Brauchtum im Fasching:Dank der "Maschkera" die Sau rauslassen

Fasching im Werdenfelser Land Maschkera

Dass die Maske sein Gesichtsfeld deutlich einschränkt, davon scheint sich dieser fliegende Maschkera nicht beirren zu lassen.

(Foto: Jänicke; Privatarchiv Eckert)

Die wahren Mysterien des Faschings zeigen sich im Werdenfelser Land: Hinter kunstvollen Masken machen sich die Menschen über die Obrigkeit lustig. Und schlagen dabei gerne über die Stränge.

Von Hans Kratzer

Ausschweifungen, Schlägereien und eine hilflose Polizei haben die Silvesternacht 2015/2016 in Deutschland geprägt und die Öffentlichkeit heftig erschüttert. Und doch sind diese Exzesse kein neues Phänomen. Schon 1865 sah zum Beispiel der Garmischer Magistrat an den Faschingstagen die öffentliche Ruhe und Sicherheit nicht mehr gewährleistet. "Die Gendarmen werden ausgepfiffen, verlacht, verhöhnt und verspottet", heißt es in einem Bericht, "die Rotte zerstäubt sich eilends, erkannt wurde keiner und so haben die geärgerten Polizei-Organe oder sonst Beleidigten einfach das Nachsehen." Die Parallelen zu den Vorfällen in Köln sind frappierend.

In den Faschingshochburgen sehen nun viele mit Bangen den närrischen Tagen entgegen, die als Teil der deutschen Kultur selbst für Einheimische nicht immer leicht zu verstehen sind. Trotzdem versucht die Polizei wenigstens den Flüchtlingen das Wesen der Fastnacht zu erklären, etwa dass freizügige Kleidung und fröhliches Feiern keine Aufforderung zu Intimitäten seien. Man sieht allein daran, welches Mysterium dem Karneval und dem Fasching innewohnt, ein Geheimnis, das durch biedere Prunksitzungen, Schunkelseligkeit und Büttenkäse oberflächlich verdeckt wird. In Wirklichkeit handelt es sich um eine archaische Angelegenheit, deren Kern aber nur noch selten zu erkennen ist.

Wer sich dem wahren Wesen des Faschings nähern will, sollte deshalb das Werdenfelser Land besuchen, jenen oberbayerischen Landstrich zwischen Mittenwald, Garmisch-Partenkirchen und Farchant, der sich schon sprachlich durch eine kehlige Variante des Südbairischen stark vom Rest der Republik unterscheidet. Deshalb maskieren sich die Menschen in dieser Gegend auch nicht, sondern sie "gehen Maschkera". Vor allem setzen sie dabei die für diese Region typischen, kunstvoll geschnitzten Masken auf, die an den venezianischen Karneval erinnern, auch wenn sie oft derber und volkstümlicher wirken.

Um archaische Faschingsriten und Masken zu erleben, muss man also nicht nach Afrika oder in die Südsee reisen, hat der Autor Dirk Eckert festgestellt, der lange Zeit afrikanische Masken gesammelt hat. Bis er eines Tages die Werdenfelser Fasnacht kennenlernte, die ihn sofort in ihren Bann zog. Seit vielen Jahrhunderten verstecken sich dort erwachsene Männer hinter Masken, um eigenartige Rituale zu pflegen, die noch immer nicht dem Diktat des Tourismus unterliegen. Das herausragende Element dieser Handlungen sind die hölzernen Larven, die sich in der Regel seit Generationen im Familienbesitz befinden.

Eckert, der sich selber als Faschingsmuffel bezeichnet, hat soeben ein schwergewichtiges Buch zu diesen Masken vorgelegt, das aufzeigt, wie tief deren Geschichte in die Geheimnisse menschlicher Verhaltensweisen und der Psychologie hineinreicht. Es ist freilich nicht leicht, an die Masken heranzukommen. Die kostbarsten Stücke, insbesondere die berühmten "Kirchenlarven", werden nämlich als Familienschätze strengstens gehütet. Selbst in Museen sind sie nur selten zu finden, weshalb bei den Abbildungen im Buch so manche kleine Sensation zu entdecken ist.

Die Larven haben den Zweck, Anonymität herzustellen. Eckert definiert die Fasnacht als anarchischen Freiraum, in dem die Welt auf den Kopf gestellt wird. "Die Anonymität an Fasnacht hatte eine Ventilfunktion", sagt er, "einmal im Jahr konnte man in Zeiten ohne Meinungsfreiheit all das loswerden, was sich angestaut hatte." Geschützt durch die Maske, durften die Menschen also ungestraft Luft ablassen gegenüber der Obrigkeit. Und nicht nur das: In der Fasnacht wurde gerauft, es gab Ausschweifungen sexueller Art, es wurde getanzt, es wurde sehr viel getrunken.

Die Werdenfelser Pfleger, welche die weltliche Gerichtsbarkeit ausübten, hatten die soziale Reinigungsfunktion der Fasnacht bald erkannt. Sie wussten: Durften die Menschen einmal im Jahr die Sau rauslassen, ließ sich in der restlichen Zeit leichter Ruhe herstellen. Während sie die Fasnacht unterstützten, wetterten die Pfarrer unablässig gegen das unzüchtige Verhalten des Faschingsvolks - jedoch ohne Erfolg. "Die Menschen haben ihre Fasnacht mit Zähnen und Klauen verteidigt", sagt Eckert, der in den Akten den Fall eines Pfarrers entdeckte, der seinen Widerstand sogar mit dem Leben bezahlte. Nicht einmal die Nazis schafften es, die Faschingsriten in ihrem Sinne umzuformatieren.

Wer den Faschingsendspurt im Werdenfelser Land erleben will, sollte sich freilich vor allzu großer Nähe zu den Maschkera und Schellenrührern hüten. Einen Maschkera zu berühren, steht nämlich unter strenger Strafe. Alte Garmisch-Partenkirchener erinnern sich an regelrechte Maschkera-Schlachten in alten Zeiten. Dabei wirkt allein schon der Lärm, den die Schellenrührer mit ihren umgebundenen Kuhglocken erzeugen, infernalisch. Früher, als die Welt noch nicht so laut war wie heute, glaubte man, damit böse Geister zu vertreiben. Das damit einhergehende Winteraustreiben hat sich eh erübrigt.

Dirk Eckert: Die Werdenfelser Fasnacht und ihre Larven, 432 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, Volk Verlag, 49,90 Euro.

Dieser Text ist am 3. Februar 2016 in der Süddeutschen Zeitung erschienen.

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