Fall Schottdorf:"Es war eine völlig ungeklärte Rechtsfrage"

Untersuchungsausschuss 'Labor'

Der Untersuchungsausschuss Labor soll herausfinden, ob politische Einflussnahme im Jahr 2008 Ermittlungen gegen tausende Ärzte verhinderte.

(Foto: dpa)
  • Im Untersuchungsausschuss Labor hat die damalige Generalstaatsanwältin Renate Wimmer ausgesagt.
  • Sie war in München für die Betrugs-Ermittlungen gegen Tausende Ärzte und den Augsburger Laborunternehmer Bernd Schottdorf zuständig.
  • Den Verdacht politischer Einflussnahme auf die Justiz konnte sie nicht entkräften.

Von Stefan Mayr

Das Unbehagen über das Vorgehen der Justiz war an diesem späten Montagabend im Untersuchungsausschuss Labor ausnahmsweise parteiübergreifend zu spüren. Und die Zeugin konnte dieses Unbehagen nicht wirklich aus der Welt schaffen. Im Saal 3 des Bayerischen Landtags sagte Renate Wimmer aus, sie ist inzwischen als Richterin am Bundesgerichtshof tätig. Von 2008 bis 2011 war sie als Oberstaatsanwältin bei der Generalstaatsanwaltschaft München für die Betrugsermittlungen gegen Tausende Ärzte und den Augsburger Laborunternehmer Bernd Schottdorf zuständig. Die meisten der Beschuldigten kamen straffrei davon, obwohl der Bundesgerichtshof später im Jahr 2012 die Abrechnungsmethoden als Betrug bewertete.

Am deutlichsten drückte der SPD-Abgeordnete Horst Arnold seinen Unwillen aus. Der ehemalige Staatsanwalt bezeichnete das Vorgehen der Generalstaatsanwaltschaft als "verwirrend und extraordinär": "Zentrale Aufgabe der Generalstaatsanwaltschaft ist es, ein Auseinanderdriften der Rechtsprechung zu verhindern", hielt er der Zeugin vor, "aber das haben Sie von ihrem Aufgabenkatalog runtergenommen." Damit habe sie "billigend in Kauf genommen", dass ein Münchner Arzt wegen Betrugs ins Gefängnis musste, aber viele Augsburger Ärzte ohne Strafe davon kamen, obwohl sie doch dieselbe Tat begangen hatten.

Der Streit dreht sich um ein Abrechnungssystem, mit dem sich Laborunternehmer und CSU-Mitglied Schottdorf und seine Kunden eine goldene Nase verdienten; Schottdorf gewährte Tausenden niedergelassenen Ärzten Rabatte auf Laboruntersuchungen bei Privatpatienten. Die Ärzte rechneten diese Analysen illegalerweise unter eigenem Namen zum höheren Gebührensatz ab.

In München wurde angeklagt, in Augsburg das Verfahren eingestellt

Schottdorfs Rabatt verblieb ihnen als Zugewinn, das Labor selbst sicherte sich so eine großen Kundenstamm. Während die Staatsanwaltschaft München I diese Praxis als Betrug wertete, sah die Staatsanwaltschaft Augsburg keine Straftat.

Diese Diskrepanz gipfelte 2009 in einer kuriosen Situation: Im Januar klagte die Münchner Behörde einen Arzt an, drei Wochen später stellten die Augsburger Kollegen ihre Ermittlungen gegen "ihre" Ärzte ein. "Wozu brauche ich dann überhaupt noch eine Generalstaatsanwalt, wenn nicht für einheitliche Rechtsanwendung in Ihrem Bezirk?", fragte Arnold ungläubig. Auch der CSU-Abgeordnete Alexander König stellte fest, "für uns ist das alles ein bisschen schwer nachvollziehbar."

Die ehemalige Generalstaatsanwältin begründete das Vorgehen so: "Es war eine völlig ungeklärte Rechtsfrage." Falls es bereits eine eindeutige Rechtsprechung gegeben hätte, "dann hätten wir sicherlich eingegriffen", sagte sie. So aber habe die Generalstaatsanwaltschaft keine Anweisungen aussprechen wollen. Andererseits verhinderten die Generalstaatsanwälte sowohl eine Durchsuchung des Labors Schottdorf wie auch mehrere Anklagen des Münchner Staatsanwalts, indem sie das Verfahren von München nach Augsburg verlagerten.

