Familienbetrieb im Ausverkauf:Ausgebrannt

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Kerzen für jeden Anlass hat Joseph Escher in seinem Laden. Nach Weihnachten gibt er den Familienbetrieb auf. (Foto: Johannes Simon)
  • Seit dem 19. Jahrhundert betreibt die Familie Escher einen kleinen Laden für religiöse Artikel in Landsberg am Lech. Doch das Geschäft läuft schlecht.
  • Nach Weihnachten schließt die Familie ihren Laden. Endgültig.
  • Ein Reportage über eine Familie, die mit dem Glauben der Menschen ihr Geld verdient hat.

Von Viola Bernlocher, Landsberg am Lech

Ein Hauch von Weihrauch und der Duft von Räucherkegeln wabern durch die Luft, wenn man die alte Ladentür öffnet. Im Regal stehen Kerzen sauber aufgereiht, eine mit dem Konterfei von Papst Franziskus, eine andere mit einem ernst blickenden Märchenkönig Ludwig II. In der Theke liegen Rosenkränze mit bunten Perlen, irgendwann hat sich ein Gamsbart eingeschmuggelt.

Dahinter wartet Joseph Escher, 70, auf Kundschaft, ein mittelgroßer Mann mit grau-meliertem Backenbart und ovaler Brille, eine beige Weste über dem Hemd. Von der Jesus-Statue bis zur Kommunionskerze verkauft er alle erdenklichen religiösen Artikel und Kerzen. Ein Geschäft, das immer härter wird abseits der großen und kleinen Pilgerorte.

Denn Joseph Escher und seine Frau Ingrid verkaufen zwar den Duft von Weihnachten und die passenden Kerzen dazu. Aber immer weniger Menschen legen Wert auf religiöse Artikel. Wenn Escher auf Kundschaft wartet und aus dem Fenster schaut, schweift sein Blick zu dieser Jahreszeit über die Krippen in den Schaufenstern. Die Heiligen drei Könige reiten auf Kamelen aus dem Morgenland heran, das Jesus-Kind schlummert in vielfacher Ausfertigung in der Krippe. So lange, bis es jemand kauft. Oder für immer. Die Eschers geben ihren Laden auf.

Die Tür geht auf, ein Schwall kalter Dezemberluft zieht herein, bevor der Kunde sie wieder schließt. Aus seiner Jackentasche holt er einen orange-gelben Kerzenstumpen hervor. Vier neue braucht er in der Farbe. Escher sucht sie ihm heraus. Sie sind ein bisschen dicker als das Muster. Der Mann moniert das, kauft sie aber doch. "Ein Euro Sechzig bitte", sagt Escher und zieht die alte Registrierkasse auf. "Ich kann ja schließlich nicht alle Kerzen da haben", sagt er, als die Tür hinter seinem Kunden ins Schloss gefallen ist, und zieht einen Katalog aus einem Ordner, schlägt ihn auf.

"Früher gab es zehn verschiedene Taufkerzen, jetzt sind es 50, das Sortiment ist heute uferlos", sagt er. Lange war sein Laden die erste Anlaufstelle bei Kerzen für kirchliche Feste. "Heute bastelt jeder seine Kommunionskerze selber", sagt Escher bedauernd. "Wenn die Leute sie kaufen würden, wäre es meistens gescheiter, so wie die Basteleien manchmal aussehen."

Das Geschäft betreibt die Familie als Liebhaberei

Seit 34 Jahren betreibt Escher den Laden der Familie, den der Urgroßvater im 19. Jahrhundert gegründet hat. Draußen, an der rissigen, rosafarbenen Hausfassade prangt der Name der Familie über der Tür. Anfangs handelte sie mit Kolonialwaren, Kerzen und Lebensmitteln. Ein einfacher Tante-Emma-Laden. Dann schloss 1989 ein Devotionaliengeschäft in Landsberg. Joseph Escher übernahm das Sortiment und hoffte auf eine Marktlücke. Bei den Lebensmitteln war die Konkurrenz ohnehin groß. Doch das Kirchengeschäft wird immer schwieriger. "Wenn wir Miete hätten zahlen müssen, hätten wir es nicht so lange gemacht", sagt Ingrid Escher, 58.

Das Geschäft im eigenen Haus betreiben sie schon einige Zeit aus Liebhaberei. Ein Nachfolger findet sich wohl auch deshalb nicht. Die drei Kinder haben einen anderen Job. Um den Laden kümmert sich überwiegend ihr Mann, während sie selbst noch einen Nebenjob als Verkäuferin hat. Sie findet, dass es nun genug ist mit dem Laden: "Ich will noch was haben von meinem Mann."

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(Foto: Johannes Simon)

Kerzen für jeden Anlass hat Joseph Escher hinter der Theke seines Ladens in Landsberg am Lech. Doch immer weniger Kunden kaufen religiöse Artikel.

