Zaumzeug und Sattel fehlen. Angela Merkel braucht das anscheinend nicht, sie beherrscht das Pferd auch so. Konzentriert sitzt die Bundeskanzlerin auf dessen Rücken, die Hände bedächtig zur Raute geformt. "Sieht doch aus, als wäre sie auf Reiturlaub in der Oberpfalz", findet Wilhelm Koch, der geistige Vater des Reiterstandbilds vor dem Tempel-Museum in Etsdorf, einem Ortsteil der Gemeinde Freudenberg im Landkreis Amberg-Sulzbach. Am Freitag hat er es vorgestellt.
Wenn überhaupt, dann wäre Merkel wohl zum Wandern hier gewesen. Aber um historische Wahrheit geht es dem Künstler nicht. Ihm ist wichtig, dass das erste und vermutlich auch einzige Reiterstandbild der Kanzlerin nicht auf einem städtischen Sockel, sondern auf Etsdorfer Dorfgras steht und nicht von irgendeiner oberen Ebene beschlossen, sondern "unten" durch den Einsatz vieler freiwilliger Helfer verwirklicht wurde. Ein echtes "Bürgerreiterstandbild" eben.
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Damit unterscheidet sich das Monument wesentlich von den Reiterstandbildern vergangener Zeiten, die oft an Helden erinnern, deren Taten, nach aktuellen moralischen Maßstäben beurteilt, nicht unbedingt dauerhaft gewürdigt werden müssten. Von sich reden machen diese Denkmäler inzwischen meist nur, wenn sie demontiert werden, so wie jüngster Zeit, als die Black-Lives-Matter-Bewegung begann, Statuen von den Sockeln zu holen und die Wahrzeichen weißer Macht zu stürzen.
Koch ist Gründer des Luftmuseums
Eigentlich sind also Reiterstandbilder ziemlich out. Aber Wilhelm Koch hatte noch nie ein Problem damit, sich gegen die Masse zu stellen. Auf die Idee, Merkel als Reiterin zu verewigen, brachte ihn ein von ihm verlegtes Buch. Koch ist nicht nur Künstler und erfolgreicher Museumsgründer und -leiter - das Luftmuseum in Amberg, im Sommer zum schönsten Museum der Oberpfalz gekürt, verdankt sich seiner Initiative. Er ist im Brotberuf Grafikdesigner mit eigenem Verlag und schätzt Menschen, die, so wie er, einen Sinn für abseitige Themen haben. Den Journalisten Till Briegleb zum Beispiel, der seit 2005 auf seinen Reisen Reiter-Standbilder fotografiert, motiviert von der unfreiwilligen Komik, die die "Heldenverehrung nobler Gewalttäter" (Briegleb) im heutigen Stadtraum erzeugt. Brieglebs Aufnahmen und Texte verewigte Koch in dem umfangreichen, schön gestalteten Bildband "Pferd und Reiter/in" (Büro Wilhelm Verlag) und veranstaltete dazu eine Begleitausstellung im ebenfalls von ihm gegründeten Etsdorfer Tempel-Museum, das sich in Sonderausstellungen regelmäßig mit Europa auseinandersetzt. Dort hängen dicht an dicht mehr als 200 Digitaldrucke von Brieglebs Reiter-Standbildern (noch bis 20. Dezember), ein optimaler Kontext zum neuen Merkel-Monument.
In der Einleitung zum Buch setzt sich Briegleb kritisch mit der "gockelhaften Inszenierung von männlicher Herrlichkeit" auseinander und kommt zu dem Schluss, dass, abgesehen von "Operetten-Diktatoren wie Kim Jong Il" oder eventuell Donald Trump und Wladimir Putin, "die sich im Grunde ihres Herzens für Kaiser und Zar halten", kein Staatsführer sich mehr so porträtiert sehen wolle. Und er fragt: "Kann sich irgendwer Angela Merkel als Reiterstandbild vor dem Kanzleramt vorstellen?"
