Süddeutsche Zeitung

Wirtschaft:Elf Wochen warten auf den Handwerker

  • Zwar arbeiten wieder etwas mehr Menschen im Handwerk, dennoch fehlen vielen Betrieben Fachkräfte.
  • Kunden müssen deshalb manchmal wochenlang auf einen Termin warten.
  • Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft geht davon aus, dass bis 2025 branchenübergreifend rund 350 000 Fachkräfte fehlen.

Von Maximilian Gerl

Das Problem ist so geläufig, dass es in der Statistik nicht heraussticht, vor allem nicht, wenn es mit Kaffee und Gebäck serviert wird. Der Bayerische Handwerkstag (BHT) hat am Mittwoch zum Frühstück geladen, um neueste Zahlen zu präsentieren. Auf den ersten Blick stellt sich das Problem sogar positiv dar. Zuletzt arbeiteten rund 941 000 Personen hierzulande im Handwerk, gegenüber dem Vorjahr ein Plus von 1,3 Prozent. Ein ordentlicher Wert und doch zu wenig. "Wir hätten uns ein größeres Plus gewünscht", sagt BHT-Präsident Franz Xaver Peteranderl. Nur: "Den Betrieben fällt es weiter schwer, geeignete Fachkräfte zu finden."

Der Fachkräftemangel ist die Dauerbaustelle des Handwerks. Seit Jahren kämpfen Schreiner und Maler, Metzger und Fliesenleger dagegen. Gebracht hat es wenig. Personal fehlt, der Arbeitsmarkt ist wie leergefegt. Im Schnitt sind die Auftragsbücher fast elf Wochen im Voraus voll - nicht nur, aber auch wegen des Fachkräftemangels. Zum Vergleich: 2004 lag der Auftragsbestand bei etwas mehr als fünf Wochen. Das macht das Problem des Handwerks zu einem Problem für alle. Manche Betriebe müssen Kunden über Wochen und Monate vertrösten. Wenn sie den Auftrag mangels Kapazitäten nicht gleich ablehnen.

Dafür - und ein bisschen deswegen - geht es dem Handwerk gut. Viele Betriebe bewerteten im ersten Quartal 2019 die Geschäftslage als mindestens befriedigend. Fast 40 Prozent investierten, was einem Zuwachs von sechs Punkten gegenüber 2018 entspricht. 80 Prozent gaben an, voll ausgelastet zu sein. Das klingt weniger nach dem von vielen Seiten prophezeiten Konjunkturabschwung, eher nach stabiler Ertragslage. "Eine Bronchitis muss nicht gleich zu einer Lungenentzündung führen", sagt Peteranderl.

Die hohe Auslastung geht teils auf fehlende Arbeitskräfte zurück. Sie stieg gerade in den Branchen Bau und Ausbau an, die angesichts des forcierten Wohnungsbaus dringend Verstärkung suchen - obwohl viele Betriebe den milden Winter nutzten, um weiterzuarbeiten. Wirklich hinterher kamen sie offenbar trotzdem nicht. In Oberbayern fühlt sich derzeit etwa ein Drittel der Handwerker durch den Fachkräftemangel eingeschränkt. Einige, heißt es vonseiten des BHT, stellten in ihrer Not sogar Personal an, das sie als nicht ausreichend qualifiziert empfänden.

Es gibt unterschiedliche Angaben, wie viel Personal dem Handwerk im Speziellen und der Wirtschaft im Allgemeinen fehlt. So melden einige Firmen ihre Azubistellen nicht mehr, weil sie die Hoffnung auf eine Besetzung aufgegeben haben. Die Regionaldirektion Bayern der Arbeitsagentur verzeichnete zuletzt 126 131 offene Jobs, so viele wie noch nie in einem Februar. 17 Prozent davon waren für Helfer ausgeschrieben, knapp zwei Drittel dagegen für Fachkräfte. Weitere 18 Prozent richteten sich an Akademiker. Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft geht davon aus, dass bis 2025 branchenübergreifend rund 350 000 Fachkräfte fehlen. Als sie Anfang des Jahres neue Zahlen vorstellte, sagte der Studienleiter, das Jahr 2025 sei aus Sicht von Prognostikern ein vergleichsweise naher Zeitpunkt: quasi morgen. Bleibt die Frage, woher die Fachkräfte bis dahin kommen. Zumindest FDP-Fraktionschef Martin Hagen konstatiert Handlungsbedarf in der Bildungs-, Familien-, Renten- und Einwanderungspolitik. Was hierzu bislang von der Staatsregierung komme, sei mehr als dürftig. "Fachkräftesicherung ist planbar."

Ein französischer Azubi könnte ein Jahr in einem bayerischen Betrieb verbringen

Noch gäbe es Stellschrauben, an denen sich drehen ließe. Bei der Frauenförderung etwa. Generell arbeiten heute mehr Frauen, aber viele in Teilzeit. Die Arbeitsagentur empfiehlt daher flexible Arbeitszeitmodelle, den Ausbau der Kinderbetreuung sowie Weiterbildungsmöglichkeiten. Auch in den knapp 160 Handwerksberufen sind weibliche Fachkräfte meist unterrepräsentiert. Bayerns Handwerker wollen darum ihre Imagekampagnen der vergangenen Jahre fortführen, auch um zu zeigen, welche neuen Berufsmöglichkeiten sich durch die Digitalisierung ergeben. Mithilfe eines Fachkräftezuwanderungsgesetzes sollen künftig zielgerichtet ausländische Arbeiter angeworben werden. Momentan hängt das Gesetz in Berlin fest.

Eine andere Idee stellt Peteranderl am Mittwoch vor, nämlich das studentische Austauschprogramm Erasmus für Lehrlinge zu öffnen. Ein französischer Azubi könnte dann ein Jahr in einem bayerischen Betrieb verbringen - und, sofern es ihm hier gefällt, länger bleiben. Allerdings: "Wir können dafür nur werben", sagt Peteranderl. Machen müssen auch andere.

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SZ vom 25.04.2019/axi
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