Hubert Aiwanger muss anderthalb Stunden warten. Für ihn erkennbar harte anderthalb Stunden. Ein wenig unruhig sitzt er da; ein paarmal schon hat er sich vorsorglich aufgebaut, um nur ja demonstrativ gut gelaunt in die Kamera zu lachen, wenn er abgewatscht wird. Nur wird er nicht abgewatscht. Sitzungspräsident Bernd Händel begrüßt ihn nicht, Büttenredner Peter Kuhn schwebt intellektuell in höheren politischen Sphären und lässt Aiwanger dementsprechend unerwähnt. Und Volker Heißmann und Martin Rassau, die Komiker aus Fürth, laufen bei ihrem lästerlichen Gang durchs politische Saalpublikum kommentarlos an Aiwanger vorbei. Das ist die Höchststrafe. Erst Oliver Tissot erbarmt sich und spricht den bayerischen Vize-Regierungschef kurz mal an, nach fast 90 Minuten Livesendung.
In Veitshöchheim kann es hart zugehen bei der Fastnacht in Franken. Keiner weiß das besser als Markus Söder. Der amtierende Ministerpräsident und CSU-Chef war schließlich viele Jahre der Lieblings-Watschenmann der Satiriker und Büttenredner, woran auch noch so phantasiereiche Kostüme Söders nichts änderten. In diesem Jahr aber war alles anders. Söder erreichte selbst in Veitshöchheim einen ganz neuen Beliebtheitsgrad, was vielleicht auch mit seinem Auftreten dort zu tun hat.
Faschingskostüme:Die vielen Gesichter des Markus Söder
Bei der "Fastnacht in Franken" ist der designierte bayerische Ministerpräsident schon als Homer Simpson, Marilyn Monroe oder Edmund Stoiber aufgeschlagen. Diesmal gibt er den Landesvater.
Entspannter denn je sitzt er in der Sendung, bisweilen lacht er sogar lauthals. Und auch als die Kameras ausgeschaltet sind, verteilt er hier und da ein paar Nettigkeiten und posiert in einer für ihn erstaunlichen Geduld für Erinnerungsfotos. Wie mit den Gardemädchen aus Röttenbach, deren Vereinshütchen er sich zu ihrer Begeisterung launig aufsetzt.
Was die Einschaltquoten angeht, bewegte sich die vom Bayerische Fernsehen zum 33. Mal live übertragene Prunksitzung des Fastnachtsverbands Franken auf dem enorm hohen Niveau der Vorjahre. Durchschnittlich 3,8 Millionen Zuschauer bundesweit, 49,7 Prozent Einschaltquote in Bayern - damit dürfte die Sendung ziemlich sicher auch in diesem Jahr die erfolgreichste des BR und überhaupt aller Dritten Programme werden. Der anhaltende Erfolg hat mutmaßlich viel damit zu tun, dass die Fastnacht in Franken mit den angestaubten Karnevalssendungen, wie man sie andernorts zeigt, nichts gemein hat. Sie ist eine fröhlich-bissige Revue und kein starres Abhaken ritualisierter Abläufe.
Und diese 33. Auflage der Franken-Fastnacht war eine der besten. Egal ob die katholische Kirche, Greta Thunberg und ihre Kritiker, die SPD und vor allem CSU-Pannen- und Verkehrsminister Andreas Scheuer im Zentrum standen - Frech- und Derbheiten, politische Satire und Klamauk waren genau gezielt und fein austariert. Die Sticheleien saßen, verbal gefochten wurde meist mit dem Florett und selten mit dem Säbel. Manches kam beiläufig daher - und traf umso punktgenauer. Etwa als der Kabarettist Michl Müller den bayerischen Bauernverbandspräsidenten anfrotzelt: "Heut' kein Bauernprotest? Ist etwa der Bulldog verreckt?"
Das gesangliche Niveau wurde durch den Auftritt der Ansbacher A-cappella-Boygroup Viva Voce auf eine neue Ebene gehoben. Büttenredner Kuhn gelang ein brillanter, hintersinnig gereimter Auftritt als Brexit-Brite, der mit Höcke und den Hetzern abrechnete. Der Saal feiert ihn mit stehenden Ovationen. Musikkabarettist Matthias Walz erntete für lässige Spottlieder über die Schulferiendebatte und realsatirische O-Töne Söders dazu nicht nur Gelächter von Söder selbst, sondern auch begeisterte "Zugabe"-Rufe. Volker Heißmann und Martin Rassau karikierten die Päpste Benedikt und Franziskus, die es in die fränkische Diaspora verschlagen hatte, obwohl Benedikt doch eigentlich auf seine alten Tage nur noch einmal eine Leberkässemmel in Altötting hatte essen wollen. "Das hier ist schlimmer als Amazonas", schimpft er.
Nun ist die kleine Main- und Wein-Gemeinde Veitshöchheim nicht nur ein Narrenzentrum, sondern seit dem Austritt Großbritanniens auch der neue geografische Mittelpunkt der EU. Weshalb das Morgenmagazin von ARD und ZDF während der Fußball-EM auch von dort berichten will. Der Hamburger Moderator Yared Dibaba schaute sich schon einmal um und sammelte Sympathiepunkte, als er nach der Sendung mit dem Saalpublikum die Frankenhymne auf Plattdeutsch einstudierte - sogar Söder sang mit.
Überhaupt spielen sich viele sympathische Kleinigkeiten rund um die Sendung ab. Nach der Generalprobe etwa verabschiedeten die Künstler auf der Bühne herzlich und emotional Angela Algeier. Fast 30 Jahre war die Münchnerin für die Kostüme zuständig; nun verabschiedet sie sich in den Ruhestand.
Die Politiker im Publikum sind zwar austauschbar und sitzen nur mehr oder weniger einfallsreich kostümiert herum, aber sie gehören zur Show. Wo sonst, vom Starkbieranstich am Nockherberg einmal abgesehen, kommen sich Spötter und Bespöttelte so nahe, noch dazu, wenn Millionen Menschen dabei zuschauen? "Ein paar wurden heute richtig gut getroffen", sagte dann auch ein augenzwinkernd schadenfroher Söder bei der Veitshöchheimer After-Show-Party, "der Hubert und so". Denn, ja, Hubert Aiwanger kam doch noch dran. Ziemlich am Schluss der Sendung knöpfte sich die Altneihauser Feierwehrkappl'n den "Staatsminister Bauernschlau für Opflsoft und Trossenbau, Kauderwelsch und Rumgeeier" vor. Dann noch ein derber Vergleich mit niederbayerischem Vieh und der Hinweis, dass bei der Jagd "kein Tier vor ihm erschrickt, weil das Wild sich sicher fühlt, jede Sau weiß wie er zielt". Das saß. Aiwanger lachte befreit. Endlich.