Süddeutsche Zeitung

Exzessiver Cannabis-Konsum:Kiffen bis der Arzt kommt

Alarmierende Zahlen: Im Freistaat sorgen sich Mediziner nicht mehr nur um Koma-Säufer, sondern nun auch um "Komakiffer", die nach exzessivem Cannabis-Konsum ärztliche Hilfe benötigen.

Dietrich Mittler

Machten sich Bayerns Gesundheitspolitiker und die Krankenkassen bislang hauptsächlich Sorgen über die steigende Zahl der so genannten Koma-Säufer, so gibt es nun weitere erschreckende Entwicklungen. Nach Erkenntnissen der Techniker Krankenkasse (TK) gibt es im Freistaat immer mehr "Komakiffer", die nach exzessivem Cannabis-Konsum ärztliche Hilfe benötigen. "Die medizinischen Behandlungen aufgrund von Cannabis-Missbrauch sind in den zurückliegenden zehn Jahren um 160 Prozent gestiegen", teilte die Kasse am Donnerstag mit.

Nach den nun vorliegenden Zahlen wurden 2010 insgesamt 659 Fälle registriert, in denen die Betroffenen aufgrund ihres übermäßigen Rauschmittelgenusses im Krankenhaus behandelt werden mussten. Zehn Jahre zuvor, im Jahr 2000, waren es lediglich 254 Fälle. Zwar habe der Anstieg auch etwas damit zu tun, dass einige Cannabis-Konsumenten nun selbst rechtzeitig ärztliche Hilfe suchten, wenn sie plötzlich starke körperliche Beeinträchtigungen spürten, erklärte eine Sprecherin der TK Bayern.

Besorgniserregend sei jedoch die nun häufiger gemachte Beobachtung, dass die Dealer verunreinigtes oder gestrecktes Haschisch auf den Markt werfen.* Auch das sei mit ein Grund, dass die Rauschmittel-Konsumenten verstärkt ärztliche Hilfe benötigen.

Nach einer Untersuchung des bayerischen Gesundheitsministeriums hat bereits jeder vierte Jugendliche in Bayern mindestens einmal Cannabis konsumiert. In 60 Prozent der schwereren Fälle, die mit gesundheitlichen Komplikationen verbunden waren, handelte es sich dabei um Männer im Alter zwischen 15 und 25 Jahren.

Wie eine Studie des Münchner Instituts für Therapieforschung ergab, liegt die Arbeitslosenquote unter den ambulant betreuten Cannabis-Konsumenten bei mehr als 40 Prozent. Ein Sechstel der Betroffenen hat gar keinen oder lediglich einen Förderschulabschluss. Haschisch - einst Symbol der Auflehnung einer jugendlichen politisch engagierten Elite gegen das Establishment - wird also zunehmend zur Droge der sozial Schwachen, die ohnehin ein höheres Gesundheitsrisiko tragen.

Zu sehr, darin sind sich Experten einig, würden die Gefahren eines regelmäßigen Cannabis-Konsums unterschätzt - und das mehr als je zuvor, wie es in einer Publikation der Landeszentrale für Gesundheit in Bayern heißt. Zu wenigen sei bewusst, dass zum Beispiel die Teerstoffe im Cannabis, wenn es mit Tabak konsumiert wird, noch krebserregender seien als etwa die Teerstoffe im normalen Tabak.

"Drei bis vier Joints schädigen die Lunge so stark wie ungefähr 20 Tabakzigaretten", fanden neuseeländische Forscher heraus.**

* Anm. d. Red: Satz um 12:30 Uhr geändert.

** Anm. d. Red: Letzter Satz wurde nach Rücksprache mit dem Autor um 14 Uhr. entfernt.

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SZ vom 30.12.2011/sonn
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