Eine Steilvorlage für seinen Verleger, der sich als Luftkünstler schon ausgiebig mit der Quadratur des aufgeblasenen Kreises beschäftigt hat. Nicht erstaunlich, dass es für ihn eine reitende Merkel vorstellbar war, auch wenn er als Bildhauer bislang auf realistische Darstellungen verzichtet hatte. Aber eine abstrahierte Merkel-Reiterin lag selbst außerhalb seiner Vorstellungskraft. "Dann verliert sie an Stärke und Kraft", sagt er. Oder an Eindeutigkeit, vielleicht auch an Mehrdeutigkeit - so genau legt er sich da nicht fest, wie man überhaupt nie so genau weiß, ob er jetzt etwas ernst oder ironisch meint. Aber weil Koch ein fantastischer Netzwerker ist, was er schon oft bewiesen hat, fand er auch dieses Mal Partner, die ihn bei der Umsetzung seiner Idee unterstützten. Die Firma Additive Tectonics beispielsweise, ein Unternehmen im oberpfälzischen Lupburg, 2020 mit dem Vorsatz angetreten, das Bauen durch 3-D-Druck zu revolutionieren. Tatsächlich gelang es dem Unternehmen durch den Einsatz eines neuen 3-D-Druckverfahrens, die eineinhalb Tonnen schwere Skulptur aus recyceltem Leichtbeton zu realisieren. Dass sie trotzdem ziemlich klassisch wirkt, liegt an der Bronze ähnelnden Beschichtung.
Das Know-how kommt aus der Oberpfalz
Für die digitale Druckbasis hatte Koch zuvor das Internet nach 3-D-Vorlagen abgesucht und wurde schnell fündig. "Wir haben alles zusammengekauft: ein Pferd, einen Porträtkopf Merkels, den Körper, die Handhaltung." Sein Freund, der Medientechniker Georg Fruth übernahm es, die Patchwork-Dateien am Computer zu einer Vorlage zusammenzufügen und sie an Additive Tectonics zu schicken. Manche Teile der Skulptur wie die Füße sind massiv, anderes ist hohl, die Betonwandungen sind zum Teil nur 20 Millimeter stark. "Ist doch toll, dass das gesamte Know-how aus der Oberpfalz kommt", sagt Koch zufrieden und will nicht lang darüber reden, wie es ihm immer wieder gelingt, seine Partner davon zu überzeugen, ehrenamtlich und ohne Entlohnung zu arbeiten. Das ist jedenfalls eine Kunst, die Koch wahrhaft meisterlich beherrscht.
Von politischer Seite wollte er keine finanzielle Unterstützung. "Parteipolitik sollte auf keinen Fall ins Spiel kommen." Auch er selbst fühlt sich an keine Partei gebunden. Das Standbild drücke nur seine persönliche Wertschätzung aus. Ihm habe immer gefallen, was Merkel an persönlicher Leistung für das Land erbracht hat, sagt er. "Nie etwas Falsches zu sagen, ist ja allein schon eine gigantische Leistung. Und dass sie sich jahrelang gegen die Männerriege behauptet hat - das hat mich beeindruckt" - abgesehen davon, dass er Merkel als bekannteste, lebende Persönlichkeit Deutschlands sowieso für denkmalwürdig hält.
Die spektakuläre Aktion lenkt die Aufmerksamkeit einmal mehr auf ein anderes Vorhaben Kochs. Er plant, in seinem Heimatdorf Etsdorf eine Glyptothek zu bauen, ein Denkmal für 2500 Jahre Demokratie und den europäischen Gedanken. Die Idee, die er seit dem Jahr 2000 verfolgt, erfährt viel Unterstützung. Längst engagiert sich ein Förderverein für das Projekt, gibt es eine Stiftung, deren Grundkapital Säulenpaten lieferten. Das Grundstück, 11 000 Quadratmeter auf einem Hügel über Etsdorf, existiert ebenfalls, die Baugenehmigung liegt seit 2009 vor. Und Architekt Peter Haimerl garantiert dafür, dass kein Walhalla-Nachbau entsteht, sondern die Tempelidee neu interpretiert wird (auf Youtube kann man ein Modell der künftigen Säulenhalle schon besichtigen). Das einzige, was noch fehlt, ist Geld, weshalb der für Frühjahr 2021 angekündigte Baubeginn sich wieder einmal verschoben hat. Koch hat die Hoffnung nicht aufgegeben. "Das wird sich schon noch finden", sagt er.
Angela Merkel wird in Etsdorf nicht ewig reiten. Ein halbes Jahr, schätzt Koch. Dann soll das Standbild verkauft werden, ein bisschen Geld für den Europa-Tempel einbringen. Was macht er, wenn niemand das Standbild haben will? Das sei nicht auszuschließen, sagt Koch. Aber dafür eine Lösung zu finden, dürfte einer seiner leichtesten Übungen sein.