dritten Akt auf der Bühne trinken, sonst wäre er bei 37 Grad im Festspielhaus umgekippt. Im Übrigen habe er den Sachs nun vierzigmal gegeben, in Florenz, Essen und Wien.

Fünf Jahre lang wird Hawlata nun den Sachs spielen in Bayreuth. Mit Katharina Wagner werde er sicherlich noch einmal zusammenarbeiten, "entweder hier oder anderswo". Die Regisseurin sitzt ihm in diesem Moment gegenüber und lächelt. Sie verehre Franz Hawlata für dessen "schauspielerische Fähigkeiten", erklärt sie. Ein Satz, der alles offen lässt.

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