Extrem-Bergsteiger Stefan Glowacz:"Ich dachte, dass ich unsterblich bin"

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Er ist Abenteurer, Unternehmer und Extrem-Bergsteiger: Stefan Glowacz über die Risiken beim Klettern, die Verschandelung der Alpen und Ärzte in Kenia.

Marlene Weiss

Stefan Glowacz, 46, ist Abenteurer, Unternehmer und Profi-Kletterer. Jetzt hat er einen neuen Bildband veröffentlicht und ist mit einem Multimedia-Vortrag auf Tour. Am 11. November zeigt er ihn in der Loisachhalle in Wolfratshausen. Glowacz stammt aus Oberau, ist Vater von Drillingen und lebt in Berg am Starnberger See.

Stefan Glowaczs gilt als Extrembergsteiger. Über seine Erfahrungen berichtet er in seinem neuen Buch ("Expeditionen", Delius Klasing Verlag, 39,90 Euro). (Foto: Bernhard Spöttel)

SZ: Welche Rolle spielt die Show beim Klettern?

Stefan Glowacz: Als ich meine Profikarriere anfing, ging es viel um Wettkampfklettern. Dazu gehören Showelemente. Das war die Zeit der bunten Lycra-Gymnastikhosen, ganze Taschen voll haben wir mitgenommen und dann immer die passende Hose angezogen. Jetzt lege ich Wert darauf, dass was wir machen dargestellt wird, so wie es ist. Sonst wird es unglaubwürdig.

SZ: Sind Sie beim Risiko auch so ehrlich?

Glowacz: Vor 20, 30 Jahren hätte ich gesagt, das Risiko gehört dazu, vielleicht macht erst die Lebensgefahr das Klettern so interessant. Heute sage ich, es geht darum, das Risiko vorhersehbar zu machen. Wenn es unkalkulierbar wird, kehre ich meistens um. Diese Arroganz und Überheblichkeit sollte ein Privileg der Jugend sein. Als ich mit Klettern anfing, dachte ich auch, ich habe alles im Griff.

SZ: Damals sind Sie auch viel free solo geklettert, ohne Seil und Sicherung.

Glowacz: Ja, ich dachte, dass ich unsterblich bin, und alles kontrollieren könnte. Aber 1993 habe ich mich schwer verletzt; ein Griff brach aus, an dem ich hing. Noch im Fallen dachte ich, was bin ich für ein Vollidiot, mein Leben so aufs Spiel zu setzen. Dann bin ich aufgeschlagen; Ferse zertrümmert, Knie zerstört, Handgelenk gebrochen. Wenn man das überlebt und es nicht als Warnung nimmt, ist man vielleicht zu doof für den Sport.

SZ: Seither klettern Sie nicht mehr allein?

Glowacz: Nein, das geht auch gar nicht mehr. Wenn ich spüre, wenn ich jetzt stürze, passiert etwas Schlimmes, kommt Panik in mir auf. Am Anfang dachte ich, das schränkt mich ein. Aber es ist ein Bauchgefühl, das ich auch sonst bekomme, wenn etwas nicht stimmt. Dass das Risiko nie zu hundert Prozent beherrschbar ist, zeigt ja der Absturz von meinem Freund und Kletterpartner Kurt Albert.

SZ: ... der vor einem Jahr zu Tode gestürzt ist, weil er sich falsch gesichert hatte. Wie gehen Sie mit so einem Ereignis um?

Glowacz: Es war ein Routinefehler. Das ist ein Zeichen, dass man immer wieder die Checklisten durchgehen muss, wie Piloten. Ich dachte immer, wenn ein Bergsteiger einen normalen Tod stirbt, dann ist das garantiert Kurt Albert. Als wir zum ersten Mal zusammen klettern gegangen sind, dachte ich, wenn der beim Klettern auch so chaotisch ist, ist das die erste und letzte Tour, die ich mit ihm mache. Aber in der Wand war Kurt der sicherste Mensch überhaupt. Er war immer ein Vorbild.

SZ: Sie haben sich vom reinen Klettern auf Expeditionen verlegt, warum?

