Gauweiler zum CSU-Wahldebakel:"Horst, es ist Zeit"

Germany Merkel Seehofer

Horst Seehofer, Ministerpräsident des Freistaates Bayern und Vorsitzender der CSU, mit Blick auf München.

(Foto: picture alliance/AP Photo)

Ex-Parteivize Peter Gauweiler sagt, die CSU habe ihre Wahlniederlage selbst verschuldet. Bevor sie für den Bundestag über neue Koalitionen verhandeln könne, brauche sie einen neuen Chef.

Interview von Heribert Prantl

SZ: Sie waren einmal die rechte Flanke der CSU. Diese Flanke existiert angeblich nicht mehr. Ist die CSU zu links?

Peter Gauweiler: Es geht nicht um Flanken, nicht um linke oder rechte Scheuklappen, das Problem ist das Brett vor dem Kopf, das der Partei die Sicht verstellt. Die CSU hat den Wählern zu viel Unklarheit zugemutet. Rechte Rhetorik gab es doch genug, aber die einen Wähler haben sie nicht geglaubt, die anderen Wähler waren davon befremdet. Das Problem war die fehlende Übereinstimmung von Wort und Tat.

Sie meinen Seehofers Kampagne gegen Merkels Flüchtlingspolitik als "Herrschaft des Unrechts" - die seiner Kampagne für Merkel als Kanzlerin vorausging.

Man kann nicht zugleich Hü und Hott sagen. Ein CSU-Vorsitzender kann nicht die Merkel'sche Politik verurteilen, wenn seine eigene CSU-Landesgruppe im Bundestag diese Politik faktisch in allem mitträgt. Wir hatten keine Deckungsgleichheit zwischen der programmatischen Aussage und dem, was die CSU im Bundestag getan hat.

Und jetzt?

Die CSU muss vor den Koalitionsverhandlungen klären, was sie will und in welche Richtung es mit ihr gehen wird - mit wem auch immer. Die CSU kommt mir zurzeit vor wie jemand, der vor einem Zug steht und warnt: "Der fährt in die falsche Richtung!" - und sich dann dort in den Speisewagen setzt. Also, wir brauchen Ansagen, die auch umgesetzt werden.

Zum Beispiel?

Innenpolitisch sind die Einwanderung und ihre Folgen Kernprobleme. Mehr als eine Million Menschen sind gekommen, die vieles dürfen, nur eines nicht: arbeiten. Das ist grotesk, das muss sofort beendet werden. Die Flüchtlinge müssen arbeiten dürfen, also innerhalb von wenigen Wochen Arbeitserlaubnisse kriegen. Wo sich keine Arbeit findet, müssen sie in eine Art zivilen Ersatzdienst in Sozialarbeit gebracht werden. Das beantwortet alles Weitere.

Auch die Obergrenze?

Wer ein solches Schlagwort in die Welt setzt, muss sagen, was er damit erreichen will. Man hat es sich ja nicht mal getraut, die mit Brimborium und einem Gutachten von Professor di Fabio unterfütterte bayerische Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Wenn die CSU die Kraft dazu nicht aufbringt, für ihre Prinzipien einzustehen, dann verliert sie weiter.

Wie? Die CSU soll jetzt noch in Karlsruhe klagen gegen die Flüchtlingspolitik?

Moment - ich bin noch nicht bei den Handlungsanweisungen. Ich bin bei der inhaltlichen Analyse des Wahldebakels. Die CSU wird weiter verlieren, wenn sie die Kraft nicht aufbringt, ihren Worten Taten folgen zu lassen. Jetzt steht am Sonntag eine Sitzung von CDU und CSU bevor. Das wird wieder ein Schattenboxen für Leichtgläubige. Man kann nach dem Wahldesaster nicht einfach weitermachen und jetzt für die Kulisse den Wortfetisch-Streit über das Wort "Obergrenze" weiterführen. Wenn die Verantwortlichen wirklich noch an die Bedeutung von Wahlen glauben, dann müssen sie nach beispiellosen Verlusten Konsequenzen ziehen und ihre Ämter zur Verfügung stellen. Die Verantwortlichen sind gewogen und für zu leicht befunden worden.

Sie meinen Seehofer? Sie meinen Merkel?

Ja. Die ganze Inszenierung des Sonntagstreffens ist falsch. Da kommen die zusammen, die die Hauptverantwortung für die Niederlage tragen. Wollen die sich jetzt so weiterschleppen wie Frau May in London?

"Die CSU will einen geordneten Übergang"

Wenn die Parteivorsitzenden zurücktreten sollen, wie soll dann bitte eine Regierungsbildung ausschauen?

Die politischen Lager dürfen nicht überhastet in die nächste prozedurale Vorgehensweise hereinspringen. Es gibt ja die alte Regierung, die ist noch im Amt.

Bleiben Sie bei der CSU. Was soll, was muss passieren?

Koalitionsverhandlungen sind nicht dafür da, das Ende eines Parteichefs hinauszuschieben - und zu hoffen, dass sich dabei Positionsverbesserungen für die Beteiligten ergeben. Die CSU will einen geordneten Übergang, sie will keine putschistischen Aktionen wie damals bei Stoiber. Es gibt das Institut der Mitgliederbefragung. Das steht bei der CSU in der Satzung, das geht relativ schnell. Zum anderen stehen bei der CSU reguläre Neuwahlen an, beim Parteitag Mitte November. Die CSU schleppt ihre Nachfolgedebatte jetzt schon seit Langem mit sich herum. Das muss jetzt geklärt werden.

Peter Gauweiler, Heiner Geißler

Peter Gauweiler.

(Foto: Regina Schmeken)

Die Partei soll jetzt entscheiden, wer sie weiter führt? Seehofer oder Söder?

So ist es. Wenn man einen Machtanspruch hat, dann muss man ihn aussprechen. Söder hat ihn einigermaßen deutlich gemacht, er ist ein hochbegabter Politiker, er soll jetzt antreten. Wer es anders sieht, soll dann halt gegen ihn antreten. Man nennt das Demokratie. Solche Auseinandersetzungen sind hart. Aber wenn die CSU den Weg ins Freie sucht, muss sie sich dem stellen. Seehofer stellt sich am besten, indem er den Übergang moderiert. Natürlich kann er sich auch selbst noch mal zur Wahl stellen. Aber ohne Gegenkandidaten ist das unehrlich. Gegen den alten Löwen muss ein junger antreten. Das ist doch besser, als einen im Amt hängenden Vorsitzenden durch einen Packen anonymisierter Nein-Stimmen zum Aufgeben zu bringen.

Es gibt niemand anderen außer Söder?

Sie haben ihn ins Gespräch gebracht. Und ich habe gesagt, dass für den Beachtliches spricht. Andere müssen sich selber ins Gespräch bringen. Das ist nicht verboten.

Ihr Rat an die CSU lautet also: Erst die Personalien klären, dann die Koalitionsverhandlungen führen.

Völlig richtig. Bevor man wieder mit Ernsthaftigkeit auftreten kann, müssen die CSU-Äußerungen befreit sein von der Führungsfrage. Sonst wird alles, was Seehofer bei den Verhandlungen fordert, aus dem Blickwinkel gesehen, dass da einer seinen geborenen Nachfolger verhindern möchte. Die Verhandlungen dürfen doch nicht mit diesem Odium belastet sein. Es gibt von Rilke das schöne Gedicht über den Herbst: "Herr, es ist Zeit, der Sommer war sehr groß." Das gilt jetzt für die CSU: "Horst, es ist Zeit."

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