Süddeutsche Zeitung

Fall Maria Baumer:"Überzeugt von der Schuld"

Der Angeklagte Christian F. wird wegen Mordes an seiner Verlobten Maria Baumer schuldig gesprochen. Viele Indizien hätten am Ende ein Gesamtbild ergeben, das keine Zweifel lasse, sagt der Vorsitzende Richter.

Von Johann Osel

Im Mordprozess Maria Baumer ist der Angeklagte Christian F. am Dienstag zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Wie der Vorsitzende Richter Michael Hammer am Nachmittag verkündete, hat F. seine Verlobte "heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen" mit Schmerz- und Beruhigungsmitteln getötet, die Leiche im Wald vergraben und ihr Verschwinden inszeniert. Wie die Plädoyers kürzlich zutreffend beschrieben hätten, handele es sich um einen "Indizienprozess" - mit der Gefahr, einzelne Beweisanzeichen falsch zu bewerten. Maßgeblich sei allerdings die "Gesamtschau aller be- und entlastenden Indizien". Und demnach sei die Kammer am Landgericht Regensburg "überzeugt von der Schuld".

Damit geht einer der spektakulärsten Kriminal- und Justizfälle des vergangenen Jahrzehnts in Bayern zu Ende - nach gut drei Monaten Prozess mit detailreicher Beweisaufnahme; mit starkem Interesse von Zuschauern, am Urteilstag kreisen Schlangen für Besucherkarten bereits Stunden zuvor um das Gericht; vor allem aber mit einer enormen zeitlichen Dimension: Das Urteil fällt mehr als acht Jahre nach dem Verschwinden der Frau aus dem oberpfälzischen Muschenried an Pfingsten 2012.

Ein Mensch ist plötzlich nicht mehr da. Das ist Alltag in Deutschland, von bis zu 300 Vermisstenmeldungen täglich spricht das Bundeskriminalamt. Sie werden erfasst und meist rasch wieder gelöscht. Die "Erledigungsquote" liegt erfahrungsgemäß bei 80 Prozent in den ersten Wochen. Es klärt sich auf, es lassen sich Gründe finden für ein Abtauchen. Bei Maria Baumer, 26 Jahre alt und in Startposition ins etablierte Erwachsenenleben, fiel das den Angehörigen schwer. Sie hatte gerade den ersten Job nach ihrem Studium angetreten. Bald sollte geheiratet werden, die Einladungen waren gedruckt, eine große Landhochzeit - mit jenem Mann, mit dem sie seit 2008 liiert war und der später auf der Anklagebank sitzen sollte. Und da war ihr Ehrenamt in der Katholischen Landjugendbewegung, im Glauben vereint, sozial engagiert. Seit Kurzem war sie die Landesvorsitzende. Akkurat wurde über die Monate vor Gericht das Leben der Toten und des Angeklagten aufgearbeitet, das des Paares.

Viele Puzzleteile waren es, die das Gericht zu sortieren hatte. Davon spricht jetzt auch der Richter. Das Verfahren sei "wie ein Puzzlespiel, in dem zunächst unklar ist, wo jedes einzelne Teil hingehört, wo sich aber am Ende ein Gesamtbild ergibt, das keine Zweifel lässt, wo jedes einzelne Teilchen seinen Platz hat".

Baumers Verschwinden war auch eine Geschichte des Vertuschens. F. hat sie, wie er im August vor Gericht zugab, nicht nur in einem Wald nördlich von Regensburg vergraben und versucht, mit Löschkalk die Spuren zu verwischen; sondern er hat auch mit erfundenen Telefonaten die Story konstruiert, wonach sie eine "Auszeit" genommen habe. Laut Plädoyer der Verteidigung will F. jedoch Baumer tot im Bett gefunden haben. Schon länger habe sie Medikamente genommen, auf eigenen Wunsch hin: wegen Regel- und Rückenschmerzen und Depressionen. Weil er ihr diese Tabletten besorgt habe, geklaut in der Psychiatrie, in der er als Pfleger arbeitete, sei ihm die Idee mit der Inszenierung und dem Vergraben gekommen. "Kurzschlussreaktionen", aus denen es dann "kein Zurück mehr" gegeben habe. "Ein Unfalltod" - Freispruch.

Dem folgte die Kammer nicht, sondern ziemlich exakt der Anklage. Die Staatsanwaltschaft hatte im Sommer Mord zur Last gelegt. Hauptmotiv sei die Liebe zu einer anderen Frau, F.s Patientin Valerie S. - er wollte seine Verlobung über Baumers Tod lösen und soll ihr in der gemeinsamen Wohnung aufgelöst in Kakao hohe Dosen des Beruhigungsmittels Lorazepam und eines Opioids verabreicht haben. "Sie war arglos, wie ein Mensch nur sein kann", sagt Hammer. Die Indizien betrafen zuvorderst das Vergraben, dies hatte F. ja eingeräumt. Wichtig blieben seine Google-Suchen kurz vor Baumers Verschwinden: nach "der perfekte Mord" und "Lorazepam letale Dosis". Jenes Mittel konnte an der Leiche festgestellt werden, was zur Wiederaufnahme des Verfahren 2019 führte. Ob dies Baumer tatsächlich tötete, war nicht zu klären.

Dies räumt auch Hammer ein. Für die Kammer stehe aber fest, dass sich der Tod der gesunden Frau nur über den Tatvorwurf "plausibel erklären" lasse und dass alles andere als eine "heimliche Beibringung fernliegend" sei. Zentral sei eben die Google-Suche, die sich als "gedankliche Vorwegnahme des Giftmordes" sehen lasse. Ein "stimmiges Gesamtbild" ergebe sich über die Motivlage, Valerie S. sei "zum Zentrum seiner Tagesgestaltung" geworden.

Die Mordakte Baumer hat über all die Jahre unzählige Kapitel angehäuft: ihre Bekanntheit durch das Ehrenamt, die akribische Vermisstensuche auch in der Fernsehsendung "Aktenzeichen XY ungelöst" (laut Hammer "makabrer Höhepunkt" der Inszenierung), dann der Fund der Leiche 2013 und eine vorübergehende Verhaftung des Verlobten; später ein weiterer Prozess gegen F. wegen des sexuellen Missbrauchs zweier Schulbuben; Ende 2018 schließlich die Einstellung der Ermittlungen - danach neue technische Möglichkeiten, mit denen die Arzneispuren an der Leiche festgestellt wurden. Am Ende die erneute Verhaftung F.s sowie die Anklage mit einem Motiv, das für alle kaum fassbar ist in seiner augenscheinlichen Belanglosigkeit. Es ist ein Fall voller Wendungen, unzweifelhaft belastend für die Familie der Ermordeten.

F., der den Prozess meist mit regungslosem Blick verfolgte, wirkt angefasst beim Urteilsspruch, sucht jedoch nicht den Blick zur Nebenklagebank. Dort sitzt die Familie Baumer, die Zwillingsschwester mit Tränen kämpfend, die Mutter und der Vater zittern. Sie haben endlich Gewissheit.

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