Süddeutsche Zeitung

Erlanger Kunstpalais:Der Mörder tief drin

Der Tod, der muss ein Wiener sein: In der Ausstellung "Töten" im Erlanger Kunstpalais fragen Künstler nach Blutphantasien und den Bildern im eigenen Kopf.

Olaf Przybilla

Man muss die Ausstellung "Töten" im Erlanger Kunstpalais vom Ende her besehen. Also zunächst hinunter in den Keller des Hauses, in den letzten Ausstellungsraum des Palais, das vor zwei Jahren eingerichtet worden ist am repräsentativsten Platz der Stadt. Ein Palais mit Kunst und integrierter Stadtbibliothek in einer überschaubar großen Stadt, da erwartet man manches, verstörende Kunst aber eher nicht. In Erlangen ist das anders. Und nirgends ist das beklemmender zu erleben als in diesem letzten Raum der Ausstellung, in der sich zwölf Künstler mit einem Thema auseinandersetzen: dem Töten.

In den Keller also. Michal Kosakowski zeigt dort seine Videoinstallation "Do You Have Murder Fantasies", kein Werk, eher ein Epos. Zeit wird man mitbringen müssen, um dem Wiener Kosakowski auf die Spur zu kommen. Wer es tut, wird schlecht schlafen, das aber nicht bereuen. Sechs Stunden würde es brauchen, um jede Szene der Installation anzuschauen. Ein bis zwei Stunden wird man mindestens benötigen, um sich ein Bild zu machen dieser Arbeit, die ein Sog ist.

Wer den Raum betritt, steht erst einmal im Chaos, man blickt auf ein zuckendes Kaleidoskop aus 49 Filmen. Dass in diesen Furchtbares passiert, glaubt man sofort zu erkennen, mehr zunächst nicht. Zu hören ist ein Ton, nach einiger Zeit wird man erkennen, dass der Ton von einem der Filme stammt. Nacheinander ist immer ein anderer Filmton an der Reihe, man wird also versuchen, sich immer auf ein Quadrat zu konzentrieren, während auf den 48 anderen das Töten auf unterschiedliche Weise passiert.

Es müssen offenbar Laien sein, die da spielen. Ein Buch, das ausliegt, informiert darüber, um wen es sich handelt, dem man da beim Morden zuschauen kann. Kosakowski hat 49 Menschen - Freunde, Bekannte, Zufallsbekanntschaften - gefragt, ob sie manchmal Mordphantasien hegen. Neun von zehn Befragten, hat der in Polen geborene Künstler beobachtet, antworten mit Bestimmtheit: nein, nie. Bis Kosakowski weiter fragt. Ach, tatsächlich?

Irgendwann kommen sie, die Phantasien, man muss offenbar nur richtig fragen. Wenn also deine kleine Schwester gepeinigt würde, was würdest du tun? Kosakowsi geht noch einen Schritt weiter. Die Befragten sollen ihm ihre ganz eigene Phantasie schildern. Zum Teil eines Kunstwerkes aber werden sie nur, wenn sie ihre Rolle in der Film-Phantasie selber spielen. Es machen mit: Leiter am Bau, Tänzerinnen, Werbefachleute. In den Filmen sieht man sieht sie als Massenmörder, Amokläufer, Ritualtäter.

An der Videowand wird fortlaufend getötet

Das allein wäre wenig mehr als potenzierter Horror, 49 mal "Tatort" von Laien. Zehn Jahre nach den Filmen aber hat Kosakowski die 49 noch einmal befragt, zehn Fragen stellte er ihnen: Bist du für die Todesstrafe? Glaubst du an Gott? Darf man foltern? Was würdest du tun, wenn jemand deinen liebsten Menschen ermordet? Auf zehn Bildschirmen, seitlich gehängt, kann man über Kopfhörer verfolgen, was die 49 zehn Jahre danach antworten - während an der Videowand fortlaufend getötet wird.

Keiner der 49 ist straffällig geworden, vorher nicht, und nach dem Film auch nicht. Und nun hört man also diese Menschen, wie sie über ihre Aggressionen plaudern. Dass das oft auf Wienerisch geschieht - Kosakowski hat sich vor allem zu Hause umgehört - macht die Sache noch abgründiger: Ja, natürlich, sagt eine Frau, in der U-Bahn, wenn gedrängelt wird, da unterliege sie gelegentlich schon Mordphantasien. Die Frau lacht nicht, als sie das sagt. Zwei verschiedene Personen geben an: Ja, in der Post, am Schalter: "Man möchte ein Gewehr nehmen und um sich schießen."

Wissen diese Leute, was sie da reden, fragt man sich. Und danach: Redet man manchmal selbst so einen Blödsinn?

Einer, es ist der Bauleiter, überlegt lange, bis er eine Antwort findet auf die Frage, was er tun würde, wenn sein liebster Mensch ermordet würde. Die Antwort kommt auf Polnisch, drei weiche, zischende Laute. Pause. Dann noch mal dieselben, zischenden Laute, sehr bestimmt vorgetragen. Unten ist jetzt die Übersetzung eingeblendet: Zahn um Zahn.

Man wird diese Installation taumelnd verlassen, und womöglich ist es deshalb besser, doch nicht mit ihr den Rundgang zu beginnen. Was kann die Kunst beitragen zum Thema Töten, fragt diese Ausstellung, eingeklemmt zwischen zwei Phänomenen: Hier der immer anonymer werdende CNN-Nachrichten-Tod, der das Töten als klinischen Vorgang präsentiert, dem man beiwohnen kann wie einem chirurgischen Kunstgriff. Dort das Töten am Computerspiel, das immer realistischer wird, immer perverser. Tappt die Kunst nicht in eine voyeuristische Falle, wenn sie da mitmischt?

Eine Antwort darauf findet zu Beginn der Schau der Berliner Simon Menner. In seiner Arbeit zeigt er Fotos von Spionen, Serienmördern und Terroristen jeweils in gleicher Anzahl. Wer der Spion ist, wer der Serienmörder, das schlüsselt die Arbeit nicht auf. Ein Spiel mit Klischees, mit den eigenen Bildern im Kopf: Wie sieht ein Mörder aus?

Ähnlich verstörend wie Kosakowskis Arbeit ist die Installation "No Fun" der Mailänder Eva und Franco Mattes. Eine Woche lang haben sie auf einer Internetplattform eine Selbsttötung inszeniert: Auf der einen Hälfte des Bildschirms sieht man eine Person, die sich scheinbar das Leben nimmt. Auf der anderen zufällig ausgewählte Personen, die über die Plattform Zeuge dieser Tat werden. Diese Menschen an ihren Heimcomputern lachen, gähnen, zupfen sich ihren Bademantel zurecht, schreiben zynische Kommentare. Einer von etwa hundert Zeugen ruft die Polizei, um die Tat zu verhindern.

Im Erlanger Kunstpalais bis 17. Juni.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1322771
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 31.03.2012/bica
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.