"Euthanasie" in Erlangen:Heftiger Streit um frühere NS-"Pflegeanstalt"

Hupfla Erlangen Euthanasie Nationalsozialismus

Die "Hupfla", wie die frühere Heil- und Pflegeanstalt von Erlangern genannt wird, soll nur noch zum Teil abgerissen werden.

(Foto: Olaf Przybilla)

Die einen wollen einen Raum für moderne Spitzenforschung errichten, andere eine Gedenkstätte für Patienten, die dort Opfer der Nationalsozialisten geworden sind. Nun zeichnet sich ein Kompromiss ab.

Von Olaf Przybilla, Erlangen

Die "Hupfla" in Erlangen hat bei den Einheimischen einen possierlichen Namen, ihre Geschichte aber ist furchtbar. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde die "Heil- und Pflegeanstalt" - so ihr offizieller Name - zu einem Ort der "Euthanasie", wie die Nazis ihr systematisches Mordprogramm beschönigend bezeichneten. Auf dem Areal am Flüsschen Schwabach waren während der NS-Zeit 908 Patienten untergebracht, die anschließend in Tötungsanstalten ermordet wurden. 1500 weitere Patienten starben an den direkten oder indirekten Folgen mangelhafter Ernährung.

Um die "Hupfla", die 1846 eingeweiht und 1977 zu großen Teilen abgerissen wurde, wird seit Monaten heftig gestritten in Erlangen. Die einen wollen einen Abriss zugunsten moderner Neubauten des Universitätsklinikums. Die anderen hielten einen solchen für Barbarei: weil es nicht viele Baudenkmäler dieser Art in Erlangen gibt - und weil dort ein authentischer Gedenkort für ermordete Patienten während der NS-Zeit entstehen könnte.

Prallten beide Lager - hier das Uniklinikum, dort eine Initiative, die Unterschriften für den Erhalt sammelt - lange unversöhnlich aufeinander, so ist inzwischen ein Kompromiss in Sicht, der zwar nicht alle zufrieden stellt, aber immerhin eine mögliche Lösung skizziert. Der Ärztliche Direktor des Klinikums der Friedrich-Alexander-Universität, Heinrich Iro, hat angekündigt, die Uni werde keinen Antrag auf einen kompletten Abriss des Gebäudes stellen. Trotzdem bleibe man bei den Plänen, etwa die Hälfte der "Hupfla" abzureißen, um dort Forschungseinrichtungen der Klinik und der Max-Planck-Gesellschaft anzusiedeln. Das Klinikum klagt seit Jahren über Platznot. Flächen in der Nähe der zentralen Gebäude sind rar. Zwar kann die Klinik hoffen, dass die benachbarten, extrem baufälligen Gebäude der Philosophischen Fakultät abgerissen werden. Die Geisteswissenschaften sollen in ein früheres Siemens-Gebäude umziehen. Doch wann es soweit sein wird, ist schwer abzuschätzen.

Im lang gestreckten "Hupfla"-Gebäude sind derzeit unter anderem Labore und Lehrräume untergebracht. Das, was auf dem Areal in den kommenden Jahren angesiedelt werden soll, halten die Uni-Planer für schwer vereinbar mit dem existierenden Altbau. Die Rede ist von einem "Forschungszentrum von weltweit herausragender wissenschaftlicher Bedeutung". Zur Verfügung gestellt werden soll das Areal dem Max-Planck-Zentrum für Physik und Medizin, das physikalische und mathematische Forschung auf patientenrelevante Fragen in der Medizin anwenden will. Bereits heute existieren in der Nachbarschaft forschungsbezogene Einrichtungen der Uniklinik. Für eine Zusammenarbeit, so das Klinikum, bedürfe es "engste räumliche und funktionale Nähe zueinander".

Also Abbruch? Zumindest in Gänze scheint dieser nicht mehr zu drohen. Bleibt ein Teil des Kopfbaus stehen, so kann dieser in eine Gedenkkonzeption einbezogen werden, kündigt Oberbürgermeister Florian Janik (SPD) an. Er zeigt sich erleichtert, dass "die Zukunftschancen für die Spitzenforschung in Erlangen und die Erinnerung an die Verbrechen in unserer Stadt nicht mehr gegeneinanderstehen". Auch der Stadtrat stimmt dem Kompromiss mehrheitlich zu. Freilich brauche es nun Zeit für eine tragfähige Konzeption - und deren finanzielle Ausgestaltung. Was das betrifft, befindet man sich noch ganz am Anfang.

In die Überlegungen ist der renommierte Kulturwissenschaftler Jörg Skriebeleit eingebunden, der die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg leitet. Im SZ-Gespräch sagt er, das Thema Psychiatrie und Nationalsozialismus sei kein "genuin Erlangen betreffendes", vergleichbare Anstalten habe es in allen bayerischen Bezirken gegeben. Trotzdem stehen seiner Ansicht nach die Gebäudereste der einstigen Anstalt "exemplarisch für begangene NS-Medizinverbrechen". Skriebeleit plädiert für eine Erinnerungsstätte, die "mehr ist als ein Gedenkort". Er sieht Chancen, die Medizinhistorie des Nationalsozialismus dort am Beispiel der Medizinstadt Erlangen zu dokumentieren. Im Fokus stünden dabei die Opfer der NS-Medizin. Der Ort würde sich aber auch mit Themen wie Zwangssterilisation und Zwangskastration beschäftigen und die Täter - Ärzte also - in den Blick nehmen.

Eine solche Einrichtung könne auch medizinethische Debatten vor der NS-Zeit abbilden sowie den Umgang mit Opfern, Tätern und baulichen Relikten nach 1945. "In der Bündelung solcher Themen", sagt der Kulturwissenschaftler, hätte ein "Erinnerungs- und Zukunftsort der Erlanger Medizingeschichte und Medizinethik" dann tatsächlich ein Alleinstellungsmerkmal - nach dem ja heute alle suchen. Skriebeleit hielte dergleichen gar für "einzigartig in der deutschen, wenn nicht europäischen Szenerie der Gedenkstätten und medizingeschichtlichen Einrichtungen". Bis dahin aber dürfte es noch ein langer Weg sein.

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