Fall Peggy:Wenn Zweifel nicht verstummen

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Fall Peggy

Der Fall Peggy wird nach zehn Jahren neu aufgerollt.

(Foto: dpa)

Keine Leiche, keine Zeugen - dennoch wurde ein geistig zurückgebliebener Mann für den Mord an der kleinen Peggy aus Lichtenberg verurteilt. Nun wird das Verfahren wiederaufgerollt. Vor Gericht geht es um die nur scheinbar simple Frage, was ein Geständnis eigentlich beweist.

Von Hans Holzhaider

Fast auf den Tag genau zehn Jahre ist das her: Am 30. April 2004 verkündete der Vorsitzende Richter der Großen Jugendkammer am Landgericht Hof, Georg Hornig, im Namen des Volkes das Urteil im Prozess gegen den damals 26-jährigen Ulvi K.: lebenslange Haft wegen Mordes an der neunjährigen Peggy Knobloch. In den übrigen Anklagepunkten - elf Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern, darunter auch Peggy Knobloch - wurde der Angeklagte freigesprochen. Nicht, weil er die Taten nicht begangen hätte, sondern weil er wegen seiner geistigen Minderbegabung als schuldunfähig beurteilt wurde. Wegen dieser Taten ordnete das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

Von diesem Donnerstag an steht Ulvi K. wieder vor Gericht, diesmal vor der Jugendkammer des Landgerichts Bayreuth unter dem Vorsitz von Richter Michael Eckstein. Neun Verhandlungstage hat das Gericht angesetzt, um einen der rätselhaftesten Kriminalfälle der deutschen Nachkriegsgeschichte noch einmal aufzurollen.

Die Leiche wurde nie gefunden

Am 7. Mai 2001 war Peggy Knobloch aus Lichtenberg im Landkreis Hof verschwunden. Mit Sicherheit wurde sie zuletzt gegen 13.15 Uhr auf dem Heimweg von der Schule gesehen, keine 200 Meter von ihrem Wohnhaus entfernt. Vermisst wurde sie erst abends gegen 20 Uhr, als ihre Mutter von ihrer Arbeit als Altenpflegerin nach Hause kam. Tagelang suchte ein großes Aufgebot an Polizei und freiwilligen Helfern nach Peggy. Weder das Mädchen noch sein Schulranzen wurden jemals gefunden.

Eine Sonderkommission der Kripo verfolgte Hunderte Spuren und Hinweise. In Lichtenberg wucherten die Gerüchte über das vermeintliche Schicksal Peggys. Ihr türkischer Stiefvater habe sie in die Türkei verschleppt. Sie sei entführt worden und werde in einem tschechischen Kinderbordell festgehalten. An den verschiedensten Orten im In- und Ausland sollte Peggy gesehen worden sein. Nichts davon ließ sich erhärten.

Ulvi K., der Sohn eines türkischen Gastwirtsehepaares, zählte sehr früh zum Kreis der Verdächtigen. Er arbeitete für geringen Lohn in der Gastwirtschaft seiner Eltern, galt als gutmütig und war allseits beliebt im Städtchen. Aber vier Monate nach Peggys Verschwinden wurde K. festgenommen. Eine Frau hatte beobachtet, wie er mit heruntergelassener Hose neben einem achtjährigen Jungen auf einer Bank saß. Schon bei seiner ersten Vernehmung erzählte K., Peggy Knobloch sei vier Tage vor ihrem Verschwinden in seiner Wohnung gewesen, er habe vor ihr onaniert und sie sexuell missbraucht. Beweise dafür, dass er etwas mit Peggys Verschwinden zu tun habe, fand die Polizei nicht.

SoKo-Leiter mit besonderem Eifer

Im Februar 2002 wurde auf Betreiben des damaligen bayerischen Innenministers Günther Beckstein eine neue Sonderkommission Peggy eingesetzt. Ihr Leiter, der Kriminaldirektor Wolfgang Geier, verfolgte die Spur Ulvi K. mit besonderem Eifer. Der junge Mann, mit einem IQ von 67 nahe der Schwachsinnsgrenze, wurde viele Male vernommen. Am 2. Juli 2002 war Geier am Ziel: Ulvi K. gestand, er habe Peggy getötet, um zu verhindern, dass sie ihn wegen des sexuellen Missbrauchs verrate.

Es war ein sehr detailreiches Geständnis. K. schilderte, er habe Peggy auf dem Heimweg von der Schule abgepasst, um sich zu entschuldigen. Sie sei aber weggelaufen. Er habe sie verfolgt, sie sei über einen Stein gestolpert und hingefallen. Er habe versucht, sie festzuhalten, aber sie habe ihm "in die Eier getreten" und sei wieder weggelaufen. Erneut habe er sie eingeholt, und weil sie laut um Hilfe schrie, habe er ihr mit der Hand Mund und Nase zugehalten, bis sie kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Er habe dann zwei Freunde angerufen, die ihm geholfen hätten, Peggys Leiche im Wald zu verstecken. Aber an der Stelle, die K. beschrieb, war keine Leiche, und die Freunde hatten ein bombensicheres Alibi. Als man ihn damit konfrontierte, sagte K.: "Der Vati hat sie weg."

Dieses Geständnis ist der Dreh- und Angelpunkt der Mordanklage gegen Ulvi K.. Es gibt sonst nichts. Es gibt keinen materiellen Beweis dafür, dass K. Peggy getötet hat. Es gibt keine Leiche, keine DNA-Spur, keinen Belastungszeugen. Alles hängt davon ab, wie das Gericht das Geständnis bewertet. Wie kam es zustande? Wurden unzulässige Vernehmungsmethoden angewandt? Ist es so glaubwürdig, dass man ein Urteil darauf aufbauen kann?

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