Unterfranken und der Brexit:Neuer Mittelpunkt der EU - vielleicht

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Zum künftigen EU-Mittelpunkt? Den Weg bis zur Markierung, dann links abbiegen. (Foto: Daniel Roland/AFP)

Wenn Großbritannien die Europäische Union verlässt, verschiebt sich auch deren Zentrum: nach Gadheim. Das Dorf bereitet sich schon einmal vor - auch auf die Gefahr hin, dass der Brexit doch noch ausfällt.

Von Olaf Przybilla, Gadheim

Das Leben stellt einen bisweilen vor Weggabelungen, an denen beide Varianten nicht eben verlockend erscheinen. In Gadheim zum Beispiel - 80 Einwohner, in Mainfranken gelegen - hatten sie in den vergangenen Monaten die Wahl, auf welche Weise sie sich gegebenenfalls humoristisch angreifbar machen wollen: Dafür, dass sie einigen Aufwand betrieben haben, um Fahnen auf freiem Feld hissen zu können und sich als neuen Mittelpunkt der EU feiern zu lassen - und am Ende womöglich alles für die Katz war und halb Europa über diese ulkigen Dörfler aus Franken kichert, die sich Hoffnungen gemacht haben und nun dastehen wie versetzte Liebhaber mit welkenden Blumen in der Hand.

Oder setzt man sich - das wäre die andere Variante - durch offensives Nichtstun möglichem Spott aus. Lässt also alles wie es ist in Gadheim, und wenn die Briten tatsächlich aus der EU austreten und Gott und die Welt und Markus Söder den neuen EU-Mittelpunkt zu feiern kommen - dann führt man die Festgesellschaft auf einen feuchten Acker und sagt mit Tremolo in der Stimme: "Na, dann amüsiert euch mal schön."

Dialekt
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Im Norden des Freistaats sind sie sowieso nicht gut auf den Süden zu sprechen. Doch dass in Franken jetzt auch noch das Oberbairische Einzug hält, gleicht einem Sprachverfall.

Glosse von Claudia Henzler

Jürgen Götz (CSU) ist der Bürgermeister von Veitshöchheim und damit auch von Gadheim, einem Ortsteil. Er berichtet, dass dem Ort dieses Auswahlproblem sehr wohl bewusst war zuletzt. Und man sich nach längerer Abwägung für die erste der beiden Angriffsflanken entschieden hat. Für die Gefahr also, am Ende wie die Gschaftlhuber dazustehen, denen das Schicksal gerade mit großer Geste einen Korb überreicht hat. Warum dafür? Nun, weil sie in Gadheim bei allem Hin und Her eben schon noch davon ausgehen, dass es, nun ja, irgendwann doch noch was wird mit dem Brexit. Und der geografische Mittelpunkt der Europäischen Union damit weiterwandert an einen amtlich verbürgten Koordinatenpunkt. 9°54'07" östlicher Länge und 49°50'35" nördlicher Breite: ein hübscher Acker in Gadheim.

Mit möglichst viel Eigenleistung haben die Gadheimer dort nun ein bisschen Fläche gepflastert und drei Fahnenmasten samt Findling ins freie Feld gesetzt. Der Ministerpräsident und alle anderen könnten ab sofort folglich kommen und ihren Kompass notfalls daheim lassen. Ob der Ort das so hoffen soll? Das wäre schon wieder die nächste Frage. Bürgermeister Götz bedingt sich aus, darauf bitte zwei Antworten geben zu dürfen, für Ulk ist ihm die Sache zu ernst. Als Rathauschef und Bürger von Veitshöchheim würde er es natürlich begrüßen, wenn Gadheim sich künftig EU-Mittelpunkt nennen dürfte, sagt er. Als überzeugter Europäer aber hoffe er, "dass es nicht zum Brexit kommt". So kompliziert ist das Leben.

Im Übrigen, das ist Götz wichtig, wisse man in Gadheim auch ohne Koordinatenpunkt, dass man mitten in Europa liege, so oder so. Und sollte es am Ende doch nichts werden mit dem europäischen Epizentrum Gadheim, dann haben sie in Veitshöchheim immer noch viel zu bieten für eine Gemeinde mit kaum 10 000 Einwohnern: ein Schloss, eine Landesanstalt, die Mainpromenade. Ganz zu schweigen vom Fernsehfasching. Söder wird also sowieso wieder kommen, dazu bräuchte es kein EU-Zentrum. Und das alles zusammen, sagt Götz, unterscheide Gadheim - bei allem Respekt - dann eben schon etwas vom bisherigen EU-Mittelpunkt.

Der liegt auch in Unterfranken, in Westerngrund. Insofern ein unwesentlicher Schritt, diese mögliche EU-Mittelpunkt-Verschiebung, könnte man meinen. Aber weit gefehlt: Westerngrund findet sich auf der Spessartseite, auf der sich ungeübte Zuhörer eher in Hessen als in Bayern wähnen. Jenseits dieses Waldes trinkt man mit Vorliebe Äbbelwoi, diesseits echten Wein. Das kulturelle Gefälle zwischen den beiden Orten ist etwa so groß wie der Unterscheid zwischen diesen beiden Getränken. So vielgestaltig ist Europa - und Unterfranken.

© SZ vom 13.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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