Süddeutsche Zeitung

Extremismus:Keine Woche ohne rechtes Remmidemmi

Die "Identitäre Bewegung" beackert das gleiche Feld wie Springerstiefel-Nazis, will aber nichts mit diesen zu tun haben. Ein Treffen mit einem Mitglied.

Von Johann Osel

Die Kanzlerin hat gerade den Zusammenhalt gegen den Terror beschworen, da zieht Radau auf. "Sie haben sie eingeladen. Es sind Ihre Toten", brüllt ein junger Mann, blonde Kurzhaarfrisur, Lederhose, er zetert mit dem rechten Arm dazu. Die Eingeladenen sind seiner Ansicht nach "die" Flüchtlinge, also auch Terroristen. Köpfe schnellen im Bierzelt überrascht in die Höhe, Hüte samt Gamsbärten, eine Frau hält entsetzt die Arme vor der Brust, andere schauen unsicher in ihren Masskrug. Der Störer wehrt sich nicht, als er von Sicherheitsleuten zügig hinausgeführt wird, vorbei am Hendl-Grill. Drei Mal brüllt er noch: "Massenmörderin!"

Der Tag im Mai in München-Trudering wird als Versöhnung von Angela Merkel und Horst Seehofer in Erinnerung bleiben, sogar Franz Josef Strauß wurde von der Kanzlerin als "altes Schlachtross bayerischer Politik" gebührend gelobt. Ein Online-Kanal wird später nur den Tumult zeigen, den "Mutbürger" loben und dessen "Identitäre Bewegung" (IB). Eigentlich wollte sie ein Banner hissen im Zelt, wie so oft, Aufdruck "Wir schaffen das nicht". Das schafften sie nicht, als Ersatz daher Geschrei. Im Video auch: ein Statement des Störers. Er spricht von der Heimat - "Geborgenheit, Berge, unbeschwerte Kindheit" -, die so bleiben solle, und davon, dass nur wenige Flüchtlinge vor Krieg und Gewalt flöhen.

Hier steckt alles drin, was die "Identitäre Bewegung" ausmacht. Erstens: Provokation, um jeden Preis. Zweitens: Vermarktung im Netz, auch wenn das Video diesmal nicht aus Eigenproduktion stammte. Drittens die Ideologie dahinter: eine "ethnokulturelle Identität" aus Herkunft, Kultur, Religion und Territorium - die in Europa nicht mehr Wert sei als andernorts, die man aber schützen müsse vor "Massenzuwanderung und Islamisierung". Motto: Wir sind wir und die sind die. Oder: Wir haben nichts gegen Afghanen und Nigerianer - in Afghanistan und Nigeria.

Dies ähnele, so Bayerns Verfassungsschutz, einer "Blut und Boden"-Ideologie, wobei der Begriff Rasse durch ethnokulturelle Identität ersetzt sei, man erkenne "starke Nähe zum biologistischen Denken von Rechtsextremisten". Wie im Bund beobachtet der bayerische Geheimdienst die Identitären. Und registriert, wie sie sich ausbreiten.

Nach Frankreich war die Idee zunächst in Österreich aufgekeimt. Ein Grund, wieso sie in Bayern heute mit am aktivsten ist. Inzwischen vergeht kaum eine Woche, ohne das rechte Remmidemmi irgendwo im Freistaat. Flugblätter, Graffiti, Aufkleber, oft Banner, mit Slogans gegen Zuwanderung und mit dem Symbol der Bewegung: das griechische Lambda. Es galt in der Antike den Spartanern, die einst gegen die Invasion der Perserheere kämpften. Analog will man nun Europas Identität retten.

Die Banner hingen bereits auf Schloss Neuschwanstein, an der Münchner Frauenkirche, in der Landeshauptstadt auch am Rathausbalkon, beim Tag der offenen Tür schlich man sich ein. Es gibt Störaktionen, an der Uni Regensburg stürmten sie in Burkas ein Podium zum Nahost-Konflikt, manche Gäste dachten an einen Anschlag. Die Störer zogen ab, Provokation erfolgreich, Ziel erreicht.

Gut hundert Leute, die klettern, kleben, kolportieren, zählt die Behörde auf bayerischem Boden; die IB selbst unterteilt nach Altbayern, Franken und Schwaben, das Teile Baden-Württembergs umfasst; dazu ein Unterstützerumfeld. Klingt wenig. Durch die Guerilla-Taktik und Anleihen bei Organisationen wie Greenpeace, so die Verfassungsschützer, entstehe mit wenig Aufwand viel Wirbel.

"Patriotisches Greenpeace", das gefällt Paul. Er ist der Störer aus dem Bierzelt, Anfang 20, Student, Jungengesicht. Ein Café in Schwabing, er bestellt Früchtetee. Paul, man bleibt beim Vornamen, ist bei der IB in München, mischt überregional mit, ist auch Burschenschaftler - bei der Danubia, deren Aktivitas, die Studenten also, ebenfalls beobachtet wird. "Wir wollen unsere Identität bewahren, die wird in Westeuropa nicht mehr wertgeschätzt", sagt er über seinen Antrieb. "Fatal, wenn Millionen Menschen aus anderen Kulturkreisen kommen, die wiederum eine äußerst gesunde Identität haben."

