Ermittler der Ärzte-Betrugsverfahren:Zwei gegen den Freistaat

Gegen die Kriminalpolizisten Robert Mahler und Stephan Sattler wurde zwei Jahre lang ohne hinreichenden Verdacht ermittelt. Jetzt wollen sie Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Von Stefan Mayr und Mike Szymanski, Nürnberg

Robert Mahler und Stephan Sattler sind immer noch ein Team, obwohl sie schon lange nicht mehr zusammen ermitteln. Man sieht es den beiden Kriminalhauptkommissaren an, wie sie jetzt im Besprechungszimmer ihres Rechtsanwalts in Nürnberg den Blickkontakt suchen. Sie verstehen sich, ohne viel reden zu müssen. Mahler, 32, ein smarter Typ in Jeans und Sakko. Und Sattler, der erfahrene Kriminalbeamte. 51 Jahre alt, groß und kräftig. Eine Erscheinung, wenn er den Raum betritt. Sie ergänzen sich ganz gut, bekommt man den Eindruck

Jetzt sitzen sie hier und klagen an - den Freistaat. Ihre eigene Polizei und die Justiz. Das falle ihnen nicht leicht, sagen sie. Aber es müsse eben sein. "Wir haben ein Kreuz, das breit genug ist. Und wir haben unseren Eid geschworen", sagt Mahler. Er und Sattler sind die beiden Polizisten, die einen Vorgang ans Licht bringen, von dem man noch nicht genau weiß, ob man ihn einmal Skandal wird nennen müssen.

"Wir sind gegrillt worden"

Ihr Vorwurf: Die bayerische Justiz habe Tausende Ärzte geschont, die bei der Abrechnung von Laborleistungen betrogen haben sollen. Und nicht nur das. Weil die beiden Ermittler keine Ruhe gaben, habe sie ihr Dienstherr kriminalisiert und stattdessen selbst mit jahrelangen Ermittlungen überzogen. Sattler formuliert es so: "Wir sind gegrillt worden."

Die Vorwürfe sind so schwerwiegend, dass das Justizministerium in der nächsten Woche dem Rechtsausschuss des Landtags berichten muss. Die Opposition ruft immer lauter nach einem Untersuchungsausschuss. Diesen beiden Männern kommt jedenfalls bei der Aufklärung eine Schlüsselrolle zu. Als Mitglieder der "Soko Labor" im Landeskriminalamt haben sie seit 2006 gegen Ärzte ermittelt, die systematisch bei Laborleistungen falsch abgerechnet haben sollen. Sie sind der Überzeugung, dem ganz großen Betrug auf der Spur gewesen zu sein. Bis zu 10 000 Ärzte bundesweit hatten sie im Fokus und Bernd Schottdorf, einen Augsburger Laborunternehmer, mit dem die Mediziner Geschäfte gemacht hatten. Zur Verantwortung gezogen wurde kaum jemand.

Noch bevor 2010 das Urteil in einem als Musterverfahren angelegten Prozess gegen einen Münchner Arzt erging, stellte die Staatsanwaltschaft Augsburg Verfahren gegen knapp 150 Beschuldigte ein, weil sie keinen Betrug erkennen konnte. Ein Fehlurteil aus heutiger Sicht. Das Münchner Landgericht verurteilte den Arzt zu einer Haftstrafe und der Bundesgerichtshof bestätigte 2012 das Urteil. Mahler und Sattler hatten richtig gelegen. "Viele Tausend Ärzte sind unbehelligt geblieben", sagt Sattler und sieht die Schuld bei der Justiz: "Mein Eindruck ist, nachdem man die Dimension erkannt hatte, wollte die Generalstaatsanwaltschaft nicht weitermachen."

"Noch glaube ich an den Rechtstaat"

An anderer Stelle waren die Staatsanwälte aktiver: Die Staatsanwaltschaft München I nahm Ermittlungen gegen die LKA-Beamten auf. Zuvor hatte der Bundestagsabgeordnete und Rechtsanwalt Peter Gauweiler interveniert, der den Laborunternehmer vertrat. Gegen Sattler wurde wegen falscher uneidlicher Aussage und übler Nachrede ermittelt, gegen Mahler wegen Verfolgung Unschuldiger und Verleitens zum Verrat. Die Verfahren zogen sich mehr als zwei Jahre hin, ehe sie ergebnislos eingestellt wurden. "Hier haben Amtsträger ihre Macht missbraucht, um Kritiker mit brachialer Gewalt unter Druck zu setzen und mundtot zu machen", sagt Robert Mahler. "Ich möchte, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, noch glaube ich an den Rechtsstaat."

Mahler hat jetzt den Gegenangriff gestartet. Er hat beim Landgericht München I eine Amtshaftungsklage gegen den Freistaat Bayern eingereicht. Er fordert 18 000 Euro Schadenersatz und Schmerzensgeld. Die Klageschrift ist 22 Seiten lang. Wenn die darin enthaltenen Vorwürfe zutreffen, dann könnten einige Justizbeamte und auch Politiker ernsthafte Probleme bekommen.

Ein Versehen? Absicht?

Die Vorwürfe gehen in zwei Richtungen: Erstens kritisiert er, dass er "exzessiv und unvertretbar" mit strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und auch einem Disziplinarverfahren überzogen wurde, die seine Beförderung verzögerten und seine Gesundheit angriffen. "Ich hatte unter anderem Bluthochdruck, Herzrasen, Panikattacken." Zweitens zählt er mehrere Fehler in den Betrugsverfahren gegen die Ärzte auf, welche in seinen Augen den "Rückschluss" zulassen, die Verfahren seien "durch politische Einflussnahme gelenkt" worden. Mahler beteuert, die Staatsanwaltschaft Augsburg habe die Verfahren "rechtswidrig" eingestellt, weil "mehrere nicht-einstellungsfähige Verdachtsmomente offenbar übersehen wurden". Ein Versehen? Absicht? Ob die Politik oder die Generalstaatsanwaltschaft Einfluss in die Ermittlungen genommen haben, wird zu klären sein.

Tatsache ist, dass das Oberlandesgericht München in einem Beschluss vom 12. Oktober 2012 das Ermittlungsverfahren gegen Robert Mahler in der Luft zerfetzte. "Insgesamt besteht (. . .) sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht bereits in objektiver Hinsicht kein hinreichender Tatverdacht", schreibt das OLG. Dieser verklausulierte Satz hat Sprengkraft. Er besagt: Die Staatsanwaltschaft München I hat gegen einen Beamten ermittelt, obwohl nicht einmal ein Tatverdacht vorlag. Und das mehr als zwei Jahre lang. "Bereits die Einleitung der Verfahren war rechtswidrig", sagt Mahlers Anwalt Roland Weiler. "Dass diese ihn stark belastenden Verfahren dann auch noch jahrelang verschleppt wurden, ist für einen Rechtsstaat schlicht inakzeptabel."

Ähnlich sieht das die Deutsche Polizei Gewerkschaft (DPolG). Sie unterstützt Robert Mahlers Klage, indem sie ihm Rechtsschutz gewährt. "In der Regel erachten wir Amtshaftungs-Klagen als wenig aussichtsreich", sagt der DPolG-Landesvorsitzende Hermann Benker, "aber in diesem Fall sehen wir durchaus Erfolgsaussichten."

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