Jüdisches Leben ist gerade in diesen Tagen in Augsburg wieder sichtbar. 99 Angehörige von Holocaust-Opfern erkunden die Stadt, werden im Rathaus empfangen und nehmen am Mittwoch an der Feier zum 100-jährigen Bestehen der großen Synagoge teil. Zu diesem Anlass hat das Jüdische Kulturmuseum die aus aller Welt angereisten Nachfahren der vertriebenen oder ermordeten Juden eingeladen. Ihre Eltern, Großeltern, Tanten, Onkel oder Cousins hatten in Augsburg gelebt, bis der Nazi-Terror das jüdische Leben auslöschte.
Daran erinnerten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Ministerpräsident Horst Seehofer und der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, bei einem Festakt in der Synagoge, die als eines der wenigen jüdischen Gotteshäuser im Land die NS-Herrschaft relativ unbeschadet überstanden hat. "Was für ein schöner Raum, was für ein besonderes Haus", sagt Steinmeier.
Im Gedenken an die Opfer des Holocausts sind in Augsburg in den vergangenen Wochen Stolpersteine verlegt und - als alternative Erinnerungsform - sogenannte Erinnerungsbänder an Laternenmasten angebracht worden. Am Mittwochnachmittag stehen Nachfahren der Familien Englaender, Sturm und Steinfeld in der Augsburger Innenstadt vor dem Haus mit der Adresse Annastraße 6. Hier lebte der Zahnarzt Paul Englaender mit seiner Frau Hedwig und den Kindern Lisl und Hans. Als die Nazis im Land die Macht übernahmen, bekam die Familie die unerbittlichen Verfolgungsmaßnahmen des NS-Staats sofort zu spüren.
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Weil Paul Englaender als "Ostjude" galt, setzte die Augsburger NSDAP seinen Namen am 1. April 1933 auf die Liste zum Boykott jüdischer Arztpraxen, Geschäfte und Anwaltskanzleien. 1939 wurde dem Zahnarzt die Approbation entzogen, Anfang 1943 erhielt das Ehepaar Englaender die Aufforderung zur Deportation nach Auschwitz. Ihre Kinder hatten sie noch in die USA und somit in Sicherheit bringen können. Für sich selbst sahen sie schließlich keinen Ausweg mehr. Zusammen mit drei weiteren jüdischen Paaren nahmen sie sich einen Tag vor der angeordneten Deportation das Leben.
An diese Familien erinnern die bronzefarbene Metallbänder, die die Namen der Opfer tragen und an Masten vor den jeweils letzten Wohnorten angebracht sind. Nie kennen gelernt hat Diane Englander Peyser ihre Großeltern Hedwig und Paul Englaender. "Sie sind aus dem Leben gerissen worden, bevor ich geboren wurde", sagt sie in einer kurzen Ansprache. "Ihre Kinder waren ihre Gaben an eine Welt, die sie niemals kennenlernen konnten."
Auch Becca Rausch, eine junge Frau aus Boston in den USA, ist mit ihrer Mutter Deborah gekommen, um an der kleinen Feierstunde zur Installation eines Erinnerungsbandes an der Annastraße 6 teilzunehmen. Die Tochter zeigt ein Blatt Papier mit dem weit verzweigten Stammbaum ihrer Familie, die bis zur Vertreibung und Vernichtung in Augsburg lebte. Von einst 1200 Juden in der Stadt gelang nur etwa der Hälfte die Flucht, die anderen wurden alle ermordet. Heute leben in Bayerisch-Schwaben wieder 1500 Juden, die meisten wanderten aus Osteuropa zu. Ihr Großvater sei in Deutschland Kriegsveteran gewesen und habe nicht geglaubt, dass die Nationalsozialisten zu einem solchen "Horror" fähig seien, berichtet Deborah Rausch. Dann hat man ihn ins Konzentrationslager nach Dachau gebracht. Hass auf die Deutschen empfinde sie nicht, sagt die Amerikanerin. "Denn Hass ist niemals gut." Mit der Reise nach Augsburg will die Frau die Erinnerung an ihre Vorfahren an ihre Tochter weitergeben. An das Schicksal der Augsburger Juden erinnert beim Festakt zum 100-jährigen Bestehen der Synagoge auch der Bundespräsident. In dem großen Gotteshaus, das Steinmeier als eine der schönsten Synagogen Deutschlands bezeichnet, warnt er vor dem wachsenden Antisemitismus und ruft dazu auf, sich zu wehren: "Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass Synagogen in unserem Land immer noch von der Polizei bewacht werden müssen. Wir dürfen nicht ertragen, dass völkisches Gedankengut wieder Einzug hält in politische Reden." Es dürfe auch nicht hingenommen werden, wenn Einwanderer aus muslimisch geprägten Regionen ihre Feindbilder nach Deutschland importierten, so Steinmeier. Ministerpräsident Horst Seehofer sagt, dass für Rechtsradikalismus und Antisemitismus "kein Millimeter Platz" in diesem Land sei. Wer jüdische Mitbürger bedrohe, stelle sich gegen Demokratie und Freiheit. Die Augsburger Synagoge gibt es noch, weil die Nazis sie nicht einfach niederbrennen konnten. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 legten NS-Schergen Feuer in dem prachtvollen Gotteshaus. Der NS-Gauleiter ließ die Flammen nur deshalb löschen, weil sie auf eine benachbarte Tankstelle überzugreifen drohten.