Glowacz: Ich bin immer noch Felskletterer, die Wand ist das Entscheidende. Aber der Weg vom letzten Zivilisationspunkt dahin aus eigener Kraft ist auch faszinierend. Für mich ist das die Weiterentwicklung im Bergsteigen. Heute kann man sich mit entsprechendem finanziellen Aufwand an jedem Punkt absetzen und wieder abholen lassen. Ich gehöre zur Nach-Messner-Generation, die sich fragt, was noch nicht da war. Alle offensichtlichen Ziele sind ja schon erreicht - alle 8000er, mit und ohne Sauerstoff, und so weiter. Da bleibt nicht so viel übrig.

SZ: Also wieder mit dem Rad in die Berge?

Glowacz: Ja, zum Beispiel. Göran Kropp ist 1996 von Schweden mit dem Rad zum Himalaya gefahren und hat den Everest bestiegen, das fand ich großartig. Aber das Tolle am Berg ist ja, dass kein Schiedsrichter sagt, wie es gemacht werden muss.

SZ: Heißt das, man darf auch bequem per Helikopter ins Basecamp reisen?

Glowacz: Das ist meiner Ansicht nach Themaverfehlung. Konsumbergsteigen, kein Alpinismus. Man muss den technischen Aufwand reduzieren. Mir geht es darum, wie ich aus eigener Kraft hinkomme. Man kann so am Leben der Menschen teilhaben, statt nur vorbeizufahren und zu winken. In Kenia zum Beispiel war die Wand der reinste Blätterteig, so brüchig, dass wir schließlich abgebrochen haben. Aber wir lebten bei den Einheimischen, den Samburu. Als sich herumgesprochen hat, dass wir einen Arzt dabeihaben, kamen sie aus einem Umkreis von 100 Kilometern mit ihren kranken Kindern. Und wir kommen aus einer hochzivilisierten Gegend, um zu klettern, die unnützeste Sache der Welt.

SZ: Die unnützeste Sache der Welt? Oje.

Glowacz: Meine Kinder haben das mal so ausgedrückt: Der Papa klettert den Berg hoch, klettert wieder runter, und dann fährt er nach Hause. Aber ich denke, wenn man das mitteilen kann, kann man Menschen eine Freude machen, darum machen mir die Vorträge so viel Spaß. Es gibt viele, die nicht in der Lage sind, oder sich nicht trauen, selber aufzubrechen, dabei muss es ja nicht Baffin Island sein. Bei uns kann jeder sein Leben gestalten

SZ: Aber dann gehen die Leute hin und bauen Aussichtsplattformen wie den Alpspix, gegen den Sie protestiert haben.

Glowacz: Ich konnte es nicht verhindern, aber ich wollte wenigstens, dass die Leute sich Gedanken machen. Jürgen Knappe und ich sind in der Nacht vor der Eröffnung hochgelaufen und haben uns mit einem Transparent unter den Balkon gehängt. Wir dachten, wenn wir jetzt nichts tun, ist das die Legitimation für alle weiteren Fahrgeschäfte. Auch die Museumsröhre im Karwendel ist ein Schandfleck, und Klettersteige gehören nicht in die Berge. Aber wenigstens kann man die wieder abbauen.

SZ: Sind Sie darum zwischenzeitlich aus dem Alpenverein ausgetreten?

Glowacz: Ich bin zeitweise aus der Sektion Garmisch-Partenkirchen ausgetreten, weil der damalige Vorsitzende den Alpspix durchgewunken hat. Der Alpenverein will es jedem recht machen, mit diesem Wischiwaschi stehe ich auf Kriegsfuß.

SZ: Aber immer mehr Leute gehen in die Berge , die Hütten erreichen Hotelniveau, kann das noch umweltverträglich gehen?

Glowacz: Das ist das Dilemma, der Verein ist für den teuren Erhalt dieser Hütten zuständig, und natürlich verfolgt er kommerzielle Interessen. Aber er sollte Respekt vor den Bergen vermitteln. Wenn ich sehe, dass achtlos Papier weggeschmissen und mit dem Mountainbike durch die Gegend gefahren wird: So funktioniert das nicht. Der Alpenverein muss sich überlegen, wie die Zukunft aussieht, er muss kanalisieren und Kompromisse finden.

© SZ vom 05.11.2011/afis - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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