Was ist Identität? Paul spricht von Heimat und Freiheit, davon, dass es in der Schule seines Bruders kein Schweinefleisch mehr zu essen gebe. Das könnte auch ein Konservativer beklagen, wieso die Identitären? Er habe einen "patriotischen Grundkompass, schon immer", "mit volltätowierten Glatzen" könne er aber nichts anfangen. Wie wär's mit der CSU? Paul lächelt, geht nicht darauf ein.

In anderen Ländern würde das alles ja "gar nicht als politische Forderung aufgefasst, sondern als Selbstverständlichkeit. Ich kann mir nicht erklären, was an uns staatsgefährdend sein soll", sagt er. Auch gehe es um mehr als Politik, etwa Wandern, Grillen, Literaturkreise. Ein verwirrter Mann mit Stehlampe kommt am Café vorbei, beschimpft das Ding auf arabisch, Passanten weichen aus. Pauls Augen blitzen. Er verkneift es sich, was auch immer.

Nachfrage zur CSU. Ob es nicht besser wäre, in einer Partei für seinen Grundkompass einzutreten, wenn es um Leitkultur geht, Abschiebungen? Wäre das nicht effektiver als der Vorwurf der IB, dass vaterlandslose Gesellen den "Bevölkerungsaustausch" planten? "Man muss sich nur das Rumeiern bei der Obergrenze anschauen", antwortet Paul. "Und wenn man sich illegale Zuwanderung und Geburtenraten anschaut, sieht man einfach, was stattfindet - ob nun geplant oder nicht." Er wolle auch in keiner Partei arbeiten, "sondern die Leute wachrütteln, den Zeitgeist ändern".

Seit 2016 haben die Verfassungsschützer die Bewegung offiziell unter Aufsicht. Auf eine SPD-Anfrage antwortete das Innenministerium: Anfangs sei sie ein "virtuelles Phänomen" gewesen, "nicht hinreichend gewichtig". Im Halbjahresbericht 2017 nimmt die IB jetzt viel Raum ein. Er stelle besorgt fest, sagte Minister Joachim Herrmann, dass sich die "Strukturen verfestigt" haben. Der Verfassungsschutz hat es mit einem Phänomen zu tun, das von klassischen Neonazis abweicht. Es fehlen zwei Pfeiler des Rechtsextremismus: Bezüge zum Dritten Reich und Antisemitismus.

Es fehlt die körperliche Gewalt, eine Abfrage aller Staatsanwaltschaften durch das Ministerium ergab fast nur Sachbeschädigungen durch die IB. Diese Außenwirkung als harmlose Heimatfreunde werde die Bewegung wohl nicht aufs Spiel setzen, glauben Experten, andererseits sei eine Radikalisierung nie auszuschließen. Die Gesichter der IB sind jedenfalls neu, nur Einzelfälle mit brauner Vorgeschichte gibt es bisher in Bayern. Dennoch warnt die Behörde davor, die Gefahr zu unterschätzen.

Sie beackern das gleiche Feld wie Springerstiefel-Nazis und Ledermantel-Faschisten, zu sehen schon beim quasi ersten Termin, mit dem Bayerns IB sichtbar wurde: Seit' an Seit' mit altbekannten Neonazis standen sie bei Protesten in Freilassing, Ende 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Paul sagt: "Wir halten uns mit Absicht fern von solchen Leuten, wir können die aber bei Demonstrationen nicht wegschicken. In unseren Reihen dulden wir die nicht."

AfD-Chef Bystron hält die IB für eine "tolle Organisation"

Die Behörden sehen auch, dass sich klassische Extremisten von der IB abgrenzen, weil deren medialer Rummel Neid auslöse. Die Neonazi-Partei Dritter Weg nenne Identitäre lasche Patrioten. Und die AfD? Deren Chef Petr Bystron wird selbst beobachtet - nachdem er die IB als "tolle Organisation" anpries. Mit einer Klage dagegen scheiterte er, das Gericht rügte aber, dass die Beobachtung publik wurde.

Die IB gilt seither in der Bayern-AfD als verbranntes Thema, Sympathien hört man nur hinter vorgehaltener Hand. Kontakte gibt es eher mit der AfD-Jugend. Ein im Netz kursierendes Foto, das Petr Bystron in bierseliger Pose mit einem Identitären zeigt, entstand beim Wiesn-Abend der Jungen Alternative. Es ist Paul. Der AfD-Chef will nicht gewusst haben, wer das war. Paul sagt, er habe auch mal ein Selfie mit Seehofer gemacht, sich unter die Fanboys der Jungen Union gemischt. Mit Unschuldsmiene fragt er: "Wird jetzt auch der Ministerpräsident beobachtet?"

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SZ vom 09.09.2017/bhi
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