Fall Mollath:Zwischen Wut und Wahn

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Gustl Mollath

Seit sieben Jahren ist Gustl Mollath gegen seinen Willen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht.

(Foto: dpa)

Seit sieben Jahren sitzt Gustl Mollath in der geschlossenen Psychiatrie - mittlerweile hält nicht nur er selbst das für einen Skandal. Wurde er weggesperrt, weil er einer großen Bank schmutzige Geschäfte vorwarf? Sein Anwalt hat nun die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt - und erhebt schwere Vorwürfe gegen die bayerische Justiz.

Von Olaf Przybilla und Uwe Ritzer, Nürnberg

Kurz vor seiner Pensionierung hielt der Richter Otto Brixner ein Plädoyer für härteres Durchgreifen. Die lebenslange Strafe in der jetzigen Form gehöre abgeschafft, forderte er. Im Schnitt sei der Verurteilte 15 Jahre in Haft, und das sei viel zu wenig. Bis zu 40 Jahre sollte man Verbrecher wegsperren. "Das ist gerechter", sagte der Vorsitzende Richter der 7. Strafkammer am Landgericht Nürnberg-Fürth im Mai 2008 der Abendzeitung. Das Boulevardblatt erklärte Brixner zum "mutigen Richter". Und druckte dazu ein Bild, auf dem der weißhaarige Mann in schwarzer Robe grimmig schaut.

Nach Ansicht von Gerhard Strate ist Otto Brixner ein vorsätzlicher Rechtsbeuger. Am Mittwoch hat der Hamburger Strafrechtler beim Landgericht Regensburg ein Wiederaufnahmegesuch gestellt. Darin wirft er Brixner zehn massive Amtspflichtverletzungen vor.

Strate vertritt Gustl Mollath 56, jenen Nürnberger, dessen Schicksal seit Monaten viele Menschen bewegt, verärgert, beunruhigt. Der Fall beschäftigt die Justiz momentan in fünf bayerischen Städten und erzeugt landespolitisch Verwerfungen. Mollath sitzt seit sieben Jahren in der geschlossenen Psychiatrie. Er hatte illegale Geldgeschäfte seiner ehemaligen Frau und anderer Vermögensberater bei der Hypo-Vereinsbank (HVB) angeprangert, aber niemand wollte ihm glauben.

Die Staatsanwaltschaft lehnte Ermittlungen kategorisch ab. Psychiatrische Gutachter und Gerichte werteten Mollaths Geschichten als Beleg dafür, dass er von einem Wahn befallen und gefährlich sei. Der Vorsitzende Richter der Strafkammer, die im August 2006 das für Gustl Mollath folgenreichste Urteil fällte, war Otto Brixner.

Schwere Vorwürfe an den Richter

"Sehenden Auges und mit Vorbedacht" habe vor allem Brixner "schwerwiegende Verletzungen gesetzlichen Rechts" begangen und "elementare Gewährleistungen eines rechtsstaatlichen Verfahrens missachtet", schreibt Strate im Wiederaufnahmegesuch. Brixner lehnt eine Stellungnahme ab. "Ich habe keinen Anlass, ein Wort zu sprechen", sagt er auf SZ-Anfrage.

Der Fall Mollath dürfte in die deutsche Rechtsgeschichte eingehen. Allein deshalb, weil nicht nur der Betroffene ein Wiederaufnahmeverfahren fordert, sondern demnächst womöglich auch die Staatsanwaltschaft Regensburg. Das gab es in der jüngeren Rechtsgeschichte so noch nicht: eine Anklagebehörde, die selbst den Antrag stellt, einen rechtskräftig abgeschlossenen Fall neu aufzurollen. Sie tut dies auf Anweisung von Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU), die ihrerseits einem Wink von Ministerpräsident Horst Seehofer folgte. Zu groß waren die Zweifel geworden, ob in dem Fall alles mit rechtsstaatlich korrekten Mitteln zugegangen ist.

Die Frage ist, ob Mollath ein Opfer multiplen Organversagens staatlicher Behörden wurde, vielleicht sogar mundtot gemacht werden sollte - oder ob er doch zu Recht in der geschlossenen Psychiatrie sitzt. Letzteres hält sein Verteidiger Strate für ausgeschlossen. Zumal inzwischen erwiesen sei, dass das von Mollath in zahlreichen Anzeigen beschriebene "System der Schwarzgeldverschiebung als auch die von ihm angestellte Verknüpfung bestimmter Personen mit diesem System" keineswegs ein krankhaftes Hirngespinst gewesen sei. "Ihm lagen reale Geschehnisse und Anhaltspunkte zugrunde", schreibt Strate.

Die Aussage bezieht sich auf einen Revisionsbericht, den interne Prüfer der Hypo-Vereinsbank Anfang 2003 erstellt haben. Er macht aus der Verschwörungstheorie Mollath den Fall Mollath. "Alle nachprüfbaren Behauptungen (Mollaths; Anm. d. Red.) haben sich als zutreffend herausgestellt", lautet der zentrale Satz daraus. Die Prüfer fanden zahlreiche Belege und konkrete Hinweise auf krumme Geldgeschäfte durch die von Mollath beschuldigten HVB-Leute. Die Bank hielt den Bericht geheim; erst Ende 2012 wurde sein Inhalt bekannt. Die HVB bleibt dabei: Sie habe korrekt gehandelt (wie in diesem Bericht geschildert wird).

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