"Der Dienstweg sieht was anderes vor."

Horst Arnold kritisierte einen weiteren Vorfall scharf. Im Herbst 2008 bat die Generalstaatsanwalt den ermittelnden Münchner Staatsanwalt Andreas Harz zu einem Gespräch, das Arnold als "Rapport" bezeichnete. Zeugin Wimmer räumte ein, dass sie anderer Meinung war als Harz und auch unzufrieden mit seiner Arbeit.

Beides sei ihm mitgeteilt worden - in angespannter Atmosphäre, wie Wimmer bestätigte: "Solche Treffen machen nie Freude." Harz erhielt die Vorladung zu diesem Gespräch direkt von der Generalstaatsanwaltschaft - also an seinen zwei Vorgesetzten vorbei. Horst Arnold bezeichnet diesen Vorgang als "absolut neu": "Dass der General den Sachbearbeiter kommen lässt, ohne den Leitenden Oberstaatsanwalt einzuschalten, das ist sehr ungewöhnlich", sagte Arnold. "Der Dienstweg sieht was anderes vor."

Renate Wimmer widersprach nicht. "Solche Gespräche gehen nur über den Behördenleiter, da haben Sie kein Durchgriffsrecht", wetterte Arnold. Wimmer antwortete kleinlaut: "Wenn Sie das so sehen wollen . . ." Entschiedener Widerspruch klingt anders. Man darf davon ausgehen, dass eine BGH-Richterin aufbegehren würde, wenn sie Argumente parat gehabt hätte.

Viele offene Fragen an die damaligen Generalstaatsanwälte

Arnold setzte nach: Er könne sich so einen Verstoß gegen den Dienstweg nur vorstellen, "wenn ein persönlicher Grund dahintersteckt". Auf die Frage, ob dies der Fall war, sagte Wimmer: "Das wäre eine Frage, die man Herrn Nötzel stellen müsste, der hat das angeregt." Es ist nicht die erste offene Frage, die auf die hochrangigen damaligen Generalstaatsanwälte wartet. Sie sagen in den nächsten Sitzungen Ende November aus. Kernfrage des Untersuchungsausschusses ist, ob die Politik Einfluss auf die Ermittlungen gegen die Ärzte und Schottdorf genommen hat, um sie von der Strafverfolgung zu bewahren.

Diesen Vorwurf wiesen am Montag und Dienstag alle drei Zeugen schroff zurück: Neben Renate Wimmer betonten auch die ehemaligen Augsburger Staatsanwälte Thomas Weith und Reinhard Nemetz, dass sie keinerlei Weisungen erhalten hatten und auch selbst keine Anweisungen gegeben haben. Die Frage, ob ein Politiker Druck auf ihn ausgeübt habe, beantwortete der damalige Leiter der Staatsanwaltschaft Augsburg, Nemetz, am Dienstag mit einem "Nö" mitsamt spöttischem Lächeln.

Andererseits räumte Nemetz, der heute Präsident des Münchner Amtsgerichts ist, ein, dass er mit dem Ergebnis seines Tuns nicht zufrieden ist. "Wir wissen jetzt, dass wir die Verfahren hätten ausermitteln müssen", sagte er. Die Tatsache, dass viele Ärzte trotz betrügerischer Abrechnung straffrei blieben, bezeichnete er als "nicht schön".

Auf die Frage von Franz Schindler (SPD), wer für dieses Ergebnis verantwortlich ist, sagte Nemetz kurz und knapp: "Die Verantwortung übernehme ich." Er sei aber nach wie vor überzeugt, damals richtig gehandelt zu haben. Er sei schlicht der Meinung gewesen, dass die Abrechnungsmethoden nicht strafbar gewesen seien. Sepp Dürr bezeichnete das Ergebnis als "Debakel" der Justiz. Der CSU-Abgeordnete Alexander König sieht das anders: "Je mehr Zeugen befragt werden, desto deutlicher wird, dass alles rechtsstaatlich korrekt abgelaufen ist."

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