Evangelische Freikirchen:Wenn Moralvorstellungen Probleme bereiten

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Kein Sex vor der Ehe, Homophobie oder der Glaube an den Teufel: Hinter diesen vermeintlichen Moralvorstellungen, die auch an der Münchner Lukasschule für Ärger sorgen, steckt eine Vielzahl protestantischer Freikirchen. Von den Adventisten bis zu den Quäkern ist in Bayern alles vertreten.

Franziska Brüning

Wer wissen will, was Katholischsein bedeutet, hat es leicht. Zwar gibt es in der römisch-katholischen Kirche durchaus unterschiedliche Strömungen, sowie Teilkirchen mit eigenem Ritus, aber sie sind alle unter dem Dach der "einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche" vereint.

Bei den Protestanten ist es schwieriger, zu definieren, wer alles zur evangelischen Kirche gehört, zumal es die eine evangelische Kirche gar nicht gibt. Deutlich wird das am Beispiel der privaten evangelischen Lukasschule in Laim, die in die Schlagzeilen geraten ist, weil Lehrer ihren Schülern mit dem Teufel gedroht haben sollen.

An der Münchner Lukasschule wurden in den vergangenen Wochen Vorwürfe laut, dass Lehrer ihren Schülern mit dem Teufel gedroht haben sollen. (Foto: Catherina Hess)

Zu den großen evangelischen Volkskirchen mit eher liberalen Vorstellungen wie der Evangelisch-lutherischen Landeskirche passen solche Glaubensströmungen eigentlich nicht. Die Rektorin der Lukasschule, Christina Härle, sagt dann auch, dass an ihrer Schule sowohl unter den Schülern als auch unter den knapp 40 Lehrern sämtliche evangelische Gruppen vertreten seien, die man in Bayern finden könne. Von den Lutheranern bis zu den Freikirchen sei alles dabei.

Keiner weiß genau, was der andere glaubt

Die Bandbreite evangelischer Glaubensausrichtungen ist in der Lukasschule entsprechend groß. Je weiter die Überzeugungen allerdings auseinander klaffen, um so distanzierter ist das Verhältnis der evangelischen Kirchen untereinander. So ganz genau weiß nicht jeder Protestant über den Glauben des anderen Bescheid, zu unübersichtlich ist das Feld.

Die Evangelisch-lutherische Landeskirche ist mit 2,7 Millionen Gemeindemitgliedern die mit Abstand größte evangelische Kirche in Bayern. Sie sitzt zusammen mit der Evangelisch-Reformierten Kirche, die rund 12.000 Mitglieder in Bayern hat, in der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland). Bei beiden Kirchen sind die Pfarrerausbildung und die kirchliche Lehre klar definiert. Während sich die Evangelisch-lutherische Kirche aber Martin Luther und Philipp Melanchthon verpflichtet fühlt, geht die Evangelisch-reformierte Kirche auf die Reformation von Ulrich Zwingli und Johannes Calvin zurück.

Mit der Evangelisch-methodistischen Kirche in Bayern, die rund 3500 Gläubige zählt, verbindet die Landeskirche eine sogenannte Abendmahls- und Kanzelgemeinschaft. Als vierte größere Gruppe gibt es noch die Selbständige Evangelisch-lutherische Kirche, deren Ursprünge in der Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts liegen und die insgesamt 834 Kirchenmitglieder in München, Nürnberg, Fürth und Memmingen hat.

Zu den weiteren evangelischen Gruppen in Bayern gehören der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (Baptisten) mit etwa 5300 Mitgliedern, die Heilsarmee mit 84 Mitstreitern, die Vereinigung Bayerischer Mennonitengemeinden mit 460 Gläubigen, die Religiöse Gesellschaft der Freunde (Quäker) mit zwei kleinen Gruppen in Bayern und der Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden. Die Siebenten-Tags-Adventisten in Bayern betrachten sich selbst als protestantische Freikirche, die Evangelisch-lutherische Kirche hingegen ordnet die Adventisten als "christliche Sondergruppe" ein, und manche Katholiken stellen sie sogar als "christliche Sekte" mit den Zeugen Jehovas auf eine Stufe.

Darüber hinaus gibt es noch weitere Zusammenschlüsse, denen evangelische Kirchen angehören, oder die innerhalb einer evangelischen Kirche eine bestimmte Strömung verfolgen. Beispiele wäre die konservative Evangelische Allianz oder der Landeskirchliche Gemeinschaftsverband in Bayern.

Eine Vielfalt, die auf Luther zurückgeht

Während sich die Evangelisch-Lutherische Landeskirche vor allem mit dogmatisch-theologischen Fragen beschäftigt, steht bei den evangelischen Freikirchen die Moral im Vordergrund. Kein Sex vor der Ehe, Homophobie oder der Glaube an den Teufel sind Überzeugungen, die bei den protestantischen Freikirchen viel ausgeprägter sind.

"Typisch evangelisch ist, dass jeder einzelne Christ die Kompetenz hat, die Bibel zu lesen und auszulegen", sagt Johannes Minkus, Pressesprecher der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. (Foto: lks)

Diese Vielfalt, vom liberalen Mainstream der evangelischen Volkskirchen bis hin zu strengen Moralvorstellungen kleinerer Gruppen, geht auf Martin Luthers Kirchenverständnis zurück. "Typisch evangelisch ist, dass jeder einzelne Christ die Kompetenz hat, die Bibel zu lesen und auszulegen", sagt Johannes Minkus, Pressesprecher der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Was wahr sei und was falsch, werde diskutiert, und im Gespräch versuche man, einen Konsens zu finden.

So seien schon in Zeiten der Reformationen evangelische Kirchen unterschiedlicher Prägung entstanden, sagt Minkus. Wie das Beispiel der Lukasschule zeigt, ist diese Freiheit nicht immer unproblematisch.

© SZ vom 29.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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