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(Foto: Johannes Simon)

Auch im Angebot: der bayerische Papst, die Jungfrau mit Kind, eine Litanei an Heiligen...

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...und Kruzifixe. Seit 1989 handelt Escher mit Devotionalien. Seit einiger Zeit ist der Laden im eigenen Haus aber nur noch Liebhaberei.

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Auch die an der Wand hängenden Engel konnten das Geschäft nicht retten.

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Im Schaufenster sind Kripperl und Figuren ausgestellt. Einzig an Weihnachten ist Hochsaison, denn Krippen sind immer noch in Mode.

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(Foto: Johannes Simon)

Im Januar beginnt der Ausverkauf. Dann kommt der 70-jährige Escher vielleicht mal dazu, ein Buch zu lesen. Doch der Abschied fällt ihm schwer.

Dieser holt aus dem Lager "etwas ganz Besonderes", wie er sagt. Eine "Gezwickte" nenn er die Kerze. Sorgsam gebettet liegt sie in dem kleinen Papierkarton, umschlungen von Luftpolsterfolie. Escher schlägt diese zurück und zum Vorschein kommt eine schlanke, strahlend weiße Kerze. Ein Abbild einer Hostie ist darauf in Silberwachs eingearbeitet, und am oberen und unteren Ende ein Kranz aus Ornamenten, der Rosen ähnelt. Mit heißen Eisenzangen hat sich der Wachszieher tief in den Kern der Kerze gegraben und die kleinen, wächsernen Blütenblätter nach außen gezogen, fast wie eine Relief-Schnitzerei.

Escher stellt sie auf einen Ständer, zieht über den Stumpf der Kerze ein Tuch, das aussieht wie ein Rock, platziert einen Wachsfang aus Tüll kurz unterhalb der Spitze. Er kleidet sie sorgsam an, wie eine Braut. Jetzt müsste sie nur noch ein Kommunionkind über die Schwelle der Kirche tragen. Die Gezwickte ist der divenhafte Star unter Eschers Kerzen. Einfacher gehalten sind die Taufkerzen, die im Regal rechts der Tür stehen. Schlicht oder verspielt, bunt und einfarbig, in hellblau oder blassrosa. Glitzernde Blumen und Ranken ziehen sich um die dicken Kerzen.

Krippen sind noch immer in Mode

Einzig an Weihnachten ist Hochsaison im Laden der Eschers. Während religiöse Dekoration in den Wohnungen und Häusern das Jahr über an Bedeutung eingebüßt hat, sind Krippen noch immer in Mode. Auf den Regalen stehen Figuren aus Plastikharz und auch holzgeschnitzte, von denen eine so viel kostet wie ein halbes Plastik-Set. Figuren mit genähten Kleidern aus Stoff, oder angegossenen, angeschnitzten Roben. Dazu gibt es schlichte Krippenhäuschen und das entsprechende Zubehör wie Miniaturfassungen für kleine Glühbirnen. Ingrid Escher wählt ein paar der Figuren aus dem Regal aus, die sie auf den Weihnachtsmarkt mitnehmen will. Sie hat dort einen Stand, seit 20 Jahren schon. Auch damit hört sie jetzt auf: "Das war ja in erster Linie Werbung fürs Geschäft."

Um das "Sommerloch" zu überbrücken, haben die Eschers zu den Kerzen und Kreuzen auch ein paar bayerische Souvenirartikel dazugenommen. Immerhin fließt draußen vor dem Laden der Lech vorbei, das könnte Touristen anlocken. Weißbiergläser mit Rautenmuster gibt es zum Beispiel oder Wandteller mit einem bayerischen Paar darauf. Der Gamsbart in der Auslage gehört auch zu diesem Sortiment. Im Aufsteller wellen sich Ansichtskarten.

Genutzt hat es offenbar wenig, im Januar beginnt der Ausverkauf. Joseph Escher würde gerne bis Ostern weiter machen, damit die Kirchen noch ihre Kerzen bei ihm bestellen können. Vielleicht braucht er auch die Zeit, um sich langsam an den Gedanken zu gewöhnen, dass er bald nicht mehr im Laden stehen wird. Landsberger kommen hier vorbei, Freunde, Bekannte, auf einen Plausch. Die Eschers haben Stammkunden, aber zu wenige für ein rentables Geschäft. Was tun, wenn all das wegfällt? "Man hört nicht alle paar Jahre so etwas auf", sagt Escher und schweigt. "Man hat noch einiges zu tun, die Räume leer machen und wenn wir wirklich vermieten wollen, müssen wir umbauen."

Und dann? Escher zieht ein Papierfitzelchen aus einer Schachtel hinter der Theke. "Ich schneide mir immer Buchtipps aus, jetzt komme ich vielleicht auch mal dazu, das alles zu lesen." Und das Prachtstück, die gezwickte Kerze? "Die muss ich dann wohl selber abbrennen", sagt Ingrid Escher. Ganz ohne Kommunion.

© SZ vom 22.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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