Süddeutsche Zeitung

Fall Mollath in sechs Justizbehörden:Im Dickicht der Zuständigkeiten

Nürnberg, Bayreuth, Regensburg, Bamberg, Augsburg, München: Mit der Causa des langjährigen Psychiatrie-Insassen Gustl Mollath sind die Justizbehörden in gleich sechs großen bayerischen Städten befasst - ob es zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens kommt, ist dennoch ungewiss.

Von Olaf Przybilla und Uwe Ritzer

Seit sechs Wochen bereitet die Staatsanwaltschaft Regensburg einen Wiederaufnahmeantrag im Fall Gustl Mollath vor. Doch wie immer dieser ausfällt und wie das zuständige Landgericht Regensburg anschließend darüber entscheiden wird: Rechtsgeschichte hat die Causa aus Sicht des Regensburger Strafrechtsprofessors Henning Ernst Müller längst geschrieben.

Denn Anträge auf Wiederaufnahmeverfahren sind ohnehin selten. Dass aber eine Anklagebehörde selbst einen solchen ausarbeitet und dass sie dies auf dringende Bitte des Justizministeriums tut, dürfte "in der modernen Rechtsgeschichte des Freistaats ein in dieser Art einmaliger Vorgang sein", sagt der Regensburger Rechtswissenschaftler im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung.

Geschichte schreibt die Causa aber auch in anderer Hinsicht: Denn inzwischen beschäftigt der Fall des Gustl Mollath, der in der geschlossenen Psychiatrie in Bayreuth einsitzt, nicht nur die Justiz in Bayreuth und am Oberlandesgericht Bamberg. Mit dem Fall sind nun auch Justizbehörden in München, Nürnberg, Augsburg und eben Regensburg beschäftigt - und damit in den vier größten Städten in Bayern.

In sechs Städten arbeiten Juristen am Fall

Am Fall Mollath, der vor drei Monaten noch kaum bekannt war, arbeiten damit derzeit Juristen in insgesamt sechs großen bayerischen Städten - was ebenfalls rekordverdächtig sein dürfte. Die SZ dokumentiert, welche Justizbehörde in dem Fall für was zuständig ist.

Die wichtigste Rolle kommt fraglos der Staatsanwaltschaft in Regensburg zu. Sie prüft derzeit nicht nur einen Antrag auf Wiederaufnahme, sie wird einen solchen "auf jeden Fall stellen", sagt ein Sprecher. Wann dies der Fall sein wird, darauf will sich der Sprecher ebenso wenig festlegen wie auf die Zahl der mit dem Vorgang befassten Staatsanwälte. Nach SZ-Informationen sollen es bis zu vier Staatsanwalte sein. Mit Hochdruck werde gearbeitet, sagt der Sprecher, aus Reihen der bayerischen Justiz wird dies allgemein bestätigt.

Wie der Antrag ausfallen wird, darüber gehen die Meinungen freilich selbst in Justizkreisen weit auseinander: Skeptiker fürchten "eine Art Alibi-Antrag". Schließlich könne es nicht Ziel der Regensburger Staatsanwälte sein, die bisher hauptsächlich damit befassten Kollegen aus Nürnberg vorzuführen - und damit in gewisser Weise auch Justizministerin Beate Merk (CSU), die sich lange auf die Position festgelegt hatte, in der Sache Mollath sei alles mit rechtsstaatlich nicht zu beanstandenden Mitteln zugegangen. Zumal dem Nürnberger Generalstaatsanwalt nicht nur die Dienstaufsicht über die Nürnberger Staatsanwälte obliegt, sondern auch über die Regensburger. Denn Nürnberg-Fürth und Regensburg sind einem Oberlandesgerichtsbezirk zugeordnet.

Andere bayerische Juristen sehen das anders: Zwischen Regensburger und Nürnberger Juristen gebe es traditionell eine lebhafte Rivalität, der Antrag werde schon allein deshalb "sehr solide" ausfallen, prognostiziert ein mit der Sache befasster Spitzenbeamter. Zumal Mollaths Rechtsanwalt Gerhard Strate, ein anerkannter Spezialist für Wiederaufnahmeverfahren, derzeit ebenfalls einen Antrag vorbereitet. Würde dieser qualitativ deutlich fundierter ausfallen als der Antrag der Regensburger Staatsanwälte, käme dies einer Blamage für die bayerische Justiz gleich.

Die Fäden laufen in dem Fall längst im Justizministerium in München zusammen. Von dort kam nicht nur die Aufforderung an die Staatsanwaltschaft, einen Wiederaufnahmeantrag vorzubereiten. Von dort werden längst auch alle weiteren Schritte gesteuert, wie ein hochrangiger Staatsanwalt aus Franken bestätigt.

Dass etwa die von Anwalt Strate eingereichte Strafanzeige gegen den Mollath-Gutachter und Bayreuther Klinikchef Klaus Leipziger nicht mehr bei der bislang zuständigen Staatsanwaltschaft in Bayreuth bearbeitet wird, sondern dass diese Anzeige an die Staatsanwaltschaft Augsburg abgetreten wurde, hat offenkundig das Ministerium entschieden. Wer am Tag, als Strate seine Anzeige einreichte, mit der Sache befasste Staatsanwälte zu der Anzeige befragen wollte, bekam zu hören: "Da müssen wir uns selbst erstmal schlau machen." Und zwar: in München.

Vorwurf der schweren Freiheitsberaubung

Strate wirft dem Klinikchef Leipziger schwere Freiheitsberaubung vor. Zwar ermittelte seit Wochen die Bayreuther Staatsanwaltschaft wegen dieses Vorwurfes gegen Leipziger. Sie tat dies aber vorwiegend aufgrund einer eher allgemein gehaltenen Anzeige. Die 50 Seiten von Strate werden dagegen nicht "mit einem Federstrich aus der Welt zu schaffen sein", sagt ein mit der Sache befasster Jurist. Offenbar deshalb beauftragte das Ministerium nun eine Staatsanwaltschaft, die mit der Causa bislang noch gar nichts zu tun hatte.

Dass die Strafvollstreckungskammer Bayreuth sowie das Oberlandesgericht Bamberg die Unterbringung Mollaths demnächst erneut überprüfen werden, gilt in Justizkreisen dagegen als eher unwahrscheinlich - die alljährliche Überprüfung wurde erst im Dezember abgeschlossen.

Auch der Psychiater Norbert Nedopil, der als neuer externer Gutachter am häufigsten gehandelt wird, glaubt nicht daran. Im Moment laufe wohl alles "auf ein Wiederaufnahmeverfahren hinaus", sagt Nedopil, der Leiter der Abteilung für Forensische Psychiatrie an der LMU München. Ob für ein solches Verfahren ein neues psychiatrisches Gutachten überhaupt notwendig würde, wagt in Justizkreisen momentan kaum einer vorherzusagen. Immerhin wäre es möglich, dass das Landgericht Regensburg die Unterbringung Mollaths auch ohne ein solches außer Kraft setzt.

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Quelle:
SZ vom 15.01.2013